Thomas Riedelsheimer hat drei krebskranke Kinder über Jahre mit der Kamera begleitet, Bilder von glücklichen Stunden und von den Qualen der Behandlung eingefangen. Der wichtigste Moment ist immer der Augenblick hat der Dokumentarfilmer seine sehr behutsame und aufmerksame Grenzwanderung untertitelt. Pauline, Richard und Lenni sowie deren Eltern und Geschwister werden als Menschen porträtiert, die das Leben bejahen und es mit viel Kraft in ihren Alltag hereinholen, Tag für Tag. Pauline und Lenni starben während der Dreharbeiten.
Seelenvögel ist ein Film, den man nicht vergisst. Er enthält Aufnahmen von Gesichtern, die sich tief einprägen. Ärzte und Informationen über Leukämie kommen so gut wie gar nicht vor, höchstens wenn Pauline, Richard oder die Eltern davon sprechen. Der Film ist mit vielen sehr ästhetischen, sehr kostbar arrangierten Bildern wie Wassertropfen auf Blättern, einer Schnecke und einer Biene, die Nahrung suchen, ausgestattet. Es geht Riedelsheimer darum, was sich der Todesgefahr entgegnen lässt, nicht um die Spur der Zerstörung. Ähnlich wie in Julian Schnabels Spielfilm Schmetterling und Taucherglocke wird die Grenzerfahrung zur Liebeserklärung an das Leben.
In einer Münchner Kinderklinik gehen Pauline, Richard und Lenni ein und aus: Routine-Blutproben, Chemotherapie, Stammzelltransplantation. Der sechsjährige Lenni, ein Kind mit Down-Syndrom, erlitt nach der Chemotherapie einen Rückfall. Die Familie sprach bereits offen über den Tod. Doch dann geschah ein medizinisches Wunder: Lenni besiegte den Krebs spontan. Für kurze Zeit sind die Eltern mit Lenni, seiner Schwester und dem neugeborenen Bruder eine glückliche Familie, aber dann stirbt der Junge doch. Die so lange fröhlichen und starken Eltern zeigen ihre Verwundbarkeit, die Kinder in der Spielgruppe und vor allem seine Schwester Anna trauern.
Auch Pauline und Richard haben Eltern und Geschwister, die für sie da sind, mit großer Selbstdisziplin und vielen Ideen. Eine Breze, die Richard am Krankenbett angeboten wird, das Tischbillardspiel mit seiner Schwester haben zwischen Infusionsschläuchen, Apparaten und Kindertränen eine ungeheure Bedeutung. Richard findet für sein Drama verblüffend tapfere und offene Worte. Als die Familie endlich nach Hause darf, klingt das Wir sind dann mal weg des Vaters fast noch ungläubig.
Pauline ist ein Teenager und ihre Mutter, die den Alltag mit Tätigkeiten wie Qigong und Theaterspielen strukturiert, jongliert auch mit der jugendlichen Rebellion. Pauline ist stolz darauf, dass sie mit Fieber auf einer Party war. In den nachdenklichen Aussagen der Jugendlichen ist dieses ständige Suchen nach dem richtigen Weg zu spüren. Man meint an manchen Stellen zu ahnen, warum diese Kinder und ihre Eltern sich filmen lassen: Weder das Leben, noch der Leidensweg sollen umsonst gewesen sein. Der glasklare, so wenig auf Tränen fokussierte Film schafft es weit auf seiner Grenzwanderung: in dem, wie nahe man Menschen kommen kann, ohne ihnen unrecht zu tun, in dem, wie viel vom Tod sich begreifen lässt.
Fazit: Drei an Leukämie erkrankte Kinder und ihre Familien gewähren Einblick in ihren Alltag und ihre Gedanken: sehr sorgfältige und ästhetische Dokumentation über Angst, Trauer und Kraft.