Kennen sie sich, oder kennen sie sich nicht? Das ist die Frage, die den Film in seinem ersten Drittel interessant hält: Sie (Juliette Binoche) lauscht ihm (William Shimel) bei einer Lesung seines Buches Copie Conforme, ist unkonzentriert wegen ihres Sohnes, der gelangweilt in der Ecke rumlungert. Der deutet in der nächsten Szene an, dass die beiden sich kennen, schon länger; in der nächsten Szene, wenn die beiden aber aufeinandertreffen, ist es die Begegnung zweier Fremder, sie will ihm Kunstschätze der Toscana zeigen, zusammen fahren sie im Auto fort, reden miteinander, als lernten sie sich gerade kennen.
Das Interessante daran ist, wie kunstvoll sich die ambivalente Beziehung zwischen ihr und ihm mit den Themen verschlingt, die der Film via der Mono- und Dialoge seiner Figuren anschlägt: Copie Conforme, das Buch des Autoren James Miller im Film, beschäftigt sich mit der Frage von Original und Kopie, mit den verschiedenen Werten, die wir beidem zumessen. In den Dialogen zieht das weitere Kreise, es geht um die Möglichkeit, ein einfaches Leben zu führen, um die Notwendigkeit von Komplexität und Reflexion, um die Authentizität im Umgang mit sich selbst und anderen und das in schön und locker und charmant mäandernden Gesprächen, vornehmlich zwischen den beiden auf der langen Autofahrt durch die schöne toscanische Landschaft. Gespiegelt eben dadurch, dass vielleicht beide nur vorgeben, dem anderen unbekannt zu sein, dass möglicherweise sie ein Spiel miteinander spielen, ein Spiel von Vortäuschung, von Nachahmung eines Lebens, das sie nicht führen.
Allzuschnell dann löst Kiarostami diesen neckischen Zwiespalt auf. Zu deutlich entpuppt sich das ganze tatsächlich als Fake, das die beiden miteinander spielen, und was zuvor ein leichter, sinniger Gedankenaustausch war, wird mehr und mehr zu den streitbaren Be- und Entgegnungen zwischen zwei langjährigen Ehepartnern, die hier auf ungewöhnliche Art ihren 15. Hochzeitstag begehen und sich längst nichts mehr zu sagen haben außer unter der Vorgabe, jemand anderes zu sein.
(OK: Man könnte, wenn man absolut wohlwollend wäre, den ganzen Film als eine Art Fake lesen, und die Offenbarung, dass beide verheiratet und einander entfremdet sind, als Weiterführung ihres Spiels sehen, als weitere Drehung der Schraube tiefer hinein in die Möglichkeit zweier alternativer Wahrheiten aber das wäre dann doch eine ungebührliche Überdehnung jeder Plausibilität
)
Kiarostami geht alsbald den Pfad der (relativen) Eindeutigkeit, und damit lässt auch die Komplexität des Filmes nach, die ihn anregend, ja spannend gehalten hatte. Sie und er streiten sich, versöhnen sich etwas, um sich dann wieder mit Vorwürfen zu überschütten; und er entpuppt sich mehr und mehr als veritables Arschloch, in seiner Egozentrik hat kein anderer in seinem Leben Platz.
Der eigentliche Wert des Filmes ist daher ein anderer: Offenbar, weil es sich um Abbas Kiarostamis erstes Werk handelt, das er außerhalb seiner iranischen Heimat gedreht hat, verfolgt er einen unbedingt touristischen Ansatz: Seine vielen Dialogszenen spielen in den schönsten Orten der Toscana, Touristenattraktionen werden ins Bild gesetzt, man genießt Landschaft und Wein wer die Oberfläche eines Urlaubsführers in einen Film umgesetzt sehen möchte, für den ist Copie Conforme ideal.
Fazit: Was als charmantes Spiel um Echtheit und Nachahmung in der Kunst und im Leben beginnt, wird allzuschnell zu prätentiösem Kunstkino, an dem jedes Interesse erlahmt.