Nach ihrem enttäuschenden Ausflug nach Hollywood mit dem Road Movie „Mad Love“ kehrt Antonia Bird mit „Face“ wieder in ihre britische Heimat zurück. Der knallharte Gangsterfilm, der im Milieu von John Mackenzies „Rififi am Karfreitag“ angesiedelt ist und in seinen Actionsequenzen an Michael Manns Meisterwerk „Heat“ erinnert, erlebte auf den diesjährigen Filmfestspielen von Venedig in der Reihe British Renaissance II seine Premiere. Die Story um fünf Kriminelle, die sich nach einem Coup allmählich gegenseitig zu zerfleischen beginnen, weil sich ein Verräter in den eigenen Reihen befindet, besitzt zwar nicht ganz die Klasse von Birds Drama „Der Priester“, dafür aber genügend Schauwerte, um auch ein ausgewähltes deutsches Publikum faszinieren zu können.
Für die Hauptrolle ihrer mit 3,7 Mio. Dollar eher bescheiden budgetierten BBC-Produktion sicherte sich Antonia Bird die Dienste von Robert Carlyle. Der derzeit wohl populärste britische Darsteller, durch Parts in „Trainspotting“ oder „Ganz oder gar nicht“ auch hierzulande kein Unbekannter mehr, spielt Ray, den Anführer einer fünfköpfigen Gruppe von Gangstern, zu der auch sein alter Kumpel Dave, der etwas unterbelichtete Stevie und der zu Gewaltausbrüchen neigende Julian gehören. Nach erfolgreich durchgeführtem Raub in einer Londoner Security-Firma kommt es zu ersten Streitigkeiten, da die dabei gemachte Beute nur einem Bruchteil von dem entspricht, was sich das Quintett erhofft hatte. Als auch noch wenig später jeder der Beteiligten auf mysteriöse Weise um seinen Anteil aus dem Einbruch gebracht wird, ist der Zusammenhalt der Bande hochgradig gefährdet. Man beginnt, jeden Schritt, jede Bewegung des anderen argwöhnisch zu beobachten - in der Hoffnung, endlich den Verräter ausfindig zu machen. Als dies endlich geschieht, ist nicht nur die Überraschung groß, auch die Probleme sind keinen Deut weniger geworden.
Antonia Bird präsentiert in „Face“ - der Titel ist ein Slang-Ausdruck für Gangster - drei Action-Höhepunkte: Den Coup am Anfang, eine wüste, an „Heat“ erinnernde Schießerei auf offener Straße im Mittelteil und einen virtuos inszenierten Einbruch in eine Polizeistation gegen Ende des Films. Dazwischen versucht sie, ihren Figuren Tiefe zu geben, ihnen Leben einzuhauchen, was sie aber nur teilweise erfüllt. So wird weder Rays Beziehung zu seiner Freundin Connie (Lena Headey aus „Mrs. Dalloway“, hier unter Wert geschlagen) klar umrissen, noch wird dessen Vergangenheit als politischer Idealist deutlich herausgearbeitet. Entschädigt wird man durch die Leistung von Philip Davis, der einen wunderbaren Psychopathen abgibt, ein mit zündenden Dialogen gespicktes Drehbuch und die erlesene Kameraarbeit von Fred Tammes, der zuweilen sogar vergessen macht, daß man sich hier in einem Fernsehfilm befindet. Trotz eines allzu versöhnlichen und deshalb unbefriedigenden Endes ist „Face“ ein zügig inszeniertes Gangster-Movie, in dem Antonia Bird ihr Talent, das sie mit „Der Priester“ schon bewiesen hat, ein ums andere Mal aufblitzen läßt. Obwohl sich der aktuelle britische Film, mit Ausnahme vielleicht von „Trainspotting“, an der deutschen Kinokasse relativ schwer tut, sollte diesem ansprechenden Thriller ein solides Einspielergebnis gelingen. lasso.