The International: Raffinierter Verschwörungsthriller über einen Interpolagenten, der einflussreichen Banken ihre Beteiligung an einem internationalen Waffenhändlerring nachweisen will.
Tom Tykwers erster Film für ein US-Studio ist eine Wucht. Der zweite Berlinale-Eröffnungsfilm des Wuppertalers nach „Heaven“ im Jahr 2002 überzeugt als mitreißender Verschwörungsthriller ebenso wie als leidenschaftliches und brisantes Statement zu einer Welt im Griff multinationaler Banken.
Er ziehe es vor, angespannt zu sein, das helfe ihm dabei, sich locker zu machen, sagt ein Mann, der wenig später sterben wird, gleich zu Beginn von „The International“. Er charakterisiert damit auch Tom Tykwers siebte Spielfilmarbeit, mit der Deutschlands profiliertester Regisseur nach „Heaven“ im Jahr 2002 zum zweiten Mal die Berlinale eröffnet: Von der ersten Minute an vermittelt der erste lupenreine Genrefilm Tykwers Intensität pur, ein Maximum an atmosphärischer Dichte, konzentriert auf ein Minimum an Raum: Schwere und Paranoia sind unausweichlich in diesem strikt und präzise komponierten Film, in dem sich die Menschen in den wuchtigen modernen Bauten aus Beton, Gusseisen und Glas förmlich verlieren, die Tykwers Kameramann Frank Griebe in extremen Breitwandbildern festhält, als wären sie gigantische Särge: Obwohl sie offen und durchlässig erscheinen, schnüren sie einem die Luft ab. So hätten wohl „Die drei Tage des Condor“ oder „Zeuge einer Verschwörung“ ausgesehen, wenn sie sich von Antonioni hätten inspirieren lassen. Anspannung ist tatsächlich ein so essenzieller Bestandteil der ureigenen Textur von „The International“, dass sie den Zuschauer auf Dauer entspannt zurücklässt, weil man sie als gegeben akzeptiert und nicht mehr spürt, obwohl sie allgegenwärtig ist.
In dieser Welt bewegt sich wie ein Unsichtbarer der Held der Geschichte, Louis Salinger, ein von den ewigen fruchtlosen Ermittlungen gegen eine in Luxemburg ansässige Bank, die als erste Anlaufstelle für Unterwelt, Despoten und Terroristen gilt, desillusionierter Interpol-Agent, der von der Wut über die eigene Erfolglosigkeit angetrieben wird. Der Nachname ist mit Bedacht gewählt und verweist auf die Schriftstellerikone J.D. Salinger - ein Phantom, von dem seit Jahrzehnten kein Foto mehr geschossen wurde.
Welchen Hebel Salinger, der Don Quixote näher steht als James Bond, auch immer ansetzt, die Bank ist ihm einen Schritt voraus. Zeugen verschwinden oder sterben, Beweismittel werden bisweilen vor den Augen Salingers gefälscht oder getürkt, Kollegen mit stiller Effizienz beseitigt. Salinger läuft ins Leere, während er mit dem Kopf gegen die gleiche Wand rennt. Mit der New Yorker Staatsanwältin Whitman unternimmt der Agent einen weiteren Versuch, eine Schwachstelle des Erzfeinds aufzudecken. Ein italienischer Industrieller mit Politambitionen, der vergeblich von der Bank umworben wurde, zeigt sich Willens auszusagen. Er wird aber vor den Augen der Ermittler ermordet, die sich an die Fersen des Killers der Bank heften und ihm nach New York folgen, wo man endlich eine vermeintlich heiße Spur findet.
Mit gewohnt kühler Souveränität breitet Tykwer seine Geschichte aus, stellt seine Figuren vor und bringt den Plot in Bewegung. Das nimmt bei der Komplexität des Erzählten eine gewisse Zeit in Anspruch, zahlt sich aber aus, zunächst bei einem ausgedehnten Feuergefecht im Guggenheim Museum, das seinen Platz in der Filmgeschichte sicher hat, um danach von Höhepunkt zu Höhepunkt zu eilen. Wie sich Handlung und innere Konflikte der Hauptfigur parallel mit brachialer Konsequenz zuspitzen und danach in einem fulminanten Showdown auf den Dächern von Istanbul - der erste Moment im ganzen Film, in dem die Figuren frei sind und nicht von Gebäuden überragt werden - auflösen, darf man getrost als bisherige Meisterleistung Tykwers bezeichnen. Weil „The International“ als Thriller mit Genauigkeit und hohen Schauwerten besticht, als Porträt eines getriebenen Mannes, der das eigene Leben aufgeben muss, um wenigstens einen verzweifelten Pyrrhussieg zu erringen, an die Nieren geht, als ätzende Kapitalismuskritik geradezu prophetisch ist und als Sittengemälde, das den Menschen als Sklaven dessen zeigt, was er sehenden Auges errichtet hat, nicht mehr aus dem Kopf geht. ts.