Tötet Mrs. Tingle!: Teenrachefantasie von "Scream"-Skripter Kevin Williamson um drei Schüler, die ihre unausstehliche Lehrerin zu Besserem bekehren wollen.
Drehbuchautor Kevin Williamson wird seit dem phänomenalen Erfolg des postmodernen Teenschockers „Scream“ die Renaissance des Horrorfilms zugeschrieben. Zwei „Scream“-Sequels, „Ich weiß, was Du letzten Sommer getan hast 1&2“ sowie die TV-Kultserie „Dawson’s Creek“. Später begab sich der Horrormaestro erstmals hinter die Kamera und inszenierte sein mit Spannung erwartetes Regiedebüt. Dabei entfernt er sich von der typischen Erfolgsformel, sondern läßt sich für seine Rachefantasie im Stil von „Heathers“ von Suspensemeister Alfred Hitchcock inspirieren.
Natürlich fehlt es auch hier nicht an einer hippen Besetzung, die jugendliche Gesichter (allen voran „Dawson’s Creek“-Beauty Katie Holmes), aber auch Veteranen wie Helen Mirren und in einer kleinen Nebenrolle Molly Ringwald, einstige Teenikone aus „Breakfast Club“, umfaßt. Während der Originaltitel „Killing Mrs. Tingle“ in den USA aufgrund des Schulmassakers von Littleton gestrichen und mit einer weniger offensiven Variante ersetzt wurde, behält man den pfiffigeren Titel in der deutschen Fassung bei. Anlaß zur Aufregung wird der Film nicht bieten, denn das fertige Produkt zeigt als groteske Variante von „Der Musterschüler“ nicht allzu viel, was die Gemüter erhitzen könnte.
Die Schülerin Leigh Ann ist auf einen perfekten Notendurchschnitt angewiesen, um ein College-Stipendium zu erhalten. Ihre Geschichtslehrerin Mrs. Tingle - eine sarkastische Bißgurke, vor der sich Schüler und Kollegen gleichermaßen fürchten - kann das fleißige Mädchen aus armen Verhältnissen jedoch nicht ausstehen. Als sie Leigh Ann, ihre Freundin Jo Lynn (Marisa Coughlan, die auch in Williamsons kommender TV-Serie „Wasteland“ eine Hauptrolle spielt) und deren Schwarm Luke (Schönling Barry Watson) in einer prekären Situation ertappt, die darauf hindeutet, daß Leigh Ann bei der Abschlußprüfung schummeln wollte, kann Mrs. Tingle ihre Genugtuung kaum verbergen. Da ihre gesamte Zukunft auf dem Spiel steht, begibt sich Leigh Ann mit ihren Freunden zum Haus der unnachsichtigen Schreckschraube, um ihre Unschuld zu beweisen. Doch schon nach kurzer Zeit eskaliert die Situation, und der Drache findet sich an sein Bett gefesselt wieder. Ein erbitterter Psychokrieg beginnt.
Im Gegensatz zum ähnlich konzipierten, aber aufgrund diverser Subtexte tiefgründigeren Stephen-King-Drama „Misery“ kann Williamson dem pikanten Stoff nicht allzu viel Komplexität abgewinnen. Das ist auch der Spannung abträglich, zumal Mrs. Tingle von ihrer unbequemen Situation, die nie sonderlich gefährlich wirkt, kaum aus der Fassung gebracht wird. Das Opfer behält trotz Fesseln die Oberhand. Es gelingt der Manipulatorin, einen ihrer Kidnapper auf ihre Seite zu ziehen, indem sie seine Eifersucht schürt. Eifersucht und auch (Sozial-)Mißgunst sind für Williamson hier zentrale Themen, der der Lehrerin Neid auf ihre Schüler unterstellt und Leigh Anns erbitterte Rivalin Trudy (Liz Stauber) ständig ihre soziale und intellektuelle Überlegenheit verkünden läßt. Eine Hommage an „Der Exorzist“, in der Coughlan Linda Blairs berühmte Besessenheitsszene auf dem Bett imitiert, wirkt zwar nicht besonders clever, ist aber ein optimaler Showcase für die junge Darstellerin. Im lebhaften Treiben fällt auf, daß nicht nur Williamsons altbekannte Kulturreferenzen nicht mehr so originell wirken wie vor zwei Jahren, auch seine einstmals so bissigen Dialoge offenbaren hinter ihre Eloquenz mittlerweile eine Leere und Misanthropie, die seine Figuren eindimensional wirken lassen. Der Filmemacher hat das Problem wohl erkannt, aber der wilde Mix von Slapstick, zahmer Sexklamotte und pechschwarzem Humor will dennoch nur bedingt zünden. Während es amerikanische Teens offenbar vorzogen, ihre Filmstunde mit Herr Williamson zu schwänzen, könnten in Deutschland im Zuge des gegenwärtigen Teeniebooms durchaus solide Erfolge verzeichnet werden. Für die Zukunft sollte Williamson sein mittlerweile durchschaubares Erfolgsrezept alsbald variieren, sonst könnte er schnell so mausetot sein wie das Horrorgenre, bevor er sich ihm mit „Scream“ annahm. ara.