Gran Paradiso - Das Abenteuer Mensch zu sein: Imposantes Bergabenteuer, in dem sich eine Gruppe jugendlicher Außenseiter zusammenraufen muss.
Regisseur Miguel Alexandre beweist Mut in seinem Kinodebüt - und ein erstaunlich sicheres inszenatorisches Gespür. Mit seinem Erstling (nach „Tatort“ und mehreren TV-Movies) hat er sich eines Themas nahe am Tabu-Bereich angenommen und es gänzlich unmanieriert in spannende Unterhaltung umgesetzt. Und das unter extremen Bedingungen: die abenteuerlichen Dreharbeiten fanden teils in knapp 4000 Metern Höhe auf dem Gletscher statt.
Seine Geschichte um Freundschaft, Liebe und eine große Herausforderung lebt stark von ihren Hauptdarstellern, dem „Trio amical“ Mark (Ken Duken), Lisa (Regula Grauwiller) und Wolf (Gregor Törzs). Um diese drei entwickelt sich die Handlung, die sich nach einem kurzen Opener als „Road Trip“ der anderen Art zwischen Hamburg und den schneebedeckten Gipfeln der Engadiner Alpen entfaltet. Die differenziert entwickelten Figuren (starkes Drehbuch: Georg Heinzen), von denen jede mit einer konfliktgeladenen Vergangenheit ausgestattet ist, die aber zum Glück nicht ausgewalzt, sondern nur angedeutet wird, sind allesamt Einzelkämpfer. Erst im Verlauf der gemeinsam und gegen alle Schwierigkeiten zu bewältigenden Aufgabe nähern sie sich einander an, bis wirkliche Freundschaft entsteht. Am schlimmsten hat es Mark erwischt: nach einem Unfall ist der junge Mann querschnittgelähmt, für immer an den Rollstuhl gefesselt. Zu allem Überfluss ist er in einer Klinik für geistig Behinderte untergebracht, wo wenig Raum bleibt für seine speziellen Bedürfnisse. So hat er sich in eine gefährliche Isolation zurückgezogen, die die neue Physiotherapeutin Lisa zu durchbrechen sucht. Als Mark in einer verzweifelten Situation zum Selbstmord entschlossen scheint, gibt sie ihm eine Perspektive, die ihm im Leben hält: sie verspricht dem leidenschaftlichen Bergsteiger, ihn auf den Gipfel des Gran Paradiso zu bringen. Die Aussicht, dass sein Lebenstraum in Erfüllung gehen könnte, gibt Mark neuen Mut. Jetzt ist Lisa in Zugzwang: Um ihr Versprechen zu halten, muss sie unkonventionelle Wege gehen. Sie gewinnt einen Studienfreund, der als Sozialarbeiter im Gefängnis arbeitet, für ihren verwegenen Plan. Im Austausch für eine Woche Freigang soll eine Gruppe seiner „Knastis“ Mark im Rollstuhl auf den Berg tragen. Doch die jungen Straftäter um Wortführer Wolf ahnen nicht, dass auch der geistig behinderte Hüne Harpo und ein blinder Passagier aus der Anstalt mit auf Tour gehen.
Die Konflikte zwischen „Knackis“ und „Spastis“ sind vorprogrammiert und heftig, bis alle erkennen, welche persönliche Herausforderung für jeden von ihnen in dieser Gipfel-Tour-de-Force steckt. Diese Gruppenkonstellation birgt viel Witz in ausgezeichneten, nie gestelzten Dialogen , der immer wieder die fesselnde Dramatik in befreiendem Lachen löst.
Nach einem etwas zähen Einstieg entwickelt sich vor allem der Mittelteil des Plots zu packender, dichter Unterhaltung. Die Darsteller, allen voran Ken Duken und Gregor Törzs, leisten Großartiges, hervorragend besetzt sind auch die Nebenrollen, beispielsweise Frank Giering als Neonazi Edwin und Alexander Hörbe als geistig behinderter Harpo.
Wie ein Leitfaden zieht sich der in Trekkie-Sprache gehaltene Off-Kommentar des Hauptdarstellers durch den Film. Seine Eintragungen ins „Logbuch der Enterprise“ im Voice Over helfen, die Härte der Hauptfigur zu mindern.
Der größte Verdienst des Films ist sicher sein Mut zur Emotion, gepaart mit viel Witz, der teils richtig „un-pc“ daherkommt, beispielsweise in den Lachnummern über Edwin, den „Herrenmenschen“. Trotzdem schlüpft Miguel Alexandre zu keiner Zeit in die Schuhe der Farrellyi-Brüder und widersteht jedem noch so verlockenden schlechten „Verrückt nach Mary“-Joke. Dafür bewegt er sich sicher im dramatischen Bereich - wenngleich er manchmal die Grenze zur Sentimentalität schrammt - ordnet die Liebesgeschichte, die sich zwischen Wolf und Lisa anbahnt, der Entwicklung der Freundschaft und dem Traum eines Einzelnen, der zur gemeinsamen Herausforderung für die Gruppe wird, unter. Auch das eher unsentimentale Ende dient der Erkenntnis: Wer etwas wirklich will, kann es auch erreichen - with a little help of your friends. Schöner können Kinoträume kaum Wirklichkeit werden…
Wunderschöne Landschaftsaufnahmen und technische Perfektion sollten, unterstützt von ein wenig „word of mouth“, dafür sorgen, dass sich „Gran Paradiso“ an der Kinokasse zu einem kleinen Gipfelstürmer entwickelt. boe.