Pechschwarze Komödie um einen Mann ohne Eigenschaften.
Mit seinem neuen Film, der nach „God of Happiness“ aus dem Jahr 2015 zweiten Zusammenarbeit mit der Stuttgarter East End Filmproduktion von Tommy und Elaine Niessner, die zuletzt mit „Borga“ gehörig Staub aufwirbelten, eröffnete der in Deutschland lebende Georgier Dito Tsintsadze auf dem 26. PÖFF in Tallinn die neu gegründete Reihe Critics‘ Picks und feierte dort vor ausverkauftem Haus einen stürmischen Publikumserfolg. Die ausführenden Produzenten von „Roxy“ sind Kamran Sardar Khan und Michel Vandewelle; den Weltvertrieb hat atlas international übernommen. Ganz leicht lassen sich die Filme Tsintsadzes, der bereits 1993 in Locarno einen Silbernen Leopard und 2003 die Goldene Muschel in San Sebastian (für seinen bekanntesten Film, „
Schussangst„) gewinnen konnte, nicht einordnen.
Ein Blick ins Archiv von Blickpunkt:Film findet für „Schussangst“ die Beschreibungen „poetischer und rätselhafter Thriller“ und „Verbindung von Loser-Krimi mit der zärtlichen Sicht auf Außenseiter“; „
Lost Killers“ nannte unsere Rezensentin „skurrile Ganovenkomödie mit lakonischem Witz und melodramatischen Momenten um eine Handvoll kleinkrimineller Außenseiter aus aller Herren Länder, die sich in Mannheim gefunden haben“. All diese Zitate lassen sich ohne Reibungsverlust auch auf „Roxy“ übertragen, abgesehen davon, dass die Handlung etwas mehr als 50 Kilometer von Mannheim angesiedelt ist, in Karlsruhe. In jedem Fall sind die Beschreibungen zielführender als der Vergleich im Festivalkatalog mit „
Taxi Driver„. Zwar steht auch hier ein Taxifahrer im Mittelpunkt, und mit ein bisschen Verbiegen könnte man ihn auch in einer Ahnenreihe mit den „god’s lonely men“ von Paul Schrader sehen. Aber Thomas Brenner hat keinen gewaltsamen Knochen im Körper, droht nicht im Entferntesten jemals zu explodieren oder sonst irgendwie aktiv zu werden: Wunderbar gespielt von Devid Striesow, der mit einem Wimpernschlag ganze Geschichten erzählt, ist dieser Thomas Brenner ein Mann ohne Eigenschaften, die gelebte Indifferenz, bloß nicht auffallen, bloß nicht involviert werden, nie mehr als ein Gesicht in der Menge, auch wenn er hinter dem Steuer sitzt: Den Ton geben die an, die er chauffiert. Am ehesten lässt sich „Roxy“ beschreiben als pechschwarze Komödie über einen lächerlichen Mann, dem es am Ende gelingt, am lautesten zu lachen. Wenn er denn laut lachen würde.
Mit wachsender Faszination sieht man dem zunächst so unauffälligen Film zu, wie sein unauffälliger Held in eine große Sache reingezogen wird, weil er natürlich auch niemals Nein sagt: Drei bedrohliche Russen und ihr Kampfhund Roxy nehmen seine Dienstleistung in Anspruch und verstricken ihn in immer groteskere Situationen. Wann wird er einschreiten, wann wird er brechen, fragt man sich als Zuschauer, während man miterlebt, wie immer schrecklichere Dinge geschehen, bei denen Thomas Brenner stets dabei ist und bei denen es schließlich um Leben und Tod, Mord und Totschlag geht. Und dann auch um eine unerwartete Romanze, als die Frau eines der Russen und ihr Sohn sein Herz zu wärmen beginnen. Der Witz ist, wie Dito Tsintsadze seinen Taxifahrer die Umwelt manipulieren lässt, um zu dem zu kommen, was er will. Der Regisseur sucht dabei keine schönen Bilder. Er sucht nach den richtigen Bildern, auch wenn die schmucklos und manchmal auch hässlich sind. Und doch sitzt ihm dem Filmemacher der Schalk im Nacken bei dieser Geschichte, die so schrecklich und unerhört ist, so konsequent und schelmenhaft, dass man die Augen nicht von der Leinwand wenden kann, bis zum allerletzten Schlenker.
Thomas Schultze.