Gleich vorneweg: Das Zentrum des Films gehört Josef Bierbichler. Und nur ihm. Mit Herzenslust schreit und pöbelt er sich durch das Städtchen Wasserburg und weiter bis nach Kenia. Die zahlreichen politisch unkorrekten Ausfälle werden dabei mit einer so aufdringlichen Absichtlichkeit vorgeführt, dass man sich als Zuschauer kaum noch provoziert fühlt auch wenn darin wohl der Sinn gelegen haben dürfte. Doch muss man der Figur des Brenninger zugute halten, dass er sich letzten Endes dem Fremden gegenüber aufgeschlossener zeigt, als man es vielleicht von einigen, sich politisch korrekt artikulierenden Menschen, erwarten würde.
Dass der Figur des Brenninger und damit dem Schauspieler Josef Bierbichler der Haupthandlungsraum überlassen wird, ist sicherlich nichts, das man einem Film vorwerfen könnte. Allerdings hat das auch zur Folge, dass andere Schauspieler in den Hintergrund gedrängt werden. Von Sibel Kekilli sieht und hört man nicht viel, man könnte sie auch einfach als Stichwortgeberin bezeichnen. Dieses Schicksal teilt sie mit Hanna Schygulla, die darüber hinaus auch als stumme Dekoration ins Bild eingefügt wird.
Der Filmtitel Winterreise stammt, wie uns der Film selbst mitteilt, aus Franz Schuberts gleichnamigen Liedzyklus. Darin geht es, wie dem Zuschauer ebenfalls mitgeteilt wird, um einen einsamen, armen, alten Mann, der am Ende dem Wahnsinn verfällt und stirbt. Das gleiche geschieht, es wird niemanden verwundern, auch mit dem armen, alten Franz Brenninger.
Dieser steht scheinbar kurz vor der inneren Implosion. Laut, unverschämt und ruhelos, mit wie die Kamera suggeriert verschwimmendem und hektisch umherschweifendem Blick, klammert er sich an dem Rest Wirklichkeit fest, der ihm noch nicht entglitten ist. Kurz vor dem Bankrott, der Familie entfremdet, steht er vor den ruinösen Resten seines Lebens.
Man merkt ihm dabei durchaus an, dass er eigentlich doch alles hätte besser machen wollen und dass all sein Tun nur dem Zweck dient, zumindest das Schlimmste doch noch zu verhindern. So richtig gelingt es dem Film aber nicht, dem Zuschauer die innere Zerissenheit und den aufkommenden Wahnsinn der Hauptfigur nahezubringen. Denn was das Innenleben Brenningers angeht, bleibt vieles entweder im Dunkeln oder aber wird derart plakativ angebracht, dass man dem nicht ganz trauen will.
So ist die Rede vom Vater, der pleite ging und dessen Pferde sich beim Abtransport der beschlagnahmten Waren blutig scheuerten und schon scheinen im Lauf erstarrte Pferdeskulpturen den Film zu überfluten. Immerhin finden sie sich sowohl im Hof des Betriebes als auch in Brenningers Wohnung. Brenninger, in vollem Karrieregalopp von der übermächtigen Konkurrenz ausgebremst, hat nun blutige Viecher im Kopf, die er einfach nicht mehr los wird.
Daraufhin hört er übermäßig lauten Indie-Rock, in dem gebrüllt wird: They say Im going insane oder erstarrt theatralisch angesichts der Schubertschen Liedzeile: Eine Straße muss ich gehen, die noch keiner ging zurück. Kann es das gewesen sein?
Brenninger ist im Übrigen nicht die einzige Figur auf der Suche nach der eigenen Identität. Auf seiner Winterreise trifft er nicht nur auf die traurige, vaterlose Leyla, die Ethnologie studieren will, um herauszufinden, was geschieht, wenn ein Volk einfach verschwindet, sondern auch auf einen mysteriösen Dauertouristen, der seit einundzwanzig Jahren in den chaotischen Straßen Nairobis nach seiner verschollenen Frau sucht.
Zwar wird der ganze Film von einer schmerzhaften Sehnsucht nach Seelenruhe zusammengehalten, doch auch die Poesie, wie sie der Film sicherlich vermitteln will, kommt ein wenig zu gewollt daher, als dass man ihr eine wirklich tiefgehende Dimension zusprechen möchte. Es wirkt so, als würde der Film viele Ideen aufgreifen, aber keine richtig zuende denken. Angesichts der Ideen ist das ziemlich schade.
Fazit: Ein Film über das allmähliche Zerbrechen einer Identität, deren Tiefendimensionen sich nicht erschließen lassen.