Der Spielfilm "Mes - Lauf!" von Shiar Abdi erinnert an die Eskalation der türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen in den achtziger Jahren. Nach dem Militärputsch in der Türkei gehen in Cengos (Abdullah Ado) Heimatstadt Nuseybin Soldaten mit Waffengewalt gegen Separatisten, Widerstandskämpfer und deren Angehörige vor. Die kurdische Sprache ist damals in der Öffentlichkeit verboten. Erst seit ungefähr einem Jahrzehnt wird der Minderheit ein wenig mehr Autonomie und kulturelle Selbstentfaltung ermöglicht. So darf auch wieder kurdisch gesprochen werden. Dieser Film ist komplett in kurdischer Sprache aufgenommen. Zwar stand er in Gefahr, verboten zu werden, konnte aber schließlich doch 2011 in Nuseybin uraufgeführt werden, bevor er auf mehreren Festivals, auch in der Türkei, gezeigt wurde.
Im Film fallen Schüsse und die Soldaten dringen in die Häuser ein, um nach bewaffneten Männern zu suchen. Mit Leuten, die sich den Befehlen widersetzen, wird kurzer Prozess gemacht. Cengo ist in der Geschichte ein kindlicher Beobachter, den die Erlebnisse radikalisieren. Am Ende des Films informiert eine Texteinblendung, dass er acht Jahre später den Platz seines älteren Bruders, eines getöteten Freiheitskämpfers, eingenommen hat.
Das Leben in der ländlichen Gegend geht zunächst seinen geruhsamen Gang, morgens krähen die Hähne, lange bevor Cengo aus dem verrosteten Gitterbett steigt, in dem er vor seinem Elternhaus geschlafen hat. Dann geht er in den Laden und besorgt sich Kaugummi auf Pump, um es dann selbst in den Straßen feilzubieten. Dort sieht er Xelilo (Selamo), einen seltsamen älteren Mann, der immer an der gleichen Stelle ein paar Meter entlang eines Zaunes geht, abrupt umkehrt und wieder zum Ausgangspunkt zurückeilt. Er spricht nicht, aber wenn er einem Mann mit einer Zigarette im Mund begegnet, nimmt er sie ihm weg, um sie selber zu rauchen. Als Cengo anfängt, Xelilo auf seinem Gang Gesellschaft zu leisten, nimmt es dieser zwar stumm, aber durchaus wohlwollend zur Kenntnis.
Der Regisseur unterteilt die Handlung in viele kleine Momentaufnahmen, in denen die Sprache meistens nicht im Vordergrund steht. Intuitiv müssen sich die Zuschauer erschließen, was sie sehen, so ähnlich wie auch das Kind im Film sich einen Reim auf die wahre Bedeutung der Geschehnisse machen muss. Die Kamera dreht in den ärmlichen Behausungen von Cengo oder von Xelilos Bruder, wo jeweils eine Frau die Hausarbeit für die männlichen Verwandten, Großvater, Mann oder Brüder, macht. Erst nach und nach geben einzelne Bemerkungen Aufschluss über die Beziehungsverhältnisse. Die Bilder der Ruhe und der Armut, das grelle Sonnenlicht am Tag in den Straßen und die Dunkelheit der Nacht, in der man oft nur vage Schatten huschen sieht, entwickeln ein stimmungsvolles Panorama.
Xelilos Wandern vor dem weißen Zaun mutet an wie ein Symbol für Gefangenschaft. Nur weil der Alte als verrückt gilt, nimmt er sich die Freiheit, die Unschlüssigkeit, das Ausharren, die über dem Ort liegen, in rastlosem Handeln auszudrücken. Im Laufe des Films mehren sich dann die Konfrontationen mit dem Militär, aber die gesamte Dimension des Konflikts wird nicht in Worte gefasst. Xelilos Bruder herrscht ihn einmal an, weil er nie etwas sagt: Wie könne er nur so lange alles für sich behalten! Ohne Sprache gibt es keine Kultur, keine geistige Gesundheit, das ist die Botschaft der impressionistischen Beobachtungen in diesem Film.
Fazit: "Meş - Lauf!" erinnert mit einer impressionistischen Geschichte an die Leiden der kurdischen Bevölkerung in der Türkei.