Mit seiner neuesten Serie auf Disney+ hat sich Ryan Murphy wahrlich keinen Gefallen getan. „Doctor Odyssey“ wirkt auf mich leider erschreckend rückständig.
– Dieser Artikel spiegelt die Meinung der Autorin wider und nicht zwangsweise die aller kino.de-Redakteur*innen. –
Durch Titel wie „The Bear“, „Only Murders in the Building“ und „Sons of Anarchy“ hat sich Disney+ für mich über die letzten Jahre zum besten Streamingdienst auf dem deutschen Markt entwickelt. Einer neuen Serie, die derzeit wöchentlich neue Folgen an den Start bringt, kann ich allerdings so gar nichts abgewinnen. Dabei hatte ich eigentlich große Hoffnungen – denn „Doctor Odyssey“ stammt unter anderem von Horror-Ikone Ryan Murphy, der mit der Action-Serie „9-1-1“ seit Jahren ein Händchen für Notfalldramen beweist. Einen ersten Eindruck liefert der offizielle Trailer:
Zugegeben, das Setting eines Kreuzfahrtschiffes hat mich von Anfang an etwas abgeschreckt, denn in Zeiten des Klimawandels wirkt das auf mich alles andere als zeitgemäß. Und trotzdem: Medizin-Serien gehen eigentlich immer, oder? Nun ja, wenn sie die extravaganten Erkrankungen und Behandlungsmethoden in den Fokus rücken, auf jeden Fall. Bei „Doctor Odyssey“ weicht das jedoch triebgesteuertem (Fehl-)Verhalten, weshalb der Titel „Doctor Odyssex“ eigentlich besser passen würde…
Joshua Jackson überzeugt – aber…
Noch nie habe ich eine Serie gesehen, die Folge um Folge nur so vor Klischees strotzt. Alles fängt damit an, dass der Kreuzfahrtdampfer Odyssey einen neuen Schiffsarzt sucht. Obwohl Krankenschwester Avery Morgan (Phillipa Soo) eigentlich die nötige Qualifikation mitbringt, aufzusteigen und diesen Posten zu besetzen, wühlt sich der Captain (Don Johnson) lieber durch 110 Bewerbungen, um den überqualifizierten Dr. Max Bankman (Joshua Jackson) einzustellen.
Der präsentiert sich – klischeebehaftet – zunächst als unnahbar und zieht durch seinen Sex-Appeal direkt eine Angestellte der Odyssey in den Bann, die daraufhin die Sicherheitsregeln missachtet – obwohl sie kurz zuvor noch vehement darauf bestanden hatte. Ich erwische mich zum ersten Mal dabei, wie ich mit den Augen rolle… An Bord will sich Bankman wohl direkt eine mystische Aura aufbauen. Stets ist ungewiss, ob sein Gesichtsausdruck von Erfahrung oder Arroganz geprägt ist. Das weiß Hauptdarsteller Joshua Jackson absolut hervorragend umzusetzen, die Handlung bessert das hingegen nicht wirklich aus.
„Doctor Odyssey“ zertrümmert, was die Serie hätte am Leben halten können
Zumindest aber der Zusammenhalt zwischen Avery und ihrem Kollegen Tristan Silva (Sean Teale) ist in den ersten Szenen schön anzusehen. Doch scheint ihre Vertrautheit anfangs noch durch jahrelange Zusammenarbeit und ein freundschaftliches Verhältnis geprägt zu sein, kippt der erste Eindruck nach weniger als 30 Minuten: Tristan gesteht seinem neuen Vorgesetzten, dass Avery ihm schon lange den Kopf verdreht habe. Damit zerstört „Doctor Odyssey“ nicht nur den bis dato besten Aspekt, sondern setzt uns direkt ein weiteres Klischee vor: Männer und Frauen können keinesfalls befreundet sein. Ich rolle wieder mit den Augen.
Was im Anschluss geschieht, setzt all dem sogar noch die Krone auf: Obwohl Tristan ihm vor wenigen Sekunden seine Gefühle anvertraute, steht Dr. Bankman auf, um innig mit Avery zu tanzen – und sie im Beisein von Tristan zu küssen. Damit nimmt eine für mich unerträgliche Dreiecksbeziehung ihren Lauf, in der die Beteiligten mehrmals rücksichtslos auf ihren Gefühlen herumtrampeln.
Mehr Details möchte ich euch an dieser Stelle nicht verraten; und mehr braucht es auch nicht, um zu beweisen, wie rückständig und veraltet „Doctor Odyssey“ die Story aufbaut. Die Stereotypisierung der Geschlechter tritt wild in alle Richtungen um sich: Während sich Frauen an Bord sogar Pillen einwerfen, um schlanke, attraktive Körper zur Schau zu stellen und sich wegen eines Mannes niedermachen, drückt die Serie Männer in die Rolle triebgesteuerter Alphas, die ihre Machtpositionen ausnutzen und Frauen die Welt erklären. Als sich das Machtgefüge zum ersten Mal umdreht, wird gar sexuelle Belästigung verharmlost – denn der Vorfall bleibt unkommentiert und ohne Konsequenzen. Augen rollen reicht hier schon gar nicht mehr. Das gleicht eigentlich einem Skandal.
„Doctor Odyssey“: Das Schiff dreht sich im Kreis
Darüber hinaus reiht „Doctor Odyssey“ Dialoge und Reaktionen aneinander, die für mich absolut unverständlich sind. Zwar kann mir die eine oder andere skurrile Situation sogar ein Lächeln abgewinnen, zum Großteil wirken Witze auf mich allerdings so fehlplatziert, dass sie entweder vorhersehbar oder – noch schlimmer – im medizinischen Kontext pietätlos sind.
Was man der Serie hingegen zugute heißen muss: Jede Folge widmet sich einer Woche an Bord der Odyssey, in der ein neues Thema für Abwechslung sorgt. So bekommen wir verschiedenste Charaktere zu Gesicht, die Max, Avery und Tristan durch vielfältige Krankheitsbilder auf Trab halten. Das ändert aber leider nichts daran, dass sich gewisse Fälle nach spätestens sechs Folgen wiederholen – wenn auch in leicht anderer Ausführung.
„Doctor Odyssey“ erinnert an Netflix-Debakel
Wer bei „Doctor Odyssey“ auf eine Mischung von „Das Traumschiff“ und „Grey’s Anatomy“ hofft, wird meiner Meinung nach enttäuscht. Müsste ich einen Vergleich ziehen, würde ich sagen: „Doctor Odyssey“ erinnert mich an Netflix‘ Skandal-Serie „Élite“ – nur eben für Erwachsene. Mit dem Teen-Titel wich Netflix immer weiter vom anfänglichen Thriller-Genre ab und verwandelte sich über die Jahre in einen Softporno. So viel Zeit braucht „Doctor Odyssey“ gar nicht – hier weicht das in Ansätzen sogar ganz spannende Medizin-Drama schon nach 30 Minuten primitiver Intimität.
Und mit dieser Meinung bin ich nicht allein: Kann „Doctor Odyssey“ in der IMDb noch 5,8 von zehn möglichen Sternen abgreifen, vergeben Zuschauende über Rotten Tomatoes gerade einmal 44 %. Kritiker*innen zeigen sich mit 63 % Zustimmung nur geringfügig gnädiger. Selbst wohlwollende Kommentare haben etwas zu bemängeln. So vergab Lucy Mangan von The Guardian fünf Sterne – aber nur aufgrund des Hauptdarstellers Joshua Jackson:
„Diese verrückte Show über medizinisches Schiffspersonal, die Penisfrakturen und Ausbrüche von Geschlechtskrankheiten behandeln müssen, ist unglaublich schlecht – und doch sorgt Joshua Jackson irgendwie dafür, dass es funktioniert.“
Vickie S lässt hingegen kein gutes Wort an „Doctor Odyssey“ und vergibt nur 0,5 Sterne:
„Es war schon eine mittelmäßige Sendung, und dann sank sie in die Tiefen des Abschaums ab. Das war’s für mich. Ich denke, diese Serie wird für diejenigen gemacht, deren Moral so tief gesunken ist, dass sie das unterhaltsam finden. Es hätte eine großartige Serie werden können, wenn sie sich auf medizinische Probleme auf einem Schiff konzentriert hätte, eine Art ‚9-1-1‘ auf dem Meer, aber ich schätze, dass die Autoren nicht versucht haben, eine Serie mit Würde zu machen, die Bestand hat.“
Wenn ihr euch selbst ein Bild von „Doctor Odyssey“ machen wollt, könnt ihr die Serie ab sofort auf Disney+ streamen. Wöchentlich erwartet euch eine neue Episode. Egal, ob euch das Medizin-Drama zusagt oder nicht, ein Abo lohnt sich trotzdem allemal. Disney+ kombiniert ein weitreichendes kinderfreundliches Angebot mit sehenswerten Action-, Drama- und Horror-Highlights für Erwachsene – und stetig kommen neue Titel hinzu. Dadurch ist der Streamingdienst für mich unentbehrlich geworden; und zwar zu einem kleinen Preis: