„Schuldig“ mag emotionaler klingen als der Arbeitstitel „Der innere Zirkel“, aber er nimmt vorweg, was der Film erst spät preisgibt.
Zunächst beginnt die Handlung mit einer Flucht bei Nacht und Nebel: Ein syrisches Geschwisterpaar hat sich für die sichere Einreise nach Deutschland mit gefälschten Pässen und Visa als Mulis verdingt; in ihren Eingeweiden transportieren sie viele kleine Päckchen mit Heroin. Wie gefährlich so etwas ist, hat vor gut einem Jahr der Auftaktfilm des neuen Berliner „Tatort“-Teams („Das Muli“) erzählt: Wird eins der Säckchen durch die Magensäure zersetzt, stirbt das „Maultier“ einen qualvollen Tod. In diesem Fall ereilt den Bruder allerdings ein noch drastischeres Schicksal. Zum Glück beschränkt sich das Drehbuch (Daniel Schwarz, Thomas Schwebel) auf die mündliche Beschreibung des blutigen Vorgangs.
Flüchtlinge spielen in den Reihenkrimis derzeit ohnehin eine große Rolle, und auch Ellen Lucas (Ulrike Kriener), die Regensburger Kommissarin, besucht ein Flüchtlingsheim; dort lebt Qumar (Maryam Zaree), die Schwester der beiden Syrer. Ihre Schilderung vom Schicksal der Familie, deren ältere männliche Mitglieder zuvor entweder dem Regime oder den Milizen des „Islamischen Staates“ zum Opfer gefallen sind, ist so bewegend, dass selbst die kühle Kommissarin erschüttert reagiert. Natürlich bleibt der Film auch weiterhin der Frau (Banafshe Hourmazdi) mit den Drogen im Leib auf der Spur, zumal sie in großer Gefahr schwebt: Sie hat in Bulgarien, als sie mit dem Stoff versorgt wurde, zufällig den Drahtzieher (Peter Davor) der Aktion zu Gesicht bekommen, und solche Menschen wollen erfahrungsgemäß keine Zeugen. Die Perspektive verschiebt sich jedoch mehr und mehr in Richtung ihres Begleiters, und jetzt entwickelt die Geschichte eine unerwartete Komplexität, die nicht nur Lucas‘ Chef Boris Noethen (Michael Roll), sondern auch einen undurchsichtigen BKA-Beamten (Arved Birnbaum) betrifft.
Grimme-Preisträger Miguel Alexandre („Grüße aus Kashmir“), der sich zuletzt vor allem der ZDF-Reihe „Der Kommissar und das Meer“ angenommen hat und dazwischen nur „Starfighter“ (RTL) gedreht hat, inszeniert den Film für einen Krimi erstaunlich ruhig. Dazu passt auch die gute Musik von Dominic Roth, der immer wieder hintergründig orientalische Klänge in seine Komposition einfließen lässt. Über weite Strecken fesselt die Handlung allein durch die Figuren, zumal Alexandre zum Beispiel der Trauer Qumars um ihre Geschwister angemessen viel Zeit einräumt. Dramatisch wird es gegen Ende, als Ellen Lucas zur eigenen Verblüffung nicht nur den aktuellen Fall löst, sondern auch Licht in eine alte Geschichte bringt. Alexandre, seit einigen Jahren stets auch für die Bildgestaltung seiner Filme verantwortlich und dadurch erst recht ein Regisseur mit gutem Gespür für seine Schauspieler, führt die Darsteller ausnahmslos souverän. Einzig Nina Friedrich ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber das liegt an ihrer Art: Sie spielt Andrea Wenzl, das neue Mitglied im „Team Lucas“. Die Kollegin ist eine begnadete Hackerin und verschafft ihrer Chefin auf diese Weise Zugang zu Material, das sie auf offiziellem Wege unzensiert nie zu Gesicht bekommen würde. Legal ist das selbstredend nicht, aber für die Krimireihe bedeutet das natürlich neues Potenzial. tpg.