Wie man eine Comicgeschichte passend und innovativ zugleich verfilmt, hat die Exil-Iranerin Marjane Satrapi mit ihrem Co-Regisseur Vincent Paronnaud bereits anhand von Persepolis demonstriert. Dass sich Comic, beziehungsweise Animation, und Drama nicht widersprechen müssen, war eine Erkenntnis aus jenem Film. Nun legen die in Frankreich lebende Zeichnerin und Paronnaud ihren zweiten Film vor, der wieder auf einer Comicgeschichte Satrapis basiert. Auch diesmal gibt es so viel zu erzählen, dass die inhaltliche Fülle eine Entsprechung in visueller Kreativität und Fantasie verlangt.
Es gibt einen Off-Erzähler, der über den unglücklichen Nasser Ali Khan berichtet. Am Anfang des Films, es ist das Jahr 1958, sieht Nasser Ali in Teheran auf der Straße die Frau, die er seit seiner Jugend nicht vergessen kann: Doch Irane behauptet, sich nicht an ihn zu erinnern, und lässt ihn stehen. Am Ende des Films kehrt die Erzählung noch einmal zu dieser Szene zurück, um ein wenig genauer hinzuschauen. Die Darstellung verwendet solche Schleifen, um damit zu überraschen, wie anders man das gleiche Bild interpretiert, wenn man mehr über seine Entstehung weiß.
Die Figuren werden sympathischer und innerlich reicher, je mehr die Erzählung sich ihrem Werdegang widmet. Am Anfang ist Nasser Ali, gespielt von Mathieu Amalric, nur daran interessiert, sich eine neue Geige zu besorgen, und seine Frau Faranguisse, dargestellt von Maria de Medeiros, beschimpft ihn, weil er sich, wenn er schon nicht arbeitet, um den kleinen Sohn kümmern soll. Als er bald darauf beschließt, im Bett auf den Tod zu warten, gibt man seinem Bruder Recht, der ihn als egoistisch und verantwortungslos bezeichnet. Auch Faranguisse, die bei einem Streit seine Geige auf den Boden warf, wird nicht gerade als herzliche Person eingeführt. Doch bald wendet sich das Blatt, und zwar ohne sich auf die Seite eines der entzweiten Ehepartner zu schlagen. Doch nicht immer ist der Blick hinter die Kulissen ein Gewinn: Für die kleine Lili, die sich für das Puppentheater am Rummelplatz begeistert, ist es eine große Enttäuschung, als ihr Vater ihr zeigt, wer unter der Bühne die Strippen zieht.
Mit diesem überraschenden Sinn für Widersprüche und augenzwinkerndem Humor lockert die Erzählung ihren ernst-traurigen Inhalt auf. Hinter Nasser Alis Todeswunsch steht eine unglückliche Liebe, deren Instrument eben diese eine, nun kaputte Geige war. Als der Todesengel Azrael kommt, hat er aber nicht etwa Mitgefühl für Nasser Ali, sondern stellt nüchtern fest, es sei schade, er habe nur dieses eine Leben gehabt. Hätte Nasser Ali also doch mehr daraus machen sollen? Der Film begnügt sich mit der Lust am reinen Erzählen, ohne eine Moral anzupeilen.
Eine Augenweide ist die visuelle Inszenierung mit ihrer ungeheuren Vielfalt der Mittel. Zur Wirklichkeitsebene mit den echten Darstellern in einer Nebenrolle auch Isabella Rossellini kommen Fantasien, Erinnerungen und sogar Einblicke in das spätere Erwachsenenleben von Lili und Cyrus, mal mit Realfiguren, mal mit gemalten Hintergründen, mal komplett animiert. Die Kamera befindet sich dabei meistens in Bewegung, als würde sie durch Zeit und Handlung schweifen. Die Schnitte sind weich, indem zum Beispiel eine seitliche Kamerafahrt durch einen Raum in einen schwarzen Streifen mündet und dahinter in eine neue Szene führt. Darin spielen sich die Herzensdramen der einzelnen Figuren ab, mit einer Intensität, die an die Stummfilmzeit erinnert.
Fazit: Marjane Satrapis Lust, Geschichten zu erzählen, mischt sich mit gestalterischer Experimentierfreude.