Immer wieder wird im Kino von Trauer erzählt, von der Unfähigkeit, vielleicht Unmöglichkeit, loszulassen, vom Angstgefühl, mit dem Verlust eines geliebten Menschen auch sich selbst zu verlieren. Von der Gefahr, von dieser überwältigenden Trauer, von der nicht abgeschlossenen Trauerarbeit zerfressen zu werden. Der Schmerz verbrennt das Innere, und er greift nach außen über, zerstört Beziehungen, kappt alle Verbindungen zur Außenwelt. Eine solche Isolierung durch einen Todesfall erfährt Anne, deren Tochter Sarah ermordet wurde und die nun nicht mehr herauskommt aus dem Tal der Tränen, auch ein Jahr nach dem Trauerfall.
Sie zieht sich in Sarahs Zimmer zurück, in dem nichts verändert wurde, sie riecht weinend und klagend an ihrer noch immer ungewaschenen Wäsche sie hat aufgehört, ein Mensch, ein eigenes, eigenständiges Wesen zu sein. Sie lebt nur noch für eine nicht wieder bringbare Vergangenheit.
Andrea Sawatzki spielt diese innerlich zerfressene Anne, und sie vermag es, mit einem kleinen Zucken des Gesichtes plötzlich ganz, ganz garstig zu werden, das kaputte Innere der Figur nach außen zu holen um dann, im nächsten Moment, wieder die freundliche, wenn auch unverbindliche Maske aufzusetzen. Und dann ein verträumtes, seliges Lächeln herbeizuzaubern, wenn sie von Sarah erzählt in die Videokamera von Simon, ihrem Sohn, der versucht, sie in die Gegenwart zurückzuholen, indem er die Vergangenheit auf Film bannt.
Nun ist dies ein Film über Trauer, doch Regisseur Wilfried Oelsner erzählt noch weit mehr darüber, wie diese Trauer sich auf andere auswirkt. Denn er erzählt nicht von Anne, sondern von Simon, wie er seine Mutter erlebt. Dieses Erzählen über Bande ermöglicht die Konfrontation verschiedener Erlebniswelten, verschiedener Phasen der Trauerarbeit und es bedingt, dass der Film so wunderbar leicht über die Schwere der Tragik zu erzählen vermag. Es geht ihm nicht um das Ereignis sowohl der Tod der Tochter wird nur in der Erinnerung angesprochen wie auch das die Geschichte eigentlich auslösende Ereignis, der Selbstmordversuch Annes. Vielmehr werden die Spuren beschrieben, der Nachklang und da ist viel eindringlicher, dieses Kreisen um den Kern, dem sich Oelsner nur langsam annähert, als wenn er direkt darauf zusteuern würde.
Eine Familiengeschichte ist das, die Geschichte einer Familie, die sich auflöst: einer Mutter und Ehefrau, die nur noch für die tote Tochter lebt, eines schwachen Vaters, der nicht mehr kann, vielleicht nie konnte, der eine Geliebte hat und sich zurückzieht; eines Sohnes, der hineingeworfen wird und sich herauskämpfen muss aus dem Sumpf des Vergangenen. Und der auch das ganz subtil erzählt damit fertig werden muss, dass er selbst als Siebenjähriger die vier Jahre jüngere Schwester loswerden wollte und sie einfach so in einen Bus gesetzt hat --- nun ist diese ausgelebte Phantasie der Kinderjahre auf schreckliche Weise Wirklichkeit geworden
Natürlich: Es gibt einige zeitliche Unwahrscheinlichkeiten, kleine Geheimnisse, Befindlichkeiten, die geballt in diese Tage um den ersten Todestag herum herauskommen; aber anders wäre diese Geschichte vielleicht nicht erzählbar gewesen, zumindest nicht so treffend, so eindringlich, so emotional und dramatisch direkt. Und nie werden diese Ungereimtheiten groß genug, um die Atmosphäre des Films, eine Stimmung der Melancholie und Verlorenheit und Hilflosigkeit in vielfältiger Form, zu zerstören.
Fazit: Ein Film über Trauer und darüber, wie eine Familie daran zerbricht. Emotional und frisch inszeniert, mit fantastischen Schauspielern.