Carsten Unger hat in seinem Regiedebüt großes Kino geschaffen: Ein Thriller in prächtigen, stimmungsvollen Cinemascopebildern, in denen ein spannendes Psycho-Nervenspiel erzählt wird. Wir sehen eine kleines Teenie-Biest, das im Schwimmbad einen Vater fies und offenherzig anmacht. Wir sehen eine Polizeipsychologin im Regen, am durchweichten Flussufer, wo der Schulranzen eines vermissten Kindes gefunden wurde. Wir sehen dieses vermisste Kind, wie es in einen Keller gelockt und im Dunkeln eingesperrt wird.
Reizvolle Gegensätze, reizvolle Gegner baut Unger da auf, die später in einem komplizierten, komplexen Spiel aufeinandertreffen werden. Und nein: Die Bösen sind nicht einfach böse, die Gute ist nicht einfach gut. Ich kann nicht mit Kindern ist einer der ersten und einer der wenigen persönlichen Aussagen von Psychologin Claudia Kleinert, die von Martina Gedeck als kluge, verschlossene, durchaus zu allem fähige, hartnäckige Verfolgerin gezeichnet wird. Und die Kids Mathilda, die aus dem Schwimmbad, und ein 13jähriger, der seinen Namen vergessen will, sein Elternhaus verweigert und sich zum Geburtstag die Tötung eines Sportvereinskameraden gönnt sind vernachlässigt, lebensüberdrüssig, emotionshungrig, mangelgeliebt.
Kleinert und die beiden Kids lässt Unger aufeinander los, und dazwischen die Familie des vermissten, entführten, eingesperrten, todgeweihten Jungen eine Konstellation, die ihren Höhepunkt erreicht, wenn der Täter im Haus der Eltern seinen Terror verbreitet, und wenn dann noch die Psychologin dazukommt und mit denselben Psycho-Mitteln den Täter terrorisiert. Wer sich mit Ungeheuern einlässt, kann leicht selbst zum Ungeheuer werden, zitiert im Film einmal einer Nietzsche und diesen schmalen Grat zwischen Gut und Böse, zwischen den Mitteln und dem Zweck leuchtet Unger hier, im Mittelteil des Films, präzise aus.
Leider ergeht er sich zuvor und danach in ein bisschen zu vielen Nebenpfaden; vor allem die Zeichnung der beiden Täterkinder, die sich zusammentun auf der Suche nach dem Kick durch einen Mord, und ihrer Familienverhältnisse gerät etwas zu plakativ: Hie die emotional verarmte Tochter einer Hartz IV-Alkoholikerin, die in latentem Hurendasein ihr Leben fristet, dort der emotional verarmte Sohn aus reichem Haus, der mit allem verwöhnt wird außer mit Zuneigung: Materielle Armut wie Reichtum erzeugen innere Leere, die durch Unaussprechliches und einer unbedingten Ich will alles und das jetzt-Attitüde gefüllt werden wollen. Ein bisschen viel simple Küchenpsychologie ist das. Zudem löst Unger seinen Film und die Motivation seines Täters noch zusätzlich durch komplizierte Familienverhältnisse auf, die von Beginn an recht offensichtlich, aber ein bisschen zu sehr als Geheimnis und Rätsel inszeniert sind.
Etwas zuviel will Unger da erzählen, etwas zuviel erklären doch reizvoll ist sein Film allemal. Zumal er an den richtigen Stellen und passend zu seinem Filmtitel Tarantino seine Referenz erweist: Wie der namenlose junge Täter sich ins Haus der Opferfamilie einschleicht und in freundlicher Bedrohlichkeit ein Glas Milch fordert; oder wie die Psychologin irgendwann ein entlarvendes Wer bin ich-Spiel mit auf die Stirn gepappten Zetteln spielt
Fazit: "Bastard" ist ein etwas überladener Debütfilm, der aber über weite Strecken als spannender Thriller mit komplexen Charakteren und fiesen Psychospielen überzeugen kann.