House of Mirth: Demaskierendes Gesellschaftsporträt Anfang des 20. Jahrhunderts um die unglückliche Liebe und den sozialen Abstieg einer New Yorkerin.
Ein Gesellschaftsporträt mit aktuellen Bezügen: Terence Davies, dem das Filmfest München eine Hommage widmet, erzählt die unglückliche Liebe einer New Yorkerin Anfang des 20. Jahrhunderts. „Akte X“-Star Gillian Anderson spielt souverän Lily Bart, die Heldin aus Edith Whartons Roman, die an Missgunst, Eifersucht und rigiden Standesregeln zerbricht.
Als „Jane Austen ohne Handschuhe und mit Blut an den Händen“ bezeichnet der Brite Terence Davies die amerikanische Romanautorin Edith Wharton, Schülerin von Henry James, die die Dekadenz und Skrupellosigkeit der Oberen Zehntausend, den Gegensatz zwischen Alter und Neuer Welt wie unter dem Brennglas verdichtet. In seiner literarischen Adaption des gleichnamigen Romans verlässt Terence Davies, der in „Distant Voices, Still Lives“ und „Am Ende eines langen Tages“ sich von Kindheitserinnerungen inspirieren ließ, die heimische Welt - wie auch schon in der Verfilmung des John Kennedy Tooles-Romans „The Neon Bible“ - und seziert den Egoismus einer Gesellschaft, in der nur materielle Werte zählen. Und damit schafft er bewusst den Sprung in die Gegenwart, denn „Haus Bellomont“ ist, bis auf wenige spezifische gesellschaftliche Eckpunkte, wie die damalige extrem von Männern abhängige Stellung der Frau, eine universelle Geschichte, die mit der Maxime „Geld regiert die Welt“ ihre Gültigkeit nicht verloren hat. Die junge Lilly Bart gehört zur New Yorker Oberschicht und hat nur einen kleinen, aber gravierenden Fehler - die fehlende finanzielle Sicherheit. Deshalb muss sie sich einen reichen Ehemann angeln, für die charmante Schöne eigentlich kein Problem. Leider träumt sie noch von der wahren Liebe mit Anwalt Lawrence Selden und verpasst dadurch beste Heiratschancen. Als ihr dann noch eine Affäre mit einem verheirateten Mann angedichtet wird und ihre wohlhabende Tante sie mit 10.000 Dollar im Testament abspeist, fällt sie in tiefste Armut. Die Möglichkeit, sich ihre gesellschaftliche Position durch Erpressung (sie besitzt kompromittierende Liebesbriefe ihrer größten Feindin an Selden) zurückzuerobern, vergibt sie, um den Ruf des geliebten Mannes nicht zu ruinieren. Und ruiniert sich lieber selbst. Subtil, aber auch satirisch ist Davies‘ Blick auf eine oberflächlich dahinlebende und um sich selbst kreisende Gruppe von Menschen, die sich Gefühle kauft und Nabelschau betreibt, sich lächerlichen Ritualen und einer überflüssigen Etikette beugt. Wer das Spiel nicht mitspielt, fliegt raus. So muss Lilys Widerstand in einer schicksalshaften Tragödie enden. Die Belle Epoque entpuppt sich als elender Sumpf an Bigotterie, der jeden verschlingt, der sich nicht anpasst. Davies serviert kein glattes Period Piece mit in wunderbaren Kostümen gekleideten Menschen, sondern die Brüchigkeit einer Epoche vor dem Niedergang, der sich durch Zeichen ankündigt. „Haus Bellomont“ ist nicht so opulent wie Martin Scorseses Wharton-Verfilmung „Zeit der Unschuld“ aus dem Jahre 1993, ist härter und demaskierender. Freunde exquisiter Unterhaltung sollte dieses delikate Psychogramm einer Frau zischen moralischem Anspruch und Unmoral genießen, zumal Davies mit Dan Aykroyd als perfiden Ehemann, der die Leichtgläubigkeit von Lily ausnutzt, Eric Stoltz als feigen Selden, Laura Linney als intrigantes Biest und Gillian Anderson in ihrer Fragilität allein schon einen Besuch wert sind. mk.