Heidi M.: Bewegender Film ohne falsche Melodramatik um eine Frau mittleren Alters, die sich nach einer schiefgelaufenen Ehe noch einmal auf eine Beziehung einlässt.
Wie einst Fassbinder, dreht auch Michael Klier Filme über Deutschland. An der verletzlichsten Umbruchstelle: Berlin. In lakonischem Realismus erzählt er von Menschen heute, in der Stadt ohne Mauer, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Mit Katrin Saß hat er eine grandiose, elektrisierende Hauptdarstellerin, in den letzten Filmen der DEFA bereits ein Star und in ihrer souverän, nuancierten, unaufdringlichen Intensität Gena Rowlands vergleichbar.
Illusionen macht sich die Mittvierzigerin Heidi M. schon lange nicht mehr, aber Hoffnungen mag sie nicht aufgeben, und die Endgültigkeit einer Entscheidung zu akzeptieren, fällt ihr schwer. Du musst endlich einen Schlussstrich ziehen, spornt eine Freundin sie an und mein damit Heidis vor zwei Jahren geschiedene Ehe, aus der die 19-jährige Tochter Annabel stammt, die gerade für ein Jahr nach Australien geflogen ist. Die Vergangenheit ist jedoch nicht nur das unwiederbringliche beendete Ehe- und Familienleben, sondern an diesem Ort in Deutschland auch die Zeit des Sozialismus östlich der Mauer. Heute, zehn Jahre nach der Wende, lebt man in Berlin-Mitte auch immer wieder mit den Augenblicken der Erinnerung, wenn man das Glück einer Wohnung in der alten Gegend hat. Michael Klier und seine Kamerafrau Sophie Maintigneux finden dafür genaue, realistisch stilisierte Bilder - gezeichnet, abgenutzt und dennoch vital von mindestens 100 Jahren Leben und von Charme-Spuren des Verfalls. Heidi ist eine resolute, ebenso verletzliche Frau, praktisch, zupackend, und betreibt ihren kleinen Laden selbstbewusst und souverän, hat für jeden ihrer Kunden ein freundliches, persönliches Wort. Und sie hat zwei Freundinnen, die jede auf ihre Art für Heidi wichtig sind. Das ist die üppige Jacqui, eine Seele von Mensch, die ihr dringend nahe legt, sich loszulösen von ihrem früheren Eheleben. In einer wunderbaren Kneipenszene tanzen die beiden Frauen zärtlich und ausgelassen miteinander, nachdem Heidi einen dumpfbackigen Partner auf der Tanzfläche abrupt stehen gelassen hat. Freundin Lilo, eine Ärztin, trinkt regelmäßig ihren Kaffee bei Heidi im Laden und erzählt ihr von einem Mann, der öfter suchend am Laden vorbeigeht und der Ex einer von Lilos Patientinnen ist. Michael Klier inszeniert solche Augenblicke stilsicher wie beiläufig und schafft dadurch eine authentisch stimmige Atmosphäre, wie man sie aus polnischen und tschechischen Filmen der 60er Jahre kennt - vom „kleinen Realismus“ sprach man damals in den osteuropäischen Ländern. Entsprechend hatte Frankreich die Nouvelle Vague. Michael Klier hat genau diesen Realismus, ohne eine Spur altmodisch zu sein. Seine Erzählstruktur und seine Bilder sind einfach - doch sie lassen tief blicken. Es ist klar, dass der Fremde eines Tages nicht nur vorbeigeht, sondern den Laden betritt. Dass Heidi mit ihm ins Gespräch kommt, dass beide ähnlich verletzte und verletzbare Seelen sind und miteinander vertraut werden. Franz ist der Romantiker in dieser Beziehung, und er wagt sich zu schnell zu weit vor. Heidi gerät erneut in eine Krise. Am Ende gibt es einen Hoffnungsschimmer für einen sicher nicht leichten Neubeginn. Sehnsucht und Illusion sind klassische Kinothemen und Lebensäußerungen: Michael Klier und seine bemerkenswert gute Darsteller gehen damit ganz vital um, Katrin Saß in der Titelrolle ist fragil und stark, ruppig und zärtlich, verbohrt und einsichtig - und Dominique Horwitz als Franz ist melancholisch, emotional, unsicher, allein und vor allem der Mann mit den schönsten Segelohren des deutschen Films. fh.