Der Gejagte: Düsteres, sensibles Drama über den langsamen Abstieg eines Mannes in den Wahnsinn.
Die hellen Tage habe er schon gesehen, nun müßte er aber wieder in die dunklen zurück, so Paul Schrader sinngemäß in seinen Interviews, die er während der diesjährigen Filmfestspiele von Venedig gab, wo sein jüngstes Werk in der Reihe „Mezzanotte“ gezeigt wurde. In gewisser Weise hat Schrader, Autor von Kino-Meilensteinen wie „Taxi Driver“ und „Wie ein wilder Stier“ und Regisseur des Überraschungs-Hits „Ein Mann für gewisse Stunden“, recht, stand er doch einst höher in der Gunst von Publikum und Kritik als nach seinen letzten beiden Werken „Light Sleeper“ und „Touch“. Letztgenannte Elmore-Leonard-Verfilmung brachte es hierzulande nicht einmal zu einem Kinostart. Dieses Schicksal sollte „Affliction“ erspart bleiben: Immerhin plant Kinowelt, das düstere Drama über den langsamen Abstieg eines Mannes in den Wahnsinn in einigen Schlüsselstädten in die Kinos zu bringen.
Sieht man sich Schraders Adaption des gleichnamigen Romans von Russell Banks an, fällt sofort auf, daß der Regisseur sich wieder mit seinen beiden bevorzugten Themen - der Vereinsamung des Individuums und die Unfähigkeit der Männer, ihre Liebe auszudrücken - beschäftigt. Schraders, von Travis Bickle über Mishima bis hin zu Wade Whitehouse, konsequent weiterentwickelter Anti-Held, der von Nick Nolte mit beeindruckender Präsenz gespielt wird, fristet als Hilfsarbeiter und Polizist der krisengeplagten Kleinstadt Lawford, New Hampshire, ein trostloses Dasein. Seine Frau Lillian hat ihn wegen eines anderen verlassen, die verängstigte Tochter Jill bekommt er fast nicht mehr zu Gesicht. Als eines Tages der einflußreiche Gewerkschaftsboss Twombley bei einem Jagdunfall zu Tode kommt, vermutet Wade ein Verbrechen. Bei seiner Suche nach der Wahrheit versteigt sich Whitehouse immer mehr in seine Mordtheorie und entfremdet sich darüber endgültig von seiner Umwelt.
Schon in den ersten, von Kameramann Paul Sarossy wunderbar fotografierten Postkarten-Bildern, in deren Rahmen die Anfangstitel laufen, skizziert Schrader seinen Ort der Handlung, ein miefiges, winterliches Kaff, das alles und jeden zu ersticken droht und dessen Geschichte Willem Dafoe aus der Sicht von Whitehouses sensiblerem Bruder, der längst die Flucht angetreten hat, mit bedächtigem Kommentar aus dem Off erzählt wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Hüne Nolte, der den ganzen Film über von fürchterlichen Zahnschmerzen geplagt wird, explodieren wird. Wade, der als Gesetzeshüter alles unter Kontrolle haben sollte, hat nicht einmal sich und seine Gefühle in der Gewalt. Da ist der brutale, alkoholkranke Vater (großartig: James Coburn), unter dessen Einfluß er immer noch steht, da ist seine Freundin Margie (souverän: die in Hollywood sträflich vernachlässigte Sissy Spacek), deren Liebe er nicht zu erwidern vermag, und da ist auch noch sein Chef, der erfolgreiche Geschäftsmann Gordon Lariviere, von dem er sich abkanzeln lassen muß wie ein kleiner Schuljunge.
„No Way Out“, so lautet Paul Schraders pessimistisches Credo, das man gleichermaßen auf die Karriere des Filmemachers als auch aufs zeitgenössische amerikanische Kino beziehen kann. In Zeiten von Super-Budgets, Mega-Stars und Hyper-Effekten ist leider wenig Platz für sperrige Werke wie „Affliction“, was im Deutschen sowohl Not und Bedrängnis als auch Schmerzen und Leid bedeuten kann. geh.