Gewalt steht im Mittelpunkt von Michael Hanekes uvre; und um Gewalt dreht sich auch alles in den Dorfgeschichten, die Haneke im Cannes-Gewinner Das weiße Band erzählt. Nicht die offene Gewalt ist es, die ihn dabei vor allem interessiert, und schon gar nicht deren Darstellung, die so oft ins Reißerische kippen kann, durch die der Zuschauer sich so gerne ins Voyeuristische verleiten lässt.
Nein: die geheimnisvollen Gewaltakte, die die Bewohner von Eichwald aufschrecken, all die merkwürdigen Quälereien des Dorfarztes, des Baron-Sprößlings, des behinderten Kindes all das zeigt er nicht, das belässt er im Rätselhaften. Als eine Art Einbruch des Bösen in die Dorfgemeinschaft erscheinen die Vorfälle zunächst, der Reitunfall des Arztes, hervorgerufen durch ein im Garten gespanntes Drahtseil, oder die Folterungen des Sohnes des Barons und des behinderten Kindes der Hebamme. Doch das Dorf, das dann so sehr um den Frieden im Miteinander fürchtet, ist natürlich in seinem Innersten gar nicht friedlich, und das zeigt Haneke frontal.
Es geht in im Weißen Band um die gesellschaftlich akzeptierte Gewalt, um die autoritären Strukturen, um Hierarchien und festgefügte Ordnungen, in denen die Gewalt zementiert ist. Der Pfarrer impft seinen Kindern im Namen Gottes Schuldgefühle ein, Bestrafungen sind ebenso ritualisiert wie die Gute-Nacht-Küsse; das titelgebende weiße Band, das er seinen beiden Ältesten um die Arme bindet, soll sie stets zum Artigsein herausfordern das, was er als artig definiert. Zugleich sind diese Bänder nach außen ausgedrückte Zeichen der Sündhaftigkeit.
Der Baron ist jähzornig, sein Gutsverwalter tritt einmal seinen Sohn halbtot, ein abhängiger Bauer ist vom Tod seiner Frau kaum berührt, wohl aber von der übergroßen Trauer seines Ältesten, den er deshalb verurteilt. Und der Arzt, dieser geile Bock
man kann gar nicht davon sprechen.
Diese stetige Atmosphäre von Gewalt, von Distanz, von Autorität und Macht zeigt Haneke in ausgesucht künstlich arrangierten Bildkompositionen. Diese wiederum reiben sich in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis mit dem Realismus, mit dem Haneke den Alltag des Lebens im Dorf zeigt, die Arbeit auf dem Feld, die Freizeitvergnügen von Sticken bis Hausmusik, das stetige Mitführen von Lampen, die ihr schwaches Licht kaum gegen das Dunkel der Stuben behaupten können.
Und erzählt wird dies alles im Ton der literarischen Hochsprache des 19. Jahrhunderts, der Chronist ist der junge Dorfschullehrer, der als alter Mann von den Ereignissen erzählt am Vorabend des Ersten Weltkriegs, die vielleicht ein kleines Licht auf die Vorgänge in Deutschland überhaupt werfen mögen
Eine große Perspektive freilich lässt Haneke außen vor, ebenso wie er genau wie sein Chronist jedes Moralisieren vermeidet. Womit auch der Gefahr entgangen wird, historische Ereignisse aus dem Licht der nachfolgenden Generationen rückblickend zu deuten. Dass hier keine Erklärungen gegeben werden, die dem Zuschauer ein Einordnen sowohl was das Moralische angeht als auch das große Ganze des Historischen erleichtern würden: Das ist das große Verdienst dieses Films, und überhaupt von Hanekes Filmwerk, das eben durch das reine Zeigen ohne vordergründige Bewertung seine beklemmende Kraft gewinnt.
Dabei sind all diese kleinen Dorfepisoden, die hier gezeigt werden, durchaus mit einem Sinn unterlegt, der weiter geht als ihre reine Verbindung miteinander durch Ort und Zeit, in der sie spielen, und als ihre Verknüpfung zueinander durch das Thema der Gewalt, mit der sie spielen. Der Sinn steckt zwischen den Zeilen, beziehungsweise im Untertitel des Films, in Sütterlin geschrieben: Eine deutsche Kindergeschichte. Wahrscheinlich. Möglicherweise. Man muss selbst sehen, um zu entscheiden.
Fazit: Michael Haneke hat mit diesem Film zurecht die Goldene Palme in Cannes gewonnen: Episoden in einem deutschen Dorf 1913 ergeben ein Panorama, hinter dem die stets gegenwärtige Gewalt hervorlugt.