Jenseits des Spiegels: Ausgezeichneter und ziemlich gruseliger Mystery-Thriller mit Julia Hartmann, der mit großem Geschick alle Register des Genres zieht.
Horror ist Handwerk. Zuschauer mit Musik, Soundeffekten, Schnitt und Bildgestaltung zu erschrecken, ist im Grunde keine große Kunst. Viel entscheidender ist die Fähigkeit, eine Stimmung zu erzeugen, die die Basis für den Horror liefert: Erst wenn das Publikum bereit ist, sich auf die...
Ausgezeichneter und ziemlich gruseliger Mystery-Thriller mit Julia Hartmann, der mit großem Geschick alle Register des Genres zieht.
Horror ist Handwerk. Zuschauer mit Musik, Soundeffekten, Schnitt und Bildgestaltung zu erschrecken, ist im Grunde keine große Kunst. Viel entscheidender ist die Fähigkeit, eine Stimmung zu erzeugen, die die Basis für den Horror liefert: Erst wenn das Publikum bereit ist, sich auf die Handlung und ihre Figuren einzulassen, haben die entsprechenden Szenen mehr als nur eine schockartige Wirkung; und deshalb ist „Jenseits des Spiegels“, ausgestrahlt im Rahmen der NDR-Debütreihe „Nordlichter“, ein ganz bemerkenswertes Werk. Dabei erzählen Ingo Lechner, Jens Pantring (Buch) und Nils Loof (Regie) eine Geschichte, die für das Mystery-Genre nicht ungewöhnlich ist: Julia (Julia Hartmann) zieht samt Mann und Kind auf den Hof ihrer Schwester, die sich angeblich das Leben genommen hat. Julia glaubt das nicht und verrennt sich immer mehr in die fixe Idee, ein mystischer Unhold habe es auf ihre Familie abgesehen.
„Jenseits des Spiegels“ ist jedoch mehr als bloß der gelungene Versuch, Hollywood-Vorbilder zu kopieren. Das liegt nicht zuletzt an der Bildgestaltung: Kameramann Marius von Felbert hat Winterbilder fotografiert, die berückend schön und dennoch von klirrender emotionaler Kälte sind. Auch das heruntergekommene Haus ist von einer bedrückenden Düsternis. Der einzige helle Raum ist Jettes Atelier. Sie war Malerin; Julia, eigentlich Kinderbuchillustratorin, beginnt, die gleichen trostlosen Waldbilder zu zeichnen wie ihre Schwester. Der Wald spielt ohnehin eine immer größere Rolle. Die ersten Bäume stehen gleich hinterm Gartentor, und natürlich sorgt Loof dafür, dass sich der deutsche Mythos-Ort von seiner bedrohlichsten Seite zeigen darf. Einige Schockeffekte werden auch hartgesottene Horrorfilmfreunde zusammenzucken lassen, und wenn Julia den Waldgeist am Gartentor sieht und ihr Sohn den Schatten des Bösen wirft, kann es einem kalt den Rücken ‚runterlaufen. All‘ das funktioniert aber nur aufgrund einer geschickten Dramaturgie, denn der Prolog, der scheinbar das Finale des Films vorwegnimmt, als eine Frau vor einem Eindringling in Panik auf den Speicher flüchtet, schafft auch dank der Kombination aus subjektiver und objektiver Perspektive die Voraussetzung dafür, dass der Horror wirkt: Die Bedrohung ist offensichtlich keine Einbildung. Dass sich in Wirklichkeit alles ganz anders zugetragen hat und Loof ein sinistres Spiel mit dem Publikum treibt, ist der große Knüller der Geschichte; und die grimmige Schlusspointe setzt noch eins drauf. Neben der virtuosen Kombination von optischer und akustischer Ebene zeichnet sich der Mystery-Thriller vor allem durch eine formidable und dramaturgisch sehr geschickt verarbeitete Bildgestaltung aus. Sehenswert ist auch Julia Hartmann, die den rapide schwindenden geistigen Gesundheitszustand der Heldin sehr glaubwürdig verkörpert. tpg.