Storytelling: Feine und gemeine Indie-Komödie von Todd Solondz über die Qualen der Adoleszenz von durchschnittlichen weißen amerikanischen Vorstadt-Kids.
Dem diskreten Charme der Bourgeoisie, den Todd Solondz schon in „Happiness“ durchs Brennglas seines bösen Humors zu unangenehmen Großaufnahmen verzerrte, schreibt er mit seinem neuen Film zwei weitere Geschichten ein. Das Terrain ist vertraut - Schule, Uni und Elternhaus als Brutstätten gedankenloser Grausamkeiten -, doch haben sich Solondz‘ Figuren mehr und mehr zu unsympathischen Karikaturen ihrer selbst entwickelt und ihre menschliche Dreidimensionalität weitgehend aufgegeben. Selbstverständlich sind seine beiden satirischen Stories „Fiction“ und „Nonfiction“ komisch, sehr sogar, doch die Art, wie er etwa die amerikanische political correctness ab absurdum führt, hinterlässt bei aller Cleverness doch einen galligen Nachgeschmack.
Es mag unfair sein, einem Regisseur, der in allen seinen Filmen seine offensichtlich traumatischen Kindheits-, Pubertäts- und Jugenderlebnisse aufarbeitet, vorzuwerfen, er nutze das Kino als seine persönliche Psychiatercouch. Doch angesichts der traurigen Gestalten, die Solondz da ein ums andere Mal als hässliche Außenseiter entstehen lässt, mag man ihm zurufen: „Was soll’s, wenn Du in der Highschool ungerecht behandelt worden bist? Lern damit umzugehen!“ Weil Solondz aber auch ein außerordentlich gescheiter Filmemacher ist, hat er diesen Ausruf vorhergesehen und einer seiner Filmfiguren in den Mund gelegt - eine Taktik, die er besonders im ersten Segment des (ursprünglich in drei Teilen geplanten) Films anwendet, der 25-minütigen Episode „Fiction“. Darin geht die Schülerin eines Schreibkurses mit ihrem ebenso brillanten wie sadistischen schwarzen Lehrer nach Hause, obwohl dessen Absichten eindeutig sind. Als sie in seiner Toilette pornografische Fotos von ihren (weißen) Mitschülerinnen sieht, beschwört sie sich, statt sofort Reißaus zu nehmen, selbst: „Sei nicht rassistisch!“ Der Abend endet noch schlimmer, als er begann, und als das Mädchen anderntags ihr in Aufsatzform festgehaltenes Erlebnis vor der Klasse vorliest, wird sie ausgerechnet von ihren Mitschülerinnen prompt der Stereotypie und weißer Schuldgefühle geziehen. So pointiert diese Sequenz ist und so geschickt Solondz dem Zuschauer die Mechanik der eigenen Kritik vorführt, bleiben die Bilder unter dem Strich, was sie sind: Ein bedrohlicher schwarzer Lehrer zwingt seine weiße Schülerin zum Sex und erklärt anschließend, damit ihre Kreativität gefördert zu haben. Die zweite, etwa einstündige Geschichte „Nonfiction“ handelt von einem Möchtegern-Regisseur, der mit einem Dokumentarfilm über die Befindlichkeiten des amerikanischen Teenagers den kommerziellen Durchbruch und Erlösung von der eigenen Schulvergangenheit sucht. Also richtet er die Kamera auf den apathischen Kiffer Scooby und seine Familie. Während es zunächst so scheint, als bestätigten sich hier alle Klischees der bürgerlichen Vorortidylle - Sprachlosigkeit und seelische Leere hinter blitzsauberer Fassade -, wird aus Scooby doch allmählich die spannendste Figur des Films. Längst nicht so doof, wie er scheint (und wie er letztlich von dem Dokumentarfilmer präsentiert wird), formuliert der Junge so etwas wie einen zynischen Fatalismus, sich mit der repressiven Umwelt zu arrangieren und die eigenen Talente sorgsam verborgen zu halten, bis man eigene Entscheidungen fällen kann. Völlig eindimensional bleiben hingegen das patriarchalische Vatermonster und die fürsorglich-entrüstete Mutter, deren Ende Solondz ebenso hasserfüllt wie erzählerisch ausgeklügelt herbeiführt. Unterschwellig ist diese Wut auf alle Menschen, die er in „Storytelling“, egal ob Ausbeuter und Ausgebeutete, als gleichermaßen erbärmlich vorführt, stets präsent. Doch Wut und Hass sind keine Erzähler, denen man im Kino besonders gerne zuhört. evo.