Mein erstes Wunder: Sensibel und fantasievoll erzählte, ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen einem elfjährigen Mädchen und einem über 30 Jahre älteren Familienvater.
Mit den besten Empfehlungen - neben diversen erfolgreichen Festival-Premieren ragt dabei der Gewinn des Max-Ophüls-Preises 2003 heraus - kommt nun das Regiedebüt der Journalistin und Autorin Anne Wild in die Kinos. Die höchst sensibel aufbereitete Geschichte der verrückten Liebe zwischen einer Elfjährigen und einem über 30 Jahre älteren Familienvater lebt von der überbordenden Fantasie ihrer Hauptfiguren, dem feinfühligen Spiel des Darsteller-Duos Henriette Confurius und Leonard Lansink sowie Wilds grundehrlichem, über jeden Päderasten-Verdacht erhabenen Inszenierungsstil. Klar, dass es ein Werk, das ein derart brisantes Thema behandelt, schwer am Boxoffice haben wird. Doch kleine Häuser, die gerne niveauvolle deutsche Filmkunst spielen, werden an diesem Kleinod von Nighthawks Pictures ihre Freude haben.
Wunder dauern manchmal bekanntermaßen etwas länger. Bei „Mein erstes Wunder“ zogen vier Jahre durchs Land, bis Produzent Jost Hering den Startschuss für die Dreharbeiten geben konnte. Das hatte zwei Gründe. Zum einen das fehlende Vertrauen der Finanziers in die Regie-Qualitäten von Anne Wild, die indes als Drehbuchautorin von „Was tun, wenn’s brennt?“ schon etwas vorzuweisen hatte. Zum anderen der heikle Stoff, an dem sich angesichts der Vorfälle von Kindesmissbrauch (nicht nur) in Belgien niemand die Finger verbrennen wollte.
Wild schlug schließlich alle Argumente in den Wind, indem sie mit Herings Hilfe den vielfach ausgezeichneten Kurzfilm „Ballett ist ausgefallen“ inszenierte, in dem sie ihr Können hinter der Kamera und auch schon ihre Hauptdarstellerin Henriette Confurius präsentierte. In „Mein erstes Wunder“ spielt nun dieses schauspielerische Energiebündel und Naturtalent die elfjährige Dole, die mit ihrer Mutter Franziska (Juliane Köhler begeistert als hysterische, überforderte Alleinerziehende) und deren aktuellen Lover die Sommerferien am Meer verbringen muss.
Da lernt Dole am Strand Hermann (Leonard Lansink, warmherziger und sanfter kann man nicht spielen, fiel zuletzt in Michael Gutmanns „Herz im Kopf“ positiv auf) kennen. Der ist Mitte 40, hat in seinem Schlepptau zwei Kinder und Frau Margot (herrlich hilf-, fassungs- und sprachlos: Gabriele Maria Schmeide aus Dresens „Halbe Treppe“), ist dabei aber Kind geblieben und hat darüber hinaus nur Unsinn im Sinn. Das gefällt Dole, und Dole gefällt Hermann. Die beiden verbringen wunderbare Ferien miteinander, flüchten sich in zuckersüße Traumwelten und kehren erst am Abend bei ihren jeweiligen Familien in den knallharten Alltag zurück. Dann ist der Urlaub zu Ende. Die Beziehung auch? Mitnichten. Dole schreibt, Hermann antwortet. Bis Margot ihrem Mann den Umgang mit dem Kind verbietet. Doch da steht Dole eines Tages vor der Tür und will Hermann abholen.
Selten hat man im Kino eine derart starke, einzigartige und verrückte Liebesgeschichte gesehen wie den von Anne Wild nach einer wahren Begebenheit geschriebenen und in Szene gesetzten Film. Dabei fasziniert nicht nur der zärtliche, unschuldig-naive Umgang zwischen Lansinks und Confurius‘ Figuren, auch die Hilflosigkeit der Umwelt, die mit Unverständnis, Ablehnung, ja Ekel reagiert, wird glaubwürdig dargestellt.
Und wie bei jedem außergewöhnlichen Werk passt auch „Mein erstes Wunder“, von Kamera-Neuling Wojciech Szepel mit angemessener Zurückhaltung fotografiert, in keine Genre-Schublade. Drama, Roadmovie, amour fou, Initiationsfilm, Tragikomödie - all diese Bezeichnungen könnten passen und werden diesem durchdachten, extrem genau beobachteten Exkurs über die Liebe dennoch nicht gerecht. Die Jury in Saarbrücken hat „Mein erstes Wunder“ bereits preistechnisch geadelt, jetzt liegt es am Publikum, nun auch die Kinokasse königlich zum Klingeln zu bringen. lasso.