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13 Reasons Why: Trigger - Mehr Warnen oder mehr Reden? Netflix reagiert


„13 Reasons Why“ („Tote Mädchen lügen nicht“) sorgt seit Ende März 2017 für Aufregung unter Jugendlichen und Erwachsenen. Unterschiedliche Standpunkte, Gefühle, Erfahrungen und Erwartungen treffen aufeinander.

Selena Gomez ist die Produzentin der neuen Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“. Im Netflix-eigenen Special zur Serie betonen sie und ihr Team, wie wichtig es allen war, Teenager ernst zu nehmen und sie als kompetente Menschen anzusprechen. Kein pädagogischer Beitrag von oben herab war das Ziel, sondern eine realistische Verfilmung eines einfühlsamen Romans über den Selbstmord einer 17-jährigen Schülerin.

Tote Mädchen lügen nicht Haupt-Trailer-Netflix.mp4

Tote Mädchen lügen nicht: Stream & DVD der Serie

Warnung muss sein! Redeverbot an Schulen nicht

Das ist ein lobenswerter Ansatz und, wie die Autorin dieses Artikels findet, auch sehr gut gelungen. Für viele andere Erwachsene ist es das nicht. Sie sehen vor allem eine Verherrlichung des Suizids, befürchten einen Werther-Effekt und glauben, dass die Serie suizidale Gedanken und Depressionen eher befördert, statt positiv davon abzulenken.

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Und richtig: In gute Stimmung kommt man von der Serie nicht. Menschen - auch Erwachsene - mit entsprechendem Erfahrungshintergrund müssen sogar mit erheblichen Triggern rechnen. Wie man es der Warnung von Paris Jackson entnehmen kann oder den Erklärungen der Gesundheitsbehörden und Suizid-Präventionsstellen in Australien, Neuseeland, Großbritannien oder Deutschland. Es hagelte Kritik für die expliziten Darstellungen von Gewalt, Vergewaltigung und Suizid. Jetzt will auch Netflix mehr vor Triggern warnen.

Wie Suizidberatungsstellen und Hotlines anmerken, ist die Anzahl der Hilfegesuche seit dem Start der Serie tatsächlich gestiegen. Es ist daher wichtig, ausdrücklich und umfassend vor der Serie zu warnen. Noch wichtiger ist es aber, darüber zu sprechen, wenn sie gesehen wurde und nicht ein Redeverbot über die Serie auf dem Schulhof zu verhängen, wie in Kanada geschehen (s.u.).

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Die klare Warnung: Wenn ihr merkt, dass euch die Thematik nicht behagt, treibt diese Gefühle nicht auf die Spitze, sondern hört erst mal auf, die Serie weiter anzusehen!

Auch wenn die Macher der Serie die gewählten Darstellungen weiterhin - ebenfalls berechtigt - verteidigen und begründen, ist Netflix insofern auf die Kritik eingegangen, dass sie umfassender und gleich zu Beginn der Serie einen Warnhinweis schalten wollen. Außerdem soll diese Einblendung auch eine Webadresse enthalten, die Hilfesuchenden dienlich ist.

Tote Mädchen lügen nicht Staffel 2: 13 gute Gründe für eine Fortsetzung

Neuseeland erfindet das RP 18 Rating und fürchtet Schaden für das Land

Neuseeland hat für diese Serie extra eine neue Jugendschutzkategorie eingeführt: Das RP 18 Rating. Dies besagt, dass Jugendliche unter 18 die Produktion nur unter Aufsicht ihrer Erziehungsberechtigten anschauen dürfen. Damit ist der Zielgruppe von „13 Reasons Why“ offiziell das Anschauen erheblich erschwert worden. In diese Entscheidung floss mit ein, dass die Jugendsuizidrate in Neuseeland eine der höchsten im OECD-Länderverband ist. Der Publikation wird unterstellt, im Land weiteren Schaden anzurichten.

 

Kanadische Schulen unterbinden das Sprechen über 13 Reasons Why

Die St. Vincent Grundschule in Edmonton hat ein Redeverbot auf dem Schulhof erlassen und den Eltern eine entsprechende Mitteilung gemacht. Die Direktorin der Schule wollte damit aber wohl vor allem eine Diskussion im Zuhause der Schüler und Schülerinnen entfachen. Nun haben aber gerade von Depression und Selbstmordgedanken geplagte Jugendliche nicht unbedingt ein Zuhause, in dem eine solche Diskussion besonders fruchtbar geführt werden kann. Ist es nicht gerade in der Verantwortung der Schulen ihren Schützlingen einen Raum zu geben, der es ermöglicht, offen über Probleme zu sprechen und eine Beratung zu bekommen?

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Warum Eltern die Serie ansehen sollten: Mehr Warnen oder mehr Reden?

Es wirkt tatsächlich paradox, dass so viele Kinder nach dem Ansehen der Serie aufgewühlt sind, sich berührt fühlen und darüber reden wollen und die Erwachsenen mit einem Redeverbot darauf reagieren, um diese Kinder zu schützen.

Allgemein scheinen gar keine Schlüsse daraus gezogen zu werden, dass die Serie ganz offensichtlich auf so großes Interesse stößt. Vielleicht sollte man vor allem über die mehr als 13 Gründe, warum das so ist, diskutieren. Warum sehen sich so viele (junge) Menschen eine Serie an, die vor allem von Unwohlsein, Gewalt, Mobbing, Vergewaltigung, Trauma und den alltäglichen Schwierigkeiten beim Erwachsen-Werden erzählt? Es sind ja nicht nur Hannahs Probleme, die in der Serie zum Tragen kommen, es sind viele Anknüpfungspunkte und Identifikationsfiguren vorhanden.

Vielleicht können ratlose Eltern einen Einblick erhalten, warum ihre Teenager so verschlossen sind.

Warnen oder Reden? Netflix hat sich bisher auch in Deutschland nur für mehr Warnung entschieden. Eine weitere inhaltliche Auseinandersetzung wäre wünschenswert.

Tote Mädchen lügen nicht: Alle Songs & Szenen: Der 13-Reasons-Why-Soundtrack

Die Glorifizierung von Selbstmord und andere Vorwürfe: Eltern nehmt eure Kinder ernst

Wir wollen an dieser Stelle auf keinen Fall die Einschätzung professioneller Institutionen in Frage stellen, aber einige Punkte kann man auch ganz anders sehen. Für Eltern, die mit ihren Kindern bitte über die Serie sprechen möchten, gibt es zum Beispiel ein PDF mit Tipps, worauf sie dabei achten sollen. Schweigen und Verbote sind ganz sicher nicht der richtige Umgang.

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  • Beispiel Eins - Die Glorifizierung von Selbstmord: Hannah Baker bringt sich in der Badewanne um. Sie schneidet sich die Pulsadern auf. Die präzise Darstellung dessen ist brutal, zeigt aber sehr deutlich, dass es ein einsames, schmerzhaftes und trauriges Ende ist. Da ist nichts heroisches. Ebenfalls wird deutlich gezeigt, wie Hannahs Mutter ihr totes Kind findet und damit ist jedem deutlich vor Augen geführt, wie entsetzlich schmerzhaft und traumatisierend ein suizidales Geschehen für die Angehörigen und Freunde ist. Statistiken sagen, dass jeder Selbstmord mehr als sechs weitere Menschen in Trauma und Unglück stürzt. Wer sich selbst umbringt, greift damit auch einschneidend in das Leben seiner Mitmenschen ein. Das wird sehr deutlich gezeigt.
  • Beispiel Zwei - Die Serie zeigt keine Lösungen: Das stimmt so nicht. Die Serie zeigt deutlich, dass Hannah bei ihrer Suche nach Lösungen scheitert und es wird auf jedem Tape deutlich, dass es auch einen anderen Weg gegeben hätte, mit der Angelegenheit umzugehen. Insofern sind die Lösungen implizit enthalten und Teenager sind durchaus kompetent genug, dies auch wahrzunehmen. Jessica, die ebenfalls mit einer Vergewaltigung leben muss, schafft es am Ende der Serie, ihrem Vater davon zu erzählen - hier wird eine mögliche Lösung gezeigt.
  • Beispiel Drei - Der Suizid ist die Schuld der anderen: Der Serie wird vorgeworfen, dass Hannah die Schuld für ihre Tat anderen anlastet und sie mit ihren Tapes anklagt und verletzt. Somit würde der Eindruck erweckt, andere Menschen wären für den Selbstmord verantwortlich. Dieser Vorwurf ist zwar nicht von der Hand zu weisen, übersieht aber, dass Hannah eben nicht alles richtig macht. In dieser Serie geht es nicht darum, zu zeigen, wie man alles richtig macht. Hannahs Tapes sind eine brutale Hinterlassenschaft an ihre Umwelt - sie stürzt damit andere ins Unglück, statt nach Versöhnung und Hilfe zu suchen. Hannah hat das Gefühl, niemand interessiert sich für sie und da sie tot ist, wird sie nie erfahren, dass das nicht der Fall war. Wir aber sehen, dass das nicht stimmt. Da ist Mitgefühl, Anteilnahme, Liebe und Trauer - Hannah hatte Freunde! Die Botschaft der Serie ist also nicht: Andere sind schuld, wenn du dich umbringst, sondern: Auch wenn du glaubst, niemand sei für dich da und alle hassen dich - zieh dich nicht zurück, kämpfe um dein Leben und verlass dich darauf, dass du geliebt wirst. Denn da sind Menschen, die um dich trauern, dich vermissen und alles getan hätten, damit du diesen finalen Schritt nicht gehst!
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Die Frontallappen eines Teenagers oder warum Hilfe suchen oft so schwer ist: Redet!

Die meisten Menschen suchen sich Hilfe und reden über ihre Probleme. So die Beratungsstellen und Gesundheitsorganisationen. Das Hannah dies kaum tut, sei unrealistisch. Ist es das wirklich? Tatsächlich sind die Gehirne von Teenagern noch im Wachstum und während unsere Frontallappen ausgebildet werden, sehen wir einige Dinge erheblich anders, als wir sie drei, vier Jahre später, nach dem Abklingen der Pubertät, empfinden und beurteilen.

Was für Erwachsene Kleinigkeiten sind, kann für einen Teenager die Welt bedeuten. Wo ein Erwachsener sich sagt, das geht vorbei, vermutet der Teenager einen immerwährenden Zustand. Daher ist es wichtig, dass Eltern auch kleine Probleme ihrer Kinder ernst nehmen und ihnen wirklich zuhören. „Das ist nicht so schlimm“ oder „Stell dich nicht so an“ sind keine hilfreichen Sätze, sondern sorgen nur dafür, dass sich der junge Mensch noch mehr verschließt, das Vertrauen verliert.

Scham macht stumm

Es gibt genügend professionelle Hilfsangebote, Freunde und Eltern, aber manchmal ist es sehr schwer, sie in Anspruch zu nehmen - selbst für so ein smartes Kind wie Clay Jensen. Scham spielt dabei eine große Rolle - ein sehr schlimmes Gefühl, mit dem Menschen in vielfachen Situation konfrontiert sein können und das sie zu meiden suchen. Eine Vergewaltigung erzeugt ein Schamgefühl, dass es oftmals unmöglich für die betroffenen Personen macht, darüber zu sprechen. Vergewaltiger auf der ganzen Welt profitieren von diesem Fakt. Täter profitieren immer von dem Schweigen der Opfer.

Daher ist es besonders wichtig, dass ihr euch überwindet und über eure Gefühle sprecht und dass Eltern ein Verhältnis herstellen, das von Vertrauen und der Abwesenheit von Schuldgefühlen geprägt ist. Wie Heiner Müller schrieb: „Kommt reden wir zusammen, wer redet ist nicht tot!

Eure Eltern haben Probleme, die euch belasten? Es gibt Hilfe!

Manchmal ist es so, dass Eltern nicht gut für ihre Kinder sind. Dies kann euch seelisch mehr deformieren, als ihr es selbst im Augenblick wahrnehmen könnt. Jeder Mensch findet Wege, sich den Gegebenheiten anzupassen und oftmals entscheidet die Intelligenz und der Zufall, ob man seine Entwicklung trotz widriger Umstände zum Positiven lenken kann. Davon abgesehen kann sich der akute Schmerz unerträglich anfühlen.

In den meisten Fällen ist es sehr wichtig für Kinder aus dysfunktionalen Familien, die heimatlichen Zustände so gut als möglich zu verheimlichen und zu verharmlosen. Damit schießt ihr euch selbst ins Knie. Ihr verliert Selbstwertgefühl und begebt euch in die Gefahr, eure echten Gefühle zu verdrängen. Das ist ein hoher Aufwand und Energie, die euch an anderer Stelle ganz sicher fehlen wird.

In Schulen wird leider viel zu wenig darüber informiert, dass ihr euch nicht jeder Situation Zuhause aussetzen müsst. Ihr seid den Gegebenheiten nicht hilflos ausgeliefert und könnt eurer Wahrnehmung vertrauen. Wenn ihr das Gefühl habt, eure Eltern schaden euch, dann zieht eine Person ins Vertrauen und öffnet euch. Sucht nach sozialpädagogischen Anlaufstellen, die euch auch anonym beraten, es gibt sie auch ausschließlich für Mädchen. Im Rahmen der Erlebnispädagogik sind viele gute Auswege entstanden, die euch kurzfristigen Raum für funktionale Entwicklung bieten. Es gibt familientherapeutische Ansätze, die an der gesamten Situation etwas ändern können.

Versucht nicht, einfach nur zu überleben! Nehmt euer Leben aktiv in die Hand.

Schnelle Wege zum Profi!

Habt ihr Selbstmordgedanken und das Gefühl, euch niemandem anvertrauen zu können? Sucht euch Hilfe im professionellen Umfeld! Oftmals hängen Suizidgedanken und psychische Störungen zusammen. Das ist ebenfalls nichts, dessen ihr euch schämen müsstet. Missbrauch von Substanzen, Depressionen, Borderline-Störung, dissoziative Persönlichkeitsstörungen und viele andere problematische Krankheiten und Verhaltensweisen lassen sich heutzutage sehr gut behandeln.

In Deutschland nehmen sich ungefähr 10.000 Menschen im Jahr das Leben. Es ist auch für die Angehörigen wichtig, dass sie offen über Suizid sprechen können, ohne befürchten zu müssen, dass sie gesellschaftlich ausgegrenzt werden. Redeverbote sind für niemanden eine Hilfe, sondern das falsche Signal. Passt aufeinander auf!

 

 

 

 

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