Wir sind dann wohl die Angehörigen: Subtiles Drama, das die Entführung von Jan Philipp Reemtsma aus der Sicht seines Sohnes und seiner Frau schildert.
Subtiles Drama, das die Entführung von Jan Philipp Reemtsma aus der Sicht seines Sohnes und seiner Frau schildert.
Hans-Christian Schmid meldet sich zehn Jahre nach seinem Drama um eine Familie „Was bleibt“ im Kino zurück mit der Adaption von Johann Scheerers Erinnerungen „Wir sind dann wohl die Angehörigen“. Darin schildert Scheerer die Entführung seines Vaters Jan Philipp Reemtsma im Frühjahr 1996. Schmid erzählt sie nicht in Form eines Thrillers, Krimis oder Melodram, sondern im Gegenteil ruhig, zurückgenommen und unheimlich präzise eben aus der Sicht der Angehörigen. Der im Keller eingesperrte Vater des damals 13-Jährigen ist konsequent nicht präsent, nur durch seine Briefe, die Polizei, wenn sie in Kontakt mit Ann-Kathrin Scheerer oder Johann ist. Das Drama spielt ähnlich wie Schmids Kinovorgänger fast ausschließlich in einer Location und fokussiert sich auf Familie, ein Lieblingsthema des vielfach ausgezeichneten Filmemachers. Hier ist es eine Rumpffamilie, Mutter und Sohn, die mit einer traumatischen Situation konfrontiert werden. Auch in Schmids erster Serienarbeit „Das Verschwinden“ von 2017 hatte eine Mutter mit dem Verlust eines nahen Angehörigen, ihrer Tochter zu kämpfen. Nichts ist beim psychologisch fein ausgearbeiteten Drama, das Schmid mit seinem langjährigen Autor Michael Gutmann schrieb, auf Effekt gebürstet. Das braucht es auch nicht. Allein die von Kameramann Julian Krubasik klaren und ruhig eingefangenen Bilder, wie die Polizei mit ihrem technischen Equipment das Wohnzimmer belagert und die Angehörigenbetreuer ihre Schlafsäcke ausbreiten, vermitteln dem Publikum, dass das Haus für Mutter und Sohn kein sicheres Zuhause mehr und eng, ein Gefängnis geworden ist, vor allem für Johann, der nicht mehr zur Schule darf. Auch später bedarf es keiner tickenden Uhr, um die unendliche Nerven- und Kraftanstrengung von Ann-Kathrin nachzuvollziehen, die sie das Warten, die Unsicherheit und die Angst zu ertragen und die Contenance vor ihrem Sohn zu bewahren, kostet. Der unterdrückt seinerseits seine Gefühle, bleibt meist schweigsam. Dass dieser Film funktioniert, liegt auch an der herausragenden Leistung von Burgtheater-Schauspielerin Adina Vetter und dem jungen Claude Heinrich in den Hauptrollen und überhaupt dem ausgezeichneten Ensemble, zu dem Justus von Donanyi als Reemtsmas Anwalt, der selbst die Geldübergabe übernehmen will, aber an seine Grenzen kommt, oder Hans Löw als Freund der Familie, der sich liebevoll auch um Johann bemüht, gehören. Schmid und Gutmann, die für ihren leisen, aber umso nachhaltigeren Film umfassend, auch auf Seiten der Polizei recherchiert und mit Beteiligten gesprochen haben, führen auch eindrücklich die Pannen bei der Polizei bei einem der spektakulärsten Entführungsfälle der deutschen Geschichte vor Augen, so dass die Geldübergabe schließlich ohne Beteiligung der Behörden stattfand.
Heike Angermaier.