Der Musterschüler: Beklemmender Thriller nach einer Novelle aus Stephen Kings Geschichtensammlung "Frühling, Sommer, Herbst, Tod".
Bereits mit seinem zweiten Spielfilm, „Die üblichen Verdächtigen“, einem intelligenten Vexierspiel im Gewande eines Thrillers, konnte sich Regisseur Bryan Singer international einen Namen machen. Wer nun erwartet hat, daß sich der hochtalentierte Filmemacher - wie in Hollywood inzwischen eigentlich üblich - wegen seines überwältigenden Erfolges an einem big budget movie versuchen würde, sieht sich getäuscht. Singer hat vielmehr mit eher bescheidenem Aufwand eine Stephen-King-Kurzgeschichte adaptiert, die auf den Filmfestspielen von Venedig in der Reihe „Notti e stelle“ ihre europäische Premiere erlebte.
In „Der Musterschüler“ begibt sich der amerikanische Bestseller-Autor, wie auch schon bei „Die Verurteilten“ (von Frank Darabont 1994 kongenial verfilmt), auf ein für ihn eher ungewöhnliches Terrain. Es geht einmal nicht um Monster und Untote, Paranormales und Extraterrestrisches, sondern schlicht um das Böse an sich, oder, um mit Hannah Arendt zu sprechen, um die Banalität des Bösen. Diese erschließt sich dem 16jährigen Schüler Todd Bowden erstmals, als er an seiner Highschool einen Kurs über den Holocaust besucht. Vom Thema fasziniert, beginnt er sich eingehender mit den Greueln des Nationalsozialismus zu beschäftigen und stößt dabei zufällig auf ein altes Foto, auf dem er einen Bewohner seiner Heimatstadt als den ehemaligen KZ-Offizier Kurt Dussander erkennt. Tags darauf steht Todd vor der Tür des zurückgezogen lebenden Mannes und zwingt ihn - mit der Drohung ihn bei den Behörden anzuzeigen, falls er nicht kooperiere -, ihm alles über seine Vergangenheit zu erzählen, insbesondere das, was im Unterricht den Schülern vorenthalten wird.
Singer unterteilt seinen Film, der im Original „Apt Pupil“, was sich mit „Gelehriger Schüler“ treffend übersetzen läßt, in zwei Teile. In der ersten, eindeutig spannenderen Stunde konzentriert er sich darauf zu zeigen, wie der Teenager dem ehemaligen Kriegsverbrecher seinen Willen aufzwingt. Der kettenrauchende, heruntergekommene Dussander, vorzüglich gespielt von Ian McKellen („Richard III“), wird erstmals in seinem Leben zur Rechenschaft gezogen. Brillant die Szene, in der Todd seinen neuen „Freund“ zum Abendessen ins Elternhaus einlädt. Dussander erweist sich hier als redegewandter, charmanter Gast, der vorgibt, den Krieg wegen einer langwierigen Krankheit in einem Hospital zugebracht zu haben. Als Todd, der McKellen ebenbürtige Brad Renfro aus „
Der Klient„, zusehends unter den Einfluß des Nationalsozialisten gerät, seine schulischen Leistungen drastisch nachlassen und seine sozialen Kontakte verkümmern, wird „Der Musterschüler“ zu einer anderen Art von Film. Der Filmemacher interessiert sich plötzlich scheinbar nicht mehr für die Frage, was Menschen am Faschismus fasziniert, was sie zu Monstern werden läßt, sondern nur noch darum, wie Todd sich aus den Fängen Dussanders befreien kann. Dieser ist inzwischen wieder - nicht zuletzt wegen der SS-Uniform, die der Junge ihm geschenkt hat, Kleider machen bekanntlich Leute - zum hemmungslosen Machtmenschen mutiert, versucht eine Katze im Heizofen zu verbrennen und scheut auch nicht mehr vor Mord zurück, um seine falsche Identität zu wahren. Aus einem intelligenten, eher wortlastigen Kammerspiel ist ein mehrbödiger, verzwickter Thriller geworden, in dem sich Angst und Schrecken, Mord und Totschlag eher im Kopf der Zuseher als auf der Leinwand abspielen.
In allen technischen Bereichen makellos, darf sich Columbia von „Der Musterschüler“ bei entsprechendem Marketing und der richtigen Kinowahl ein solides Geschäft versprechen.geh.