100 Schritte: Die wahre Geschichte eines jungen Italieners, der sich mit beeindruckender Zivilcourage den "Familien"-Traditionen verwehrt.
Drei Jahre nach Fertigstellung läuft Marco Tullio Giordanas herausragendes Biopic über den ermordeten Anti-Mafia-Kämpfer Giuseppe Impastato endlich auch in unseren Kinos an. Von Italien für den Auslands-Oscar eingereicht, für einen Golden Globe nominiert und mit dem Drehbuchpreis von Venedig, fünf Donatello-Awards sowie Dutzenden weiterer Filmpreise ausgezeichnet, sollte das spannende Werk mit dem charismatischen Luigi Lo Cascio in der Hauptrolle vor allem gesellschaftspolitisch interessierte Zuschauer anlocken.
Mafia - das italienische Wort bedeutet so viel wie Anmaßung, Überheblichkeit, Prahlerei. Gemäß dieser Prämisse zeigten bisherige Mafia-Filme meist auch die glamourösere, angeberischere Seite der „ehrenwerten Gesellschaft“, konzentrierten sich auf Statussymbole, große Gesten und blutige Coups. Ganz anders da Marco Tullio Giordanas Porträt des 1978 mit 30 Jahren ermordeten linken Aktivisten Giuseppe „Peppino“ Impastato. Hier geht es nicht um die Hochglanzseiten der Verbrecherorganisation, vielmehr thematisiert das präzise gespielte und in stimmige Bilder gepackte Drama die verheerenden Auswirkungen, die das Treiben des mächtigen Gangsterbundes in Bezug auf Familienstrukturen, persönliche Integrität und die Freiheit des Einzelnen nach sich zieht.
So bekommt Peppino im sizilianischen Städtchen Cinisi schon als Kind Einblick in Sachen Mafia, als sein Lieblingsonkel, der örtliche Pate, von dessen Nachfolger Tano - Tony Sperandeo überzeugt als schmieriger Intrigant - in die Luft gesprengt wird. Der wohnt nur „100 Schritte“ von Giuseppes Elternhaus entfernt und doch liegen Welten zwischen den beiden Männern. Der junge Rebell denkt nämlich nicht daran - wie üblich und von allen erwartet -, eine Gangsterkarriere zu verfolgen, sondern lehnt sich gegen die omnipotente Mafia auf. Mit Gleichgesinnten gibt er eine kommunistische Zeitung heraus und gründet einen Piratensender. Gebannt lauscht die Bevölkerung den vorwitzigen Sprachspielen der jungen Wilden, die die Mafiosi verhöhnen. Das ist nur der Anfang eines nicht enden wollenden Kampfes.
Ein Film von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz, ähnlich wie Michael Moores „Bowling for Columbine“, ist Giordana, der auch als Koautor firmiert, hier geglückt. Er öffnet dem Zuschauer, wie schon bei seinem thematisch verwandten „Pasolini: un delitto italiano“ (1995), die Augen, schafft Zusammenhänge, sieht hin, wo andere längst wegsehen, bezieht Stellung und - besonders wichtig - versteht auch zu unterhalten. Dreh- und Angelpunkt dabei: Der quirlige Luigi Lo Cascio - bester Hauptdarsteller in Venedig 2001 für „La luce dei miei occhi“ - als „Peppino“, der stark an den jungen Roman Polanski erinnert und sich als mitreißende, hingebungsvoll agierende Idealbesetzung erweist. Ihm zur Seite stehen mit Lucia Sardo und Luigi Maria Burruano als schmerzgeplagte Eltern zwei exzellente Charakterdarsteller, die gegenüber dem vitalen Sprössling eine beklemmende Gebrochenheit verströmen. Dem dunklen, pessimistischen Grundtenor des Werks entspricht auch die ausgewaschene, bleiche Kameraarbeit Roberto Forzas, die Leblosigkeit vermittelt, Aufgabe, Resignation, Unterwerfung. Dagegen vor allem gilt es anzukämpfen, wie Impastato es gemacht hat und wie dieser kluge, spannende und lehrreiche Film es tut, der Kunst, Kampf und Botschaft gekonnt vereint. geh.