Tatort: Außer Gefecht: Showdown im Münchner Olympiaturm: Kommissar Leitmayr wird zur Geisel eines mörderischen Krankenpflegers...
Als das ZDF im Spätherbst 2004 einen „Fernsehfilm der Woche“ unter Live-Bedingungen herstellen ließ, wurde die Produktion als eines der größten Experimente der jüngeren Fernsehgeschichte gerühmt. Für die Beteiligten war „Feuer in der Nacht“ ohne Frage brisant; für die Zuschauer bewegte sich der Spannungsgrad allenfalls im Durchschnitt. Nun zeigt der Bayerische Rundfunk, wie eine in Echtzeit erzählte Geschichte auszusehen hat.
Ähnlich wie in „Gegen die Zeit“ von John Badham (USA 1995) wirken die immer wieder zu sehenden Uhren wie ein Countdown: Franz Leitmayr ist vergiftet worden. Kollege Ivo Batic bleiben ab circa 20.30 Uhr sechzig Minuten, um ihn zu retten. Das Problem: Gemeinsam mit seinem zukünftigen Mörder ist Leitmayr im Fahrstuhl des Münchener Olympiaturms gefangen, 65 Meter über dem Erdboden.
Natürlich hat Friedemann Fromm den Film nicht live inszeniert. Der Spannung tut das keinen Abbruch; eher schon die Botschaft, die Autor Christian Jeltsch im Sinn hatte. Sein flammendes Plädoyer gegen den Pflegenotstand ist zwar aller Ehren wert, wirkt aber wie ein Bremsklotz; streckenweise entsteht der Eindruck, der Krimi sei bloß die Verpackung für sein Anliegen (was der Wahrheit im Übrigen recht nahe kommen dürfte). Dass der Film diese Phasen einigermaßen unbeschadet übersteht, zeigt bloß, wie herausragend „Außer Gefecht“ hätte werden können, wenn sich Jeltsch damit begnügt hätte, einfach bloß einen Thriller zu schreiben.
Für das Anliegen wäre ja trotzdem Platz gewesen, denn die Handlung ist vergleichsweise schlicht, weil sich die wichtigsten Dinge schon vorher ereignet haben: Ein „Todesengel“ hat zwölf Menschen getötet; oder auch, wenn man so will, von ihrem Leid erlöst. Aus unerfindlichen Gründen ist Leitmayr (Udo Wachtveitl) geradezu besessen davon, den Krankenpfleger zur Strecke zu bringen. Nach einem anonymen Anruf gelingt es den Kommissaren, den Verdächtigen (Jörg Schüttauf) im Olympiaturm zu verhaften. Weil er im Lift zwei Spritzen deponiert hat und Batic (Miroslav Nemec) ans Telefon gerufen wird, kann der Pfleger Leitmayr überrumpeln. Der zuvor manipulierte Fahrstuhl bleibt stecken, die Ausstiegsluke ist blockiert, der Notruf defekt. Dem Polizisten bricht der Schweiß aus: Der Pfleger kündigt ihm eine Stunde Qualen an. Er will ihn nachvollziehen lassen, wie sich Menschen fühlen, für die der Tod eine Erlösung wäre.
Derweil fällt der zudem von Magenschmerzen geplagte Kollege Batic in hektische Betriebsamkeit, kann aber an Ort und Stelle gar nicht helfen: ein Fehler, und der Lift stürzt in die Tiefe. Also alarmiert er den Notdienst, um Leitmayr befreien zu lassen, findet im Nu die Identität des Pflegers heraus und landet schließlich in jenem Pflegeheim, in dem der Mann noch kurz zuvor eine alte Frau getötet hat. Hier nun schlägt die Stunde einer Pflegerin, die allein im weiten Flur von Zimmer zu Zimmer eilt. Ulrike Krumbiegel, ohnehin eine Schauspielerin mit notorisch resignierter Mimik, muss in einem kompakten Volkhochschulkurs beschreiben, wie die Alten unter unwürdigen Bedingungen vor sich hinvegetieren müssen.
Zu allem Überfluss wird Schüttauf den Vortrag später wiederholen. Dank der klaustrophobischen Enge im Fahrstuhl und der darstellerischen Qualität Schüttaufs ist diese Szene allerdings ungleich berührender als Krumbiegels Vortrag. Ohnehin ist es vermutlich Fromm (Grimme-Preis für „Unter Verdacht“) zu verdanken, dass der „Tatort“ nicht bloß zum Vehikel für eine Botschaft geworden ist; die Bilder aus dem Lift (Kamera: Hanno Lentz) erinnern in ihrer Intensität an Carl Schenkels packenden Aufzugs-Thriller „Abwärts“. tpg.