Nixon: Psychedelisches Mammut werk, in dem Oliver Stone einmal mehr seinen Beitrag zur US-Geschichte abgibt.
Nach einem Jahrzehnt politischen Filmemachens an vorderster Front wagt sich Oliver Stone mit seinem bestechenden Porträt des 37. Präsidenten der USA erstmals mitten ins Zentrum der Korridore der Macht, in denen über das Schicksal Amerikas und der Welt entschieden wird. Angelegt als Historiendrama von den epischen Ausmaßen einer griechischen Tragödie ist „Nixon“ die Studie eines Mannes, der der gefeiertste Politiker des Jahrhunderts hätte werden können, aber an seinen Minderwertigkeitskomplexen gegenüber den geliebten Vorgängern Lincoln und Kennedy, aus deren Schatten er nicht treten kann, und der eigenen Skrupellosigkeit zu Grunde geht. Das Ergebnis ist ein Drahtseilakt, der Stone einmal mehr als aufregendsten amerikanischen Filmemacher neben Scorsese und Coppola etabliert. Dem Regisseur geht es nicht um die Demontage der Person Nixon. In seiner geradezu pathologischen Sucht nach Wahrheit will Stone mit einem Wirbelsturm an Bildern aus 50 Jahren neuerer amerikanischer Geschichte - präsentiert in einem faszinierenden Zickzack-Kurs durch die Jahre - das gesamte Innenleben des gefallenen Präsidenten offenlegen. „Nixon“ läßt nichts aus: Tricky Dicks Kindheit in einer Qäker-Familie, den Aufstieg an der Seite des Kommunistenjägers McCarthy, die verlorene Präsidentschaftskandidatur 1960 gegen Kennedy, der Mord an JFK, der Alptraum von Vietnam, die Präsidentschaft und schließlich das Debakel von Watergate, dem Stone die gesamte letzte Stunde seiner Geschichtslektion widmet. Ähnlich wie bei der Jim-Morrison-Biografie „The Doors“ dienen die biografischen Eckpfeiler lediglich als Koordinatennetz, das die Annäherung an den Menschen ermöglichen soll. Die halluzinatorischen Wechsel zwischen verschiedenem Filmmaterial und die frei assoziativen Schnittolgen kennt man aus „JFK“ und „Natural Born Killers“. Hier perfektioniert Stone seinen fiebrigen Filmstil und macht ihn zum Röntgenblick in die korrupte Seele der Macht, deren Spielball Richard Nixon mit seinen Manipulationen, Lügen und pausenlosen Unflätigkeiten geworden ist. Am gewagtesten ist „Nixon“, wenn Stone die Rolle des Chronisten aufgibt und seinem spektakulären Politkaleidoskop eine beinahe esoterische Dimension verleiht, indem er das amerikanische System als lebendige Bestie charakterisiert. Ein riskanter Schritt, der „Nixon“ überambitioniert erscheinen ließe, wäre da nicht die unglaubliche Performance von Anthony Hopkins, der sich über die Manierismen Nixons immer weiter in die Person hineinarbeitet, bis er sich so weit annähert, daß er Nixon wird. Er gibt dem Mann jene Tiefe, die seinen Fall umso tragischer erscheinen läßt. Unterstützt wird der Waliser von einem starken Ensemble, aus dem James Woods als H.R. Haldeman und Powers Boothe als dämonischer Alexander Haig hervorstechen. Offenichtlich nach dem Vorbild von Orson Welles‘ „
Citizen Kane“ inszeniert, ist „Nixon“ Oliver Stones größter Film bislang - eine Zwischenbilanz, in der alle Arbeiten des Regisseurs ihren Niederschlag finden, und eine Bestätigung, daß politischer Film gerade im Jahr 1996 spannender sein kann als jeder Thriller. ts.