Tatort: Stille Wasser: Kommissarin Lürsen nistet sich undercover in einer Bremer Hochhaussiedlung ein, um ein kleines Mädchen zu beschützen und gleichzeitig den Mörder seiner Eltern zu fassen.
Beim „Tatort“ von Radio Bremen kann man nie wissen, was einen erwartet. Weil der Minisender pro Jahr nur einen Sonntagstermin hat, soll es zumindest jedes Mal ein besonderer Film sein.
Das klappt nicht immer, zumal die zurückhaltende Sabine Postel im Vergleich zu ihren Kommissarskolleginnen stets etwas unscheinbar wirkt. Immerhin: Wenn der in nahezu allen Krimireihen versierte Thorsten Näter (zuletzt „Eine Nacht im Grand Hotel“) am Werk ist, darf man mit fesselnden Filmen rechnen, in denen es gern auch mal zur Sache geht. „Stille Wasser“ allerdings wird seinem Titel vollauf gerecht: Näter (Buch und Regie) erzählt die Geschichte als Kammerspiel.
In den meisten Krimis entsteht die Spannung durch die Suche nach dem Täter. Hier ist es genau andersrum: Nach der Ermordung ihrer Eltern schwebt die kleine Nadine in Lebensgefahr, denn sie hat den Täter vermutlich gesehen. Jedenfalls schweigt sie seither eisern. Und weil Hauptkommissarin Inga Lürsen davon ausgeht, dass der Mörder die Zeugin beseitigen will, gibt sie sich kurzerhand als Tante aus und wartet wie die Spinne im Netz.
Da der Film in einer Hochhaussiedlung spielt, versucht die Ermittlerin, sich ihrer Umgebung anzugleichen. Klamotten, für die sie entschieden zu alt ist, Kaugummi, Zigaretten, ein Flair von Brandy: schon ist sie fertig, die Vorortfrau. Mit mehr Feingefühl inszeniert Näter die zaghafte Annäherung zwischen Lürsen und dem Mädchen. Sina Montpetain muss in ihrer ersten Rolle vor allem verschreckt dreinschauen, aber das spielt sie ebenso überzeugend wie die vorsichtige Öffnung Nadines, die immer mehr Zutrauen zur Kommissarin fasst. Ob Kinderpsychologen die Idee gut fänden, mit dem traumatisierten Kind am Ort des fürchterlichen Erlebnisses zu bleiben, ist eine andere Frage. Nicht minder fragwürdig ist die „Undercover“-Aktion: Kaum zu glauben, dass keiner der Hausbewohner Lürsen nicht schon vorher als Kommissarin am Tatort gesehen hat.
Um so geschickter verknüpft Näter zwei Fälle, die wie üblich nur scheinbar nichts miteinander zu tun haben: „Stille Wasser“ beginnt mit dem Tod eines Mädchens, das an der Partydroge „Bad Ice“ stirbt. Die Polizei rätselt schon lange, wie das Rauschgift ins Land kommt. Nun ahnt sie es zumindest: Spuren des Stoffs finden sich unter den Fingernägeln von Nadines totem Vater; der Mann hat im Containerhafen gearbeitet. Möglicherweise stecken seine Nachbarn und Kollegen (Ulrich Matthes, Janek Rieke) ebenfalls mit drin. Auch ihre Frauen (Dagmar Manzel, Anna Maria Mühe) scheinen in die Sache verwickelt.
Natürlich soll die Spannung vor allem durch das Warten auf die Rückkehr des Mörders entstehen. Die Konstruktion hat nur einen Haken: Über weite Strecken passiert schlicht nichts, so dass dem Bauerntheater der Kommissarin, die sich unter die Unterschicht mischt, ein größerer Stellenwert zukommt, als dem Film gut tut. Dass Postels Doppelspiel unfreiwillig komisch wirkt, kann sogar Absicht sein, schließlich ist die Kommissarin keine gelernte Schauspielerin. Seltsam allerdings, dass ihre frisch angezündeten Zigaretten auf dem kurzen Weg vom Küchentisch zur Wohnungstür immer schon zu einem Drittel abgebrannt sind. Immerhin bekommt Karlsen, der sonst immer nur als Stichwortgeber eingesetzte Kollege für die Fleißarbeit, ein paar trottelige Auftritte; das wird seinen Darsteller Winfried Hammelmann gefreut haben. Aber packender wird der Film dadurch auch nicht. tpg.