Liebesflüstern: Zufälliger Liebesreigen zwischen zwei unglücklichen Ehepaaren. Zwischen Sentimentalität und Slapstick inszeniert.
Immer wenn Alan Rudolph die Möglichkeit hat, sich als Regisseur und Drehbuchautor zu entfalten („Welcome to L.A.“, „Trouble in Mind“, „The Moderns“), gelingen ihm Filme von besonderer Prägung. Er erweist sich als typisch amerikanischer Regisseur, der, von europäischen Kinomythen durchdrungen, seinen Hang zur Sinnlichkeit mit romantischer Begeisterung und analytischer Schärfe entfaltet. Diese Ambivalenz macht den Reiz von „Afterglow“ aus, einer stupenden Reflexion über die seltsamen Formen der Liebe.
„Ich hoffe, Sie werden bei diesem Film lachen können. Es ist aber auch völlig in Ordnung, wenn sie weinen.“ Mit diesen Worten leitete Alan Rudolph beim Filmfest München die Weltpremiere von „Afterglow“ ein und beschrieb das Koordinatensystem, in dem sich sein neuer Film bewegt. „Bewegung“ ist bei Rudolph sehr wichtig. Nichts ist konstant, alles fließt. Wenn man sich völlig sicher ist, in welche Richtung sich die Geschichte weiterentwickeln wird, gibt er dem ganzen einen Twist und alles ist wieder offen. Diese Kunst, die Dinge in der Schwebe zu halten, überträgt sich auch auf die Protagonisten, die in ihrer Unberechenbarkeit oft wie in Trance agieren. Somnambule Gestalten in einer artifiziellen Welt und doch so wirklich wie ein Blick aus dem Fenster. Zwei sehr unterschiedliche Paare stellt Rudolph in den Mittelpunkt seiner éducation sentimentale: Den jungen, erfolgreichen Geschäftsmann Jeffrey Byron (Jonny Lee Miller), der seine emotionalen Defizite mit Spleenigkeit und Luxus zu kompensieren sucht und dessen Frau Marianne (Lara Flynn Boyle), die sich sehnlichst ein Kind wünscht, in ihrer stilisierten Sehnsucht nach Erotik und Zärtlichkeit aber wie paralysiert wirkt. Dem gegenüber stehen der patente Handwerker Lucky „Fix It“ Man (Nick Nolte), der bei der Ausübung seines Berufs nicht nur Abflußrohre repariert, sondern auch ganz en passant die lonely hearts diverser Hausfrauen. Seine Ehefrau Phyllis (Julie Christie), ein aus der Mode gekommenes Starlet, läßt ihn gewähren, weiß sie doch, daß eigentlich sie es ist, die ihn durch ihre sexuelle Apathie in die Arme dieser Frauen treibt. Es ist viel geschehen, als sich diese vier Menschen zufällig begegnen. Doch die Last der Vergangenheit ist nur ein Aspekt, der ihr Verhalten zueinander motiviert. Sehr schnell bekommt diese Konstellation eine Eigendynamik, die alles und alle durcheinanderwirbelt. Pointiert in der Bildsprache, vor allem durch das allegorisierende Farbenspiel und konsequent in Dramaturgie und Gestus, schafft Rudolph eine intime Atmosphäre, die in ihren besten Momenten an erotischer Finesse kaum zu überbieten ist. Besonders herauszustellen ist Julie Christie, die man schon lange nicht mehr so charismatisch auf der Leinwand erleben durfte. Nach dem flächendeckenden Popcorn- und Mainstream-Bombardement in diesem Sommer bleibt zu hoffen, daß dieser subtile Autorenfilm für viele Kinogänger eine willkommene Abwechslung sein wird. Denn Alan Rudolph macht etwas ganz Rares und Kostbares: Filme für Erwachsene. ull.