The Million Dollar Hotel: Poetische, komisch-melancholische Liebesgeschichte vor dem Hintergrund eines verzwickten Kriminalfalls.
Wim Wenders 20. Film in seiner 30jährigen Regie-Karriere eröffnet die 50. Berlinale. Ein guter Griff von Moritz de Hadeln, nicht nur wegen der schönen Jubiläumszahlen. Denn dieser Trip in die skurrile Welt von Downtown Los Angeles im Jahre 2001 ist atemberaubendes Kino, besticht durch Bildgewalt, Atmosphäre und stimmige Besetzung. Und Mel Gibson als cooler Cop mit seelischen Blessuren zeigt sich von einer ganz neuen Seite.
Es war ein weiter Weg von Paris, Texas bis zum Million Dollar Hotel und dem blauen Himmel über Los Angeles. Aber er hat sich gelohnt, gelingt es Wenders nach seinem Kassenknüller „Buena Vista Social Club“ erneut, nicht nur Kopf, sondern auch Gefühle anzusprechen. Als Ort des Geschehens dient die frühere Luxusherberge an der Ecke Main Street und Fifth Street, die inzwischen „Frontier Hotel“ heißt, ein Unterschlupf für Spinner, Drogendealer, Crack-Abhängige und Kleinkriminelle. Um die Gegend macht man lieber einen Bogen, besonders nachts. Die Stadt der Engel zeigt ihre dunkle Seite, hier treffen sich die Outcasts, die nichts mehr zu verlieren haben als sich selbst, Hollywood mit seinen Schönen, Reichen und Berühmten ist in weiter Ferne, so nah. In der heruntergekommenen Absteige haust ein verschworenes Häuflein Freaks, „crazy people“ eben. Als einer von ihnen, Junkie Izzy vom Dach stürzt, gerät der chaotisch-geordnete Mikrokosmos aus den Fugen. Normalerweise juckt so ein Todesfall niemanden, schließlich hantiert man hier nicht mit Samthandschuhen. Aber der Süchtige entpuppt sich als Sohn eines milliardenschweren Medienmoguls, da steht die Presse auf der Matte und bald auch Skinner, ein harter Cop, der rausfinden will, ob es Mord, Unfall oder Suizid war. Jeder Bewohner des Narrenschiffs scheint verdächtig.
Im Mittelpunkt steht der naive und leicht debil wirkende Tom Tom, der sein Herz an das Straßenmädchen Eloise verloren hat, die wie ein Schatten lebt und sich hinter anderen Menschen versteckt. Um sie herum bewegt sich ein Panoptikum von ausgeflippten Stammgästen, u.a. ein Typ, der glaubt, ein verkanntes Mitglied der Beatles zu sein, ein versoffener Ex-Hollywoodagent, der sich an die Insignien vergangener Größe klammert, eine vitale 80-Jährige, ein schräger Prophet über Leben und Tod, ein durchtriebener „Künstler“, der auf Kosten des Verstorbenen mit seinen Bildern ein Geschäft machen will, eine abgetakelte Lady, die sich einbildet, Izzys Verlobte gewesen zu sein. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn verschwimmen, zwischen Vertrauen und Verrat, zwischen Opfern und Tätern.
Nach einer Idee von U2-Sänger Bono entwirft Wenders ein Tollhaus verrückter Typen. Dieser Ensemblefilm ist bis in die kleinste Nebenrolle optimal besetzt, gut austariert das Dreieck Detective und Liebende: Jeremy Davies als scheinbar tumber Tor Tom Tom rührt in seiner Unschuld und Verletzbarkeit, Milla Jovovich strahlt als Eloise Trauer und tragische Würde aus, Mel Gibson mimt manisch den skrupellosen FBI-Agenten, der realisiert, dass ihn mit den Außenseitern viel mehr verbindet als er sich eingesteht. In einem High-Tech-Stützkorsett eingezwängt symbolisiert er rigides Verhalten und Unflexibilität. während sich seine Kontraparts flexibel wie Fische im Wasser bewegen. „The Million Dollar Hotel“ ist mehr als nur ein Krimi aus L.A., ist gleichzeitig bewegender Liebesfilm und schmerzhafte comédie humaine. Die Fabel über die Macht der Liebe spiegelt auch ein immer wiederkehrendes Wenders-Motiv wieder, die Unfähigkeit, Liebe zu geben und zu empfangen. Der 55-Jährige erzählt von rückhaltloser Liebe, von der Sehnsucht nach Glück und vom Verlust des „american dream“. Seine Helden sind im Lauf der Zeit an der Realität zerbrochen, lassen sich aber nicht auspunkten, sondern stehen irgendwann taumelnd wieder auf, der Kampf geht weiter. Der Alptraum Leben hindert sie nicht am Träumen. In größter Hoffnungslosigkeit schafft Wendes poetische Momente. Kameramann Phedon Papamichael, der mit ihm schon an einigen Werbespots arbeitete, verführt mit suggestiver Bildkraft, schon die ersten Einstellungen - die Kamera kreist im Morgengrauen um Wolkenkratzer, der Moloch L.A. erwacht langsam, auf dem Dach des Hotels fällt ein junger Mann eine einsame Entscheidung - läßt keinen Zweifel an dem Willen zum großen Kino. „The Million Dollar Hotel“ ist der beste Wenders seit „Paris, Texas“. Für dieses Meisterwerk sollten nicht nur Cineasten bis ans Ende der Welt gehen. mk.