Wenn einer von uns stirbt, geh ich nach Paris: Doku, die ein erschütterndes Mahnmal gegen Kindsmissbrauch setzt - anhand der Geschichte der Mutter des Filmemachers Jan Schmitt.
Mit seinem erschütternden Mahnmal gegen Kindsmissbrauch versucht der Fernsehjournalist Jan Schmitt den Selbstmord seiner Mutter zu ergründen.
Wenn die Kamera anfangs ganz langsam über Arnold Böcklins düster-unheilvolles Gemälde „Die Toteninsel“ gleitet, dann ahnt man schon, dass uns hier nichts Erfreuliches erwartet. Tatsächlich handelt der (erste) Dokumentarfilm des Fernsehjournalisten Jan Schmitt vom Schweigen und Vertuschen, von Missbrauch und Tabus, von Selbstmord und Todessehnsucht. In „Wenn einer von uns stirbt, geh‘ ich nach Paris“ begibt sich Schmitt auf Spurensuche, versucht zu ergründen, warum sich seine Mutter Mechtild einst das Leben nahm. Während er deren Schwestern befragt, Jugendfreundinnen wie Kolleginnen besucht sowie Akten wälzt und Gutachten studiert, entsteht nicht nur das intime Porträt einer tiefverzweifelten Frau, es tauchen auch nach und nach schreckliche Ereignisse aus der Vergangenheit auf, die bist dato stets totgeschwiegen, unter den Teppich gekehrt worden waren.
Geschickt nutzt Schmitt sämtliche Mittel der Dramaturgie aus, berichtet zunächst von einem beinahe alltäglichen Leben, fördert dann aber immer mehr Details zu Tage, präsentiert schließlich Skandalöses, Unfassbares und versucht eine Erklärung dafür zu finden wie diese Kindheits-Traumata zum Freitod seiner Mutter führten, ja führen mussten. Erst ist „nur“ von einem Jesuitenpater, einem guten Freund der Familie, die Rede, der zuweilen im Zimmer der kleinen Mechtild verschwand, dann von zwei Schwangerschaften einer Minderjährigen, die niemand mitbekommen haben will und zum Schluss gerät sogar ein Familienmitglied in Verdacht, sich an dem Kind vergangen zu haben.
Unerbittlich nah, mit extremen Close-ups geht Schmitts Kamera auf ihre Protagonisten zu, saugt jedes Wort, jede Geste, jede Regung gnadenlos auf. Dann wieder geht der Regisseur auf Distanz, zeigt Schwarzweißfotografien, stellt Szenen von Kinderspielen wie „Himmel und Hölle“ und „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ nach, und dazwischen schneidet er immer wieder Böcklins „Toteninsel“, begleitet von dezent-melancholischen Klavierklängen. Obwohl sein Film nicht persönlicher sein könnte, gelingt es Schmitt, auf Distanz zu gehen, nicht zu urteilen, vorzuverurteilen und stellt allein durch die erdrückende Faktenlage der katholischen Kirche wie der eigenen Familie dennoch ein vernichtendes Zeugnis aus. Obwohl der Filmemacher wenig Budget zur Verfügung hatte, konnte er drei namhafte deutsche Schauspieler engagieren: Ergreifend, wie Suzanne von Borsody aus den Tagebüchern der Mutter zitiert, adäquat emotionslos wie August Diehl mit den in ihrer Nüchternheit so erschreckenden Kommentaren des Ich-Erzählers, also Schmitt, umgeht und bewegend wie Meret Becker ihr trauriges Lied vorträgt. Ein Film wie ein Hilfeschrei nach Glück und Geborgenheit und unabdingbar als Mahnmal gegen Kindsmissbrauch in all seinen furchtbaren Formen. lasso.