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Fakten und Hintergründe zum Film "Habermann"

Fakten und Hintergründe zum Film "Habermann"

Mehr zum Film? Wir haben die wichtigsten Hintergründe und Fakten für Dich gesammelt: detaillierte Inhaltsangaben, Wissenswertes über die Entstehung des Films, ausführliche Produktionsnotizen. Klick rein!

Über die Produktion

Ohne jegliche Übertreibung kann man sagen, dass HABERMANN ein besonderer Spielfilm von einer wahrhaft historischen Bedeutung ist. Es handelt sich bei der Geschichte rund um einen jungen Sägewerksbesitzer im Sudetenland, der in den Dreißiger- und Vierzigerjahren mit seiner Familie in einen verhängnisvollen Strudel aus Fanatismus, Gewalt, Neid, Hass und Rache gerät, um die erste deutsch-tschechische Koproduktion zum Thema Vertreibung der Sudetendeutschen. Gerade in der Tschechischen Republik wurde das heikle Sujet bis vor wenigen Jahren noch totgeschwiegen. Erst allmählich beginnt man dort mit der zögerlichen Aufarbeitung dieses Kapitels der eigenen Vergangenheit. „Es ist interessant, dass gerade in der Zeit, in der wir HABERMANN vorbereiteten, das Thema Sudetendeutsche in der tschechischen Öffentlichkeit allmählich kein Tabu mehr war, sondern zu einem aktuellen Gesprächsstoff geriet“, meint Regisseur Juraj Herz dazu.

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„Plötzlich gab es erste Dokumentationen und Diskussionsrunden dazu im Fernsehen, und man konnte Filmausschnitte sehen, in denen Deutsche erschossen wurden. Wir haben eigentlich nur ein in der Luft liegendes Thema zur rechten Zeit aufgegriffen“, erklärt Herz.

Die Grundlage für Drehbuch und Spielfilm bildet ein in Tschechien erschienener Roman des dort beliebten Schriftstellers Josef Urban. Der in München lebende Produzent Karel Dirka rief seinen Freund Juraj Herz an, mit dem er schon viele Produktionen gemeinsam erarbeitet hatte, und sagte dem Regisseur, er möge sich doch einmal Urbans Roman ansehen. Herz erinnert sich: „Als ich das Buch gelesen hatte war mir klar: Das ist ein großartiger Stoff, der dringend verfilmt werden müsste.“ Herz zögert nicht: „Ich rief Karel Dirka sofort an und sagte: ‚Da steige ich ein.‘ Aber oft genug wollte ich im Laufe der folgenden Monate beinahe wieder aussteigen, weil es so kompliziert war, aus dem für sich stehenden, großartigen Roman ein eigenständiges, verschiedene Perspektiven berücksichtigendes Drehbuch zu verfassen.“

Die größte Schwierigkeit beim Erstellen des Skripts war, dass der Film keinesfalls nur eine einzige Sicht auf die Ereignisse zeigen sollte. HABERMANN versucht, eine ausgewogene, alle beteiligten Parteien angemessen abbildende Nacherzählung der damaligen Ereignisse zu sein.

Herz und sein Produktionsteam lasen sich in die entsprechende Fachliteratur ein und sprachen mit vielen Zeitzeugen, tschechischen wie deutschen, um eine möglichst facettenreiche Ansicht der damaligen Zeit erstellen zu können. „Sehr vieles von dem, was uns die Menschen erzählt haben, ist in die Darstellung eingeflossen“, berichtet Herz. „Wir wollten ein glaubwürdiges und wahrhaftiges Bild des Sudetenlandes der Dreißiger- und Vierzigerjahre zeigen. Es sollte alles realistisch sein. So realistisch wie nur möglich. So dass der Film beiden Seiten gerecht wird. Das war uns besonders wichtig: Keinesfalls die Ereignisse einseitig darstellen.“

Anfangs war Herz skeptisch, ob die Anfangsszenen im Drehbuch und im Film nicht zu drastisch ausgefallen sind. Aber nach den Gesprächen mit Menschen, die die Vertreibung der Deutschen miterlebt hatten, war ihm klar: „In Wirklichkeit waren die Stunden, die diese Leute nach Kriegsende durchzustehen hatten, noch weitaus schrecklicher und grausamer. Es gab überall Hass, Angst, Tod und Gewalt. Da die meisten Sudetendeutschen wohlhabender waren als die benachbarten Tschechen, ging es oftmals schlichtweg ums Geld. Die Leute wollten sich einfach bereichern und sahen dazu in dieser Vertreibungsphase eine geeignete Chance.“

Vom Roman Urbans ist letztlich nur ein Grundgerüst geblieben: Die Hauptfigur Habermann, der als Sägewerks- und Mühlenbesitzer im Sudetenland tatsächlich existierte, und die Tatsache, dass er verheiratet war und Familie hatte. „Die Figur von Jana Habermann beispielsweise haben wir oft verändert. Erst war sie eine Deutsche, dann eine Tschechin, dann eine Halbjüdin. Das ging immer hin und her, aber ich denke, mit der endgültigen Fassung waren wir letztlich alle sehr zufrieden“, resümiert Herz die langwierige Planungsphase. „Ingesamt hat das gesamte Projekt glaube ich wenigstens drei Jahre gedauert. So genau kann ich es gar nicht mehr sagen“, erinnert sich Herz amüsiert, „man lebte einfach damit. In der Zwischenzeit habe ich zwei andere Filme gedreht. Aber ich wusste immer, HABERMANN wird ein richtig toller Film werden und aus der ganzen Anstrengung wird etwas sehr Gutes herauskommen. Denn Karel Dirka und ich kennen uns schon sehr lange und haben ein äußerst enges Vertrauensverhältnis zueinander. Ich kenne ihn, seitdem er zehn Jahre alt war, und wir wissen immer, was man vom anderen erwarten kann und müssen uns nie etwas vormachen. Man kann sich einfach bedenkenlos aufeinander verlassen. Und deswegen war trotz aller Schwierigkeiten zwischendurch immer klar: HABERMANN wird etwas ganz Besonderes werden.“

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Innerhalb von 40 Tagen drehte Herz mit seinem Team HABERMANN, vorwiegend im Westen und Osten der Tschechischen Republik. Im eigentlichen Sudetenland in Mähren fanden überraschenderweise gar keine Dreharbeiten statt. Der Regisseur erklärt: „ Der Film HABERMANN steht ja exemplarisch für alle Orte des Sudetenlandes, in denen damals Deutsche lebten und sich ähnliche Vorfälle ereigneten. Daher fand ich es sinnvoll, auch einen exemplarischen Ort zu konstruieren, den man nicht als eine bestimmte Stadt identifizieren kann.“ Ein größeres Problem war es, ohne eigens angefertigte Bauten auszukommen. Das war Herz sehr wichtig, und die Suche nach den geeigneten Schauplätzen für HABERMANN nahm längere Zeit in Anspruch. Doch die Mühe des Teams hat sich gelohnt: HABERMANN ist ein historischer Spielfilm, der ohne jede Kulisse auskommt. Sogar die Mühle, das Sägewerk und das Haus, in dem Habermann im Film wohnt, lagen idealerweise ähnlich nah beisammen wie es sich Juraj Herz erträumt hatte. „Alles war echt und glücklicherweise vollkommen intakt. Man konnte alles noch benutzen. Die Inneneinrichtungen haben wir selbstverständlich etwas verändert. Aber wir haben nichts extra gebaut“, betont Herz.

Doch nicht alles während der Dreharbeiten ließ sich so problemlos an wie die Suche nach den passenden Locations. Ständiger Regen erschwerte jeden Drehtag. „Das waren gar keine normalen Schauer mehr, das waren regelrechte Wolkenbrüche“, erinnert sich Herz. „Manche Teile der Dekoration mussten wir ständig ersetzen, der Sand, der in einigen Szenen auf dem Boden sein sollte, wurde permanent weggespült. Der Regen hat schon vieles erschwert.“ Im Nachhinein aber hat sich Herz mit seinem Schicksal während der Dreharbeiten überraschenderweise noch versöhnen können: „Heute denke ich, der ständige Regen war doch ganz gut. Zu viel Sonne hätte HABERMANN einen seltsam schiefen Eindruck verliehen. Die Atmosphäre wäre bei ständigem Sonnenschein nicht so leicht wolkenverhangen geworden, wie sie sein sollte und wie sie jetzt tatsächlich geworden ist.“

Dass HABERMANN trotz eines leicht holperigen Starts und schlechten Wetters während der Dreharbeiten letztlich genau so wurde, wie ihn sich Regisseur und Produzenten vorgestellt hatten, lag auch an den großartigen Darstellern, die Herz vor der Kamera hatte. Sogar Komparsenrollen sind durchweg mit exzellenten Darstellern besetzt. „Die spielen sonst auf tschechischen Bühnen ihren Shakespeare“, erläutert Herz seine Besetzungscoups, „aber ich kenne die meisten schon sehr lange, oder ich kenne bereits ihre Väter, und weil wir alle befreundet sind, drehen sie alles, was ich will.“

Ansonsten weigert sich Herz, Schauspieler für seine Produktionen mit den üblichen Casting-Verfahren auszuwählen: „Ich mache grundsätzlich keine Testaufnahmen. Das bringt meiner Meinung nach überhaupt nichts, sondern kostet alle Beteiligten nur viel Zeit. Ich gehe meiner Nase nach, und auf die kann ich mich verlassen. Entweder man gewinnt oder verliert damit. Ich habe meistens gewonnen. Wenn man mit Schauspielern probt, hat das zu 99 Prozent keine Aussagekraft. Wenn ich mit ihnen spreche, über die Rolle und über das Leben, dann findet sich alles sehr schnell, wenn man erst einmal merkt, dass man Draht zueinander hat.“

Die Rolle des August Habermann war am schwierigsten zu besetzen, da es einerseits ein junger Schauspieler sein musste, der andererseits aber auch die Vielschichtigkeit besitzt, diesen komplexen Charakter zu spielen. Und gut aussehen sollte er auch noch. „Mark Waschke wurde mir vom Produzenten vorgeschlagen. Ich habe mir angesehen, was er bisher gedreht hat, und nach einem Treffen war eigentlich alles klar“, fasst Herz die Auswahlprozedur seines Titelhelden zusammen. Aber auch die anderen deutschen Schauspieler, von denen Juraj Herz vorher nur wenige kannte, haben ihn sofort begeistert.

Hannah Herzsprung faszinierte Herz, seitdem er sie in VIER MINUTEN gesehen hatte und „nicht mehr vergessen konnte“. Von Franziska Weisz war der Regisseur ebenfalls sofort begeistert. Aber der erfahrene Filmemacher zögerte, der jungen österreichischen, bereits ausgezeichneten Darstellerin so eine kleine Rolle zu geben. Er erzählt: „Ich fragte sie: ‚Warum willst du unbedingt diese Figur spielen?‘ Und sie antwortete: ‚Meine Eltern sind von dort.‘ Da ich sofort verstand, was sie meinte, habe ich mich bemüht, ihren eigentlich noch winzigeren Part im Rahmen des Möglichen noch etwas zu vergrößern. Denn ich finde Franziska Weisz einfach großartig.“

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Ähnlich beeindruckt war Juraj Herz von Ben Becker. „Mit ihm wollte ich schon seit zehn oder fünfzehn Jahren etwas drehen. Und auch wenn der Produzent anfangs noch Bedenken hatte, weil Becker ja nicht als ganz einfacher Typ gilt, hat sich mein Instinkt als richtig erwiesen. Mit keinem Menschen am Set hatte ich so wenige Probleme wie mit ihm. Wir wurden während der Dreharbeiten wunderbare Freunde. Nach der letzten Einstellung war er gerührt und weinte. Ich möchte unbedingt wieder mit ihm arbeiten und bereite gerade einen Film vor, bei dem er dabei sein soll.“

Hintergrund: Das Sudetenland

Der Begriff Sudetenland ist eine vor 1918 nur sporadisch gebrauchte Bezeichnung für das deutsche Siedlungsgebiet in den böhmischen Ländern (Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien). Die ca. 3,5 Millionen deutschsprachigen Einwohner dieser böhmischen Länder bezeichnete man erst seit etwa 1900 als Sudetendeutsche, vorher nannte man sie noch Deutsch-Böhmer, Deutsch-Mährer, Österreicher, etc.

Von der Monarchie zur Provinz

Bis 1918 waren die böhmischen Länder ein Teil der Österreichischen Monarchie. Im Oktober 1918 riefen die Deutschen der erwähnten böhmischen Länder die „deutschösterreichische Provinz Sudetenland“ aus, die wesentlich kleiner war als das später mit dem gleichen Begriff bezeichnete Gebiet. Diese trat im November 1918 der Republik Deutschösterreich bei. Die Selbstbestimmungswünsche waren gegen die Siegermächte des Ersten Weltkrieges nicht durchsetzbar: Während die deutschen Kriegsheimkehrer der k.u.k.-Armee abrüsteten, gründeten die tschechischen die Armee ihres neuen Staates und beanspruchten die historischen Grenzen der Länder Böhmen, Mähren und Österreichisch-Schlesien, auf deren gesamte Gebiet die Tschechoslowakei errichtet wurde.

Von nun an bis 1938 war das Sudetenland Teil der Tschechoslowakei, am 10. September 1919 durch den Vertrag von Saint-Germain noch einmal bestätigt. Im neuen Vielvölkerstaat Tschechoslowakei verfügten sämtliche Völker über eigene politische Parteien, eine Vertretung im Parlament, über ein eigenes Schulsystem, und Abgeordnete im Parlament hielten ihre Vorträge in ihrer jeweiligen Muttersprache. Die Sudetendeutschen (Deutschböhmen) bildeten die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (ČSR) nach den Tschechen und vor den Slowaken. Vor allem um die Mehrheit des Staatsvolks größer erscheinen zu lassen, galten Tschechen und Slowaken allerdings als ein Volk, und die slowakische Sprache wurde von nun an besonders gefördert. Den Deutschen, wie auch den Ungarn, Polen oder Ruthenen, wurden zwar Minderheitenrechte zugestanden, aber keine regionale Autonomie.

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Zeitweise ließen die Spannungen innerhalb der verschiedenen Bevölkerungsteile nach und in zwei Wahlen in den 1920er Jahren stimmten die deutschen Bürger der Tschechoslowakei mehrheitlich für Parteien, die die Integration befürworteten. Viele Sudetendeutsche lehnten aber weiterhin eine Zugehörigkeit zur Tschechoslowakei ab.

Mehr noch: Am 1. Oktober 1933 wurde um Konrad Henlein die Sudetendeutsche Partei (SdP) gegründet. Anfangs setzte sich die Partei nur für eine größere Autonomie des Sudetenlandes ein, gestützt auf vertragliche Zusicherungen der Tschechoslowakei. Nach Absprache mit Hitler orientierte sich die Partei später zunehmend an Hitler und den Nationalsozialisten (NSDAP) im benachbarten Deutschen Reich.

„Lebensraum im Osten“

Abgeschirmt von der Öffentlichkeit erklärte Hitler im November 1937 den Oberbefehlshabern der Wehrmacht, dass der Anschluss Österreichs und der Tschechoslowakei die nächsten Schritte auf dem Weg zum Lebensraum im Osten seien1. Im April 1938 bekräftigte Hitler gegenüber der Wehrmacht seinen Plan, „die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine Militäraktion zu zerschlagen“2. Auf diesem Weg zu der von ihm so proklamierten „Lösung der deutschen Raumfrage“3 war die SdP ein willfähriger Partner. Henlein wurde beauftragt, die tschechoslowakische Regierung mit Maximalforderungen der Sudetendeutschen zu konfrontieren, um die innenpolitische Krise anzuheizen.

Immer stärker unter Druck, verkündete die Tschechoslowakei im Mai 1938 mit dem Hinweis auf Kenntnisse eines unmittelbar bevorstehenden deutschen Angriffs die Mobilmachung. Die Bündnispartner Frankreich und England waren im Zugzwang und bekundeten ihre Unterstützung. Deutschland seinerseits forcierte die Krise und versetzte die Wehrmacht in Bereitschaft.

Reichsgau Sudetenland

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Mit dem Münchner Abkommen vom 30. September 1938 konnten die britische und französische Regierung unter Vermittlung Mussolinis verhindern, dass Hitler die tschechischen Randgebiete mit Waffengewalt an sich riss. Aber von seinem Ziel konnten sie ihn nicht abhalten: Am 1. und 2. Oktober 1938 wurde die Annexion des Sudetenlandes vollzogen. 3,63 Millionen Einwohner, die in diesem Gebiet lebten (davon etwa 2,9 Mio. deutsche und 0,7 Mio. Tschechen) wurden mit sofortiger Wirkung „heim ins Reich“4 geholt. Durch ein Gesetz vom 14. April 1939 wurde der „Reichsgau Sudetenland“ mit der Hauptstadt Reichenberg geschaffen. Er bestand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945.

Die tschechische Regierung durfte natürlich an den Verhandlungen in München 1938 nicht teilnehmen und bezeichnete noch viele Jahrzehnte später das Abkommen immer als „Münchener Diktat“ oder auch als „Münchener Verrat“5.

Zweiter Weltkrieg und Beneš-Dekrete

Unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkrieges gründete der ehemalige tschechoslowakische Präsident Eduard Beneš das tschechoslowakische Nationalkomitee, das sowohl von der britischen als auch der französischen Regierung bestätigt wurde. Nach dem deutschen Sieg über Frankreich im Juni 1940 erkannten die Briten die Gruppe um Beneš als tschechoslowakische Exilregierung und Beneš als Präsidenten an. In dieser Position verstärkte Beneš seine Anstrengungen hinsichtlich der vollständigen Wiedererrichtung der Tschechoslowakei unter Einschluss des Sudetenlandes und der Ausweisung der Minderheitsbevölkerungen der Deutschen, Ungarn und Polen.

Bereits weit vor Kriegsende erreichte Beneš von den Westalliierten die grundsätzliche Zustimmung zu seinen Entrechtungs- und Vertreibungsplänen. Die darauf abzielenden und später als Beneš-Dekrete bekannt gewordenen Gesetze und Verordnungen wurden von Beneš größtenteils schon ab 1943 formuliert.

Vertreibung

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde das Sudetenland wieder in die Tschechoslowakei eingegliedert. Und man begann zügig damit, die bereits entwickelten Pläne zur Vertreibung und Entrechtung der Deutschen in die Tat umzusetzen.

Beneš verkündete die Beneš-Dekrete, die die Enteignung und Entrechtung der Sudetendeutschen und Ungarn anordneten (bei den Ungarn wurde die Entrechtung 1948 aufgehoben). Deutsche, die ihre antifaschistische Gesinnung nicht zweifelsfrei nachweisen konnten, wurden mit einem „N“ (für „Nemec“ = „Deutscher“) gekennzeichnet und vertrieben („zwangsausgesiedelt“). Sie wurden in Arbeitslager gebracht, um z. B. in Kohlegruben, Gradierwerken und auf Bauernhöfen unentgeltlich und bei minimaler Verpflegung zu arbeiten, und dann zwangsausgesiedelt. Bezüglich der Ungarn wurde schließlich lediglich ein teilweiser Bevölkerungsaustausch gegen Slowaken aus Ungarn durchgeführt.

Insgesamt wurden 3 Millionen der knapp über 3,2 Millionen Sudetendeutschen vertrieben. Bei spontanen Massakern kamen viele Deutsche um, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Etwas über 240.000 Tote sind anzunehmen. Nach verschiedenen Bevölkerungsbilanzen hat sich die Zahl der Sudetendeutschen zwischen Anfang Mai 1945 und den beiden Volkszählungen in der Bundesrepublik und der DDR vom August und September 1950 um über 200.000 vermindert.

Nach der Vertreibung

Nach der Vertreibung der rund drei Millionen Sudetendeutschen wurden die böhmischen und mährischen Randgebiete von rund einer Million neu angesiedelten Tschechen aus dem böhmisch-mährischen Landesinneren, die vor allem mit sozialen Aufstiegsmöglichkeiten angelockt wurden, 600.000 bereits vor dem Krieg ansässigen Tschechen, 200.000 sogenannten Repatrianten – aus dem Ausland (Ukraine, z. B. Wolhynientschechen, Österreich, Westeuropa) zugewanderte Tschechen –, 200.000 neu angesiedelten Slowaken, 200.000 verbliebenen Deutschen, von denen viele in den folgenden Jahren auswanderten, und einigen Tausend Angehörigen weiterer Nationalitäten wie Roma (einige Quellen sprechen von mehreren 100.000 angesiedelten Roma, siehe hierzu auch den Hauptartikel Roma in Tschechien und der Slowakei), Ungarn und Rumänen bewohnt. Somit wohnten rund 2,5 Millionen Einwohner in den betreffenden Gebieten, wobei einige strukturstärkere Orte ein sehr starkes Bevölkerungswachstum erlebten, während andere, eher strukturschwache Orte schrumpften oder gar nicht wiederbesiedelt wurden.

Die meisten Neusiedler erhielten den Zuschlag auf die jeweilige zuvor von Sudetendeutschen oder Ungarn enteignete Immobilie unentgeltlich über ein Auslobungsverfahren, welches die Regierung unter der tschechischen und slowakischen Bevölkerung durchführte. Einzelne nahmen Häuser noch unter Anwesenheit der Vorbewohner gewaltsam in Besitz. Weiterhin wurden etwa 44.000 Ungarn in das verlassene Sudetenland zum Arbeitsdienst deportiert. Nach ein bis zwei Jahren wurde den Ungarn erlaubt, in die Südslowakei zurückzukehren, was auch rund 24.000 von ihnen taten.

Durch die Neuverteilung der geräumten Immobilien kam es bei vielen Tschechen „als Ausgleich für durch die Nationalsozialisten verübtes Unrecht“6 zu einem erheblichen Wohlstandszuwachs. Bis heute sorgt dieses Thema für Spannungen zwischen den Regierungen Österreichs, Deutschlands und Ungarns einerseits und der tschechischen Regierung andererseits.

Am 27. Februar 1992 wurde zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland ein Vertrag über die freundschaftliche Zusammenarbeit geschlossen.

Die Entspannungspolitik der Gegenwart hat mittlerweile zwar Früchte getragen, von einer endgültigen Aufarbeitung des Themas kann aber leider noch keine Rede sein. Doch die deutsch-tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und deren künftige Entwicklung vom Januar 1997 ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Und auch das alljährliche Treffen der Sudetendeutschen beim Sudetendeutschen Tag hat sich verändert: Während in den Anfängen in den Fünfzigerjahren stark das erlittene Unrecht im Vordergrund stand, spielt heute der Völker verbindende europäische Gedanke eine immer größere Rolle.

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