Ganz klar: Der Film Henri 4, wie er ins Kino kommt, ist nur die geschnittene Fassung eines zweiteiligen Fernsehfilms 20, 30 Minuten Outtakes wieder eingefügt, und dann sind auch ein paar Stolperer im Erzählduktus ausgebügelt. Regisseur Jo Baier ist Spezialist für TV-Biopics (u.a. über Stauffenberg und Karl Valentin), Regina Ziegler produziert Fernsehfilme, Gernot Roll an der Kamera kreiert biedere Bilder für bügelnde Hausfrauen; immerhin hat Hans Zimmer die Henri 4-Musik mitkomponiert die aber ebenfalls simpel auf Fernsehniveau vor sich hindümpelt.
Gleich zu Anfang, in der zweiten Szene, tritt auch noch die Schicksalsmächtigkeit auf, die für alle begreiflich die große Bedeutung der Titelfigur herausstellt: Nostradamus persönlich prophezeit die historische Wichtigkeit des künftigen Königs von Frankreich: König Henri IV. wird in Frankreich so was wie Religionsfrieden und -freiheit stiften und damit Aufklärung avant la lettre betreiben. Und immer wieder wird in Dialogen die Relevanz des Historienfilms für das Heute herausgestellt, eine Botschaft von Toleranz und Gesprächbereitschaft zwischen den Religionen und überhaupt den Andersdenkenden. Das ist halt schon recht dick aufgetragen.
Aber vor dieser zweiten Szene kam die erste, und die zeigte den kleinen Henri beim Spiel mit Bauernjungs und -mädels. Kinder bei Kinderspielen, und was für welche: gegen Geld darf sich der Junge auf den Boden legen, und die Mädchen stellt sich mit ausgebreiteten Beinen über sein Gesicht, so dass er unter ihren Rock blicken kann: Peepshow mit Fotzegucken für Bauernkinder von früher.
Und das ist auch der Grund, warum man sich den Film vielleicht doch im Kino ansehen sollte. Denn wer weiß, wie viel für eine 20.15 Uhr-Ausstrahlung wieder rausgeschnitten wird, da kommen schon ein paar nackte Brüste und Schamhaare vor, und auch ein paar Kameraeinstellungen von ziemlicher Brutalität, in einer der Schlachten etwa die heraushängenden Eingeweide eines der Kämpfer, und als ein anderer nach einem Schwertstreich auf den Boden fällt, zertritt ihm ein Pferd den Schädel.
Nicht aus der künftigen TV-Fassung rausschneiden kann man die Figurendarstellungen, die sich ebenfalls ganz gegen jede Art konventioneller Historienfilminszenierung sträuben und damit auf ganz merkwürdige Art den bieder-normalen Szenen des Films widersprechen: Ulrich Noethen, Hannelore Hoger, Devid Striesow: sie sind das regierende Königsgeschlecht in Paris, Hoger als böse Königsmutter, die unbedingt die Macht ihrer Dynastie erhalten will, Noethen als König, Striesow als dessen intriganter Bruder: da hinein gerät Henri IV., der Hugenotte aus der Provinz, und was muss er und der Zuschauer da erleben!
Eingeführt werden Noethen als König Karl IX. und seine Mutter, Katherina von Medici, indem er seiner Schwester Margot den nackigen Popo vollhaut, weil sie promiskuitiv mit allem fickt, was einen Schwanz hat Königinmutter Katherine beißt ihr in die Arschbacke. So geht es zu bei Hofe, und Noethen, Hoger, Striesow und später Gabriela Maria Schmeide als italienische Zwangsehefrau von Henri IV. treiben es weit, sehr weit in ihrer Darstellung. Offenbar hatten sie Riesenspaß beim Dreh, und Jo Baier hat sie nicht aufgehalten bei ihrem exaltierten, überspannten Spiel.
Und genau das ist richtig für diesen Film, der sonst versunken wäre in Uninteressantheit. Die Darsteller lassen genau die richtige Menge Camp hineinfließen nämlich ziemlich viel , um Henri 4 das Trashappeal zu verleihen, das er benötigt. Hannelore Hoger gibt alles als böse schwarze Königin, Devid Striesow als Königsbruder und Königsnachfolger spielt eine dermaßen schwul-dekadente Figur (mit auf Brust und Bauch tätowierten Totenköpfen!), Noethens König ist ein feiger Weichling
Im Übrigen ist auch Julien Boisselier in der Titelrolle kein Kind von Traurigkeit, und wenn er auch über weite Strecken etwas blass bleibt im Vergleich zu den überzogenen anderen Figuren , so spielt er sich doch in den Mittelpunkt, sobald er eine schöne Frau sieht: dieses brünftige Grinsen eines immergeilen Bockes!
Fazit: Literaturverfilmung nach Heinrich Mann, Historien-Bio-Pic, ganz offensichtlich nur die gekürzte Fassung eines TV-Zweiteilers doch wegen seiner wunderbar überzogenen Darstellungen, seinen extremen Figuren und dem damit einhergehenden campigen Trashfaktor dennoch sehenswert.