Villa Amalia: Eine erfolgreiche Pianistin beschließt, ihr altes Leben samt ihrem langjährigen Ehemann hinter sich zu lassen. Hilfe beim schwierigen Schritt erhält sie von einem Jugendfreund. Existenzielles Drama nach Romanvorlage mit einer starken Isabelle Huppert in der Hauptrolle.
Eine Frau ertappt ihren Partner beim Fremdgehen und entscheidet, nicht nur die Beziehung, sondern ihr ganzes bisheriges Leben aufzugeben.
Zum fünften Mal steht Isabelle Huppert in einem Film von Benoît Jacquot vor der Kamera, spielt eine seiner Heldinnen, die den Sprung ins Nichts wagen und aus dem Käfig konventioneller Regeln ausbrechen. Nicht so offensiv wie in „Schule des Begehrens“, wo es um die Gier nach sexueller Befriedigung geht, gibt sich die Huppert hier, sondern zurückgenommen und trotzdem hyperpräsent. Sie spielt eine Frau, die an einer Stelle sagt, „ich will mein vorheriges Leben auslöschen“.
Als Ann Hiden, eine anerkannte Konzertpianistin, sieht sie nächtens, wie ihr Mann eine andere küsst und trifft einen Moment später zufällig einen Freund aus Kindheitstagen, bald ihr einziger Vertrauter. Die Betrogene trennt sich nicht nur rigoros von ihrem Partner, sondern liquidiert ihre Vergangenheit: Sie löst ihr Bankkonto auf, sagt die Konzerttournee ab, verkauft Wohnung und Möbel und sogar das geliebte Piano. Ohne eine Spur zu hinterlassen, taucht sie unter, reist mit kleinstem Gepäck (aber ständig wechselnden Kleidern) durch Europa, spricht zwischendurch deutsch, wandert über die Alpen, marschiert durch Schneefelder und wird auch schon mal neben einem Fremden wach bis sie ihr persönliches Paradies entdeckt, die Villa Amalia auf Ischia.
Jacquot, seit Jahrzehnten an dem Typ Frau interessiert, der sich in irgendeiner Form - sei es nun sexuell, seelisch oder sozial - befreit, vollendet in dieser Verfilmung von Pascal Quignards Roman seine Vorstellung von totaler Aufgabe der Existenz, das Verschwinden einer Persönlichkeit und der Schritt ins Nirgendwo wird von einer manchmal dissonanten Musik unterstrichen. Eine erschreckend fragile Isabelle Huppert zerstört planmäßig alles, was ihrer Figur etwas bedeutete, verbrennt Fotos und CD, nichts soll mehr an sie erinnern, sie will bei Null neu beginnen. Dieser Neubeginn hat nichts mit Selbstfindung zu tun oder meditativer Reise ins Innere, sondern damit, endlich in Ruhe gelassen zu werden, auf das Wesentliche zu reduzieren. Huppert trägt den Film, den man nicht verstehen, sondern nur nachempfinden kann, auf ihren Schultern, und irgendwann scheinen sich durch das intensive Spiel die Persönlichkeiten Ann/Isabelle zu verwischen. Denn was heißt schon Wirklichkeit oder Illusion? mk.