Primo amore: Italienisches Beziehungsdrama, in dem sich eine Frau beinahe zu Tode hungert, um den Idealvorstellungen ihres Freundes zu entsprechen.
Ein Schönheitswahn und eine Liebe, die zur Besessenheit werden, sind Thema des Psycho-Beziehungs-Dramas von Matteo Garrone („L’Imbalsamatore“), der als Vertreter einer Generation junger wilder italienischer Regisseure „Primo Amore“ im Wettbewerb der Berlinale 2004 präsentierte. Seine Provokation liegt im Sujet und in der stilistischen und bisweilen herzlosen Strenge, mit der er ein brisantes Thema mit durchaus starken Bildern aufbereitet - allerdings ohne Stellung zu beziehen.
In eine sadomasochistische Liebesbeziehung stürzen sich die Protagonisten dieser „ersten Liebe“ - und finden anders als in „Secretary“ alles andere als ein gutes Ende. Den masochistischen Part übernimmt hier die attraktive, schüchterne Sonia (Michela Cescon), die den Mittdreißiger Vittorio (Vitaliano Trevisan) via Blind Date kennen lernt. Vittorio gibt Sonia schon zur Begrüßung zu verstehen, dass ihm ihr schlanker Körper nicht schlank genug ist. Trotzdem treffen sich beide wieder, verlieben sich. Er kauft ein Haus auf einem einsamen Waldgrundstück, sie zieht bei ihm ein. Zurückgezogen hinter den selbst errichteten Mauern beginnt Vittorio, sich ernsthaft mit ihrem Gewicht zu beschäftigen, ermutigt sie zu einer Diät, übernimmt die Kontrolle über ihr Essverhalten, bis sie Nahrung nur noch unter seiner Aufsicht zu sich nimmt. Das krankhafte Verhalten bleibt nicht folgenlos: Sonia verändert sich körperlich wie seelisch, halluziniert, verliert ihren Job; Vittorio trifft Fehlentscheidungen, versagt, muss seine Goldschmiede aufgeben. Die zwei Menschen wachsen weiter zusammen - und werden sich selbst immer fremder. Garrone überspitzt die Folgen der geschilderten, alltäglichen Situation und lässt diese im letzten Drittel dramatisch kulminieren, nachdem die Story etwa eine Stunde vor durchaus präzise komponierten, jedoch oftmals zermürbend manierierten Bildern so vor sich dahin plätschert.
Eine Frau, die sich dem Irrsinn des Hungerns aussetzt, um dem Geliebten zu gefallen; ein Mann, der einem Schönheitsideal nachjagt und darüber in den Wahnsinn verfällt. Aus Liebe? Unklar lässt der Regisseur den Zuschauer über seine Haltung gegenüber dem provokanten Sujet, bleibt oberflächlich, geht ebenso wenig in die Tiefe, wie die Bilder in die Breite. Die streckt Kameramann Marco Onorato in die Höhe, versteckt das turmähnliche Haus des Paares in einem Wald zwischen schlanken Baumstämmen, zeigt ausführlich die fragilen und gewichtslosen Goldschmiedearbeiten des Protagonisten, während dieser als Erzähler rückblickend seine Obsession kommentiert. So bemerkenswert die Übereinstimmung von Form und Inhalt hier durchaus gelingt, so beeindruckend vor allem Hauptdarstellerin Michela Cescon agiert und körperlich an ihre Grenzen geht - nach einem beinahe unfreiwillig ins Komische gleitende Ende hinterlässt Garrone den Zuschauer nicht nur in der Magengegend mit einem Gefühl der Leere und Ratlosigkeit, vor allem über den Platz von „Primo Amore“ im Wettbewerb eines A-Festivals. cm.