Jahrelang kämpfte Jiri Menzel um sein Herzensprojekt und ließ sich dabei sogar zu unlauteren Mitteln hinreißen. Das Ergebnis ist ein schillerndes Meisterwerk, das nun endlich im deutschen Fernsehen seine Premiere feierte und mittlerweile auch als Stream zur Verfügung steht.
In den 1960er-Jahren gewährte die kommunistische Führung der Tschechoslowakei ihrer Bevölkerung einen Hauch von Freiheit, bis 1968 die sowjetrussischen Panzer den Prager Frühling gewaltsam beendeten und den totalitären „Normalzustand“ der Diktatur wiederherstellten. Das kurze Zeitfenster genügte allerdings, um eine an die französische Nouvelle Vague angelehnte neue Filmsprache zu etablieren, die zahlreiche Meisterwerke hervorbrachte, von denen Jiri Menzels Tragikomödie „Liebe nach Fahrplan“ mit dem Oscar als Bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet wurde.
Der Regisseur und Schauspieler war neben Milos Forman die prägende Figur dieser Ära, emigrierte im Gegensatz zu seinem Kollegen nach 1968 allerdings nicht nach Hollywood, sondern blieb in seiner Heimat und wurde dort zunächst mit einem Berufsverbot bestraft, bevor er sich mit der Verfilmung seichter Stoffe über Wasser halten musste. Nach der samtenen Revolution 1989 standen ihm dann vermeintlich alle Türen offen, doch sein Herzensprojekt, die Verfilmung des Romans „Ich habe den englischen König bedient“, geriet zur Nervenschlacht. Menzels Freund Bohumil Hrabal, der Autor der literarischen Vorlage, hatte die Rechte an der Verfilmung doppelt vergeben und verstarb 1997, sodass ein erbitterter Rechtsstreit begann, der sich über Jahre hinzog und beim internationalen Filmfestival im tschechischen Karlsbad für einen handfesten Skandal sorgte. Dort griff Jiri Menzel seinen verhassten Produzenten Jiri Sirotek mit einem Stock an und prügelte ihn aus dem Saal (Quelle: Deutschlandfunk Kultur).
Nach dem Eklat gelang es dem Filmemacher nach weiteren jahrelangen Bemühungen dennoch, die Verfilmung von „Ich habe den englischen König bedient“ 2006 zu realisieren. Das Ergebnis kam nun endlich ins deutsche Free-TV und zwar am Montag, dem 16. Oktober 2023 um 23:10 im MDR. Bis zum 15. November 2023 steht der Film in der ARD Mediathek im Stream bereit.
Jiri Menzel ist 2020 im Alter von 82 Jahren verstorben. Von wem wir uns in diesem Jahr verabschieden mussten, erfahrt ihr im Video.
Einzigartiges Aushängeschild des tschechischen Films
Wie bei vielen tschechischen Filmen üblich, lässt sich „Ich habe den englischen König bedient“ kaum einem Genre zuordnen, am ehesten kommt wohl der weitumfassende Begriff der Tragikomödie in Frage. Erzählt wird die Lebensgeschichte des Emporkömmlings Jan Dítě, der als gnadenloser Opportunist in den 1930er-Jahren in der von Deutschland besetzen Tschechoslowakei Karriere macht und sich in die Nationalsozialistin Lisa verliebt, die selbst beim Geschlechtsverkehr verzückt auf ein Großportrait von Adolf Hitler starrt.
Jiri Menzel inszeniert die unverhohlene Dreistigkeit seines Liebespaares als überschwängliche, slapstickhafte Variante von Fellinis „La dolce vita“, konterkariert sie aber immer wieder mit harten Schnitten, die auf die bittere Realität ihrer Zeit verweisen. Allein die Poolszene, die zunächst von nackten, makellosen Frauenkörpern bevölkert ist, bevor sie von verstümmelten Kriegsinvaliden abgelöst werden, erzählt in wenigen Minuten mehr als viele andere Filme in mehreren Stunden und brennt sich nachhaltig ins Gedächtnis.
„Ich habe den englischen König bedient“ ist eine wilde, einzigartig bebilderte Geschichtsstunde, die eindrucksvoll beweist, welch großartige Filme abseits von Hollywood entstehen können. Völlig verdient gewann das faszinierende Meisterwerk 2007 vier Böhmische Löwen, unter anderem für den besten tschechischen Film sowie die beste Regie. Höchste Zeit also, sich den Film anzuschauen.
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