Kahle Zweige in der Dämmerung, ein Dorf, das bei Tanias erstem Besuch wie ausgestorben wirkt und dann dieses Watt, wo das Grau des Bodens fast nahtlos in das Grau des Himmels übergeht: Die deutsche Nordseeküste im Herbst ist sicherlich ein geeigneter Schauplatz für einen Arthousefilm wie diesen. In ihm verschwimmen die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, scheint eine bleierne Schwere auf den Dingen und den Seelen zu lasten. Markus Busch, der für etliche Filme von Dominik Graf das Drehbuch verfasste (z.B. Der Felsen, Das Gelübde), gibt mit dieser versponnenen Geschichte sein Regiedebüt in einem Kinofilm.
Das Rezept des Dramas besteht aus Poesie an kargen Bildern. Am Anfang und am Ende informieren Voice-Over-Monologe darüber, was in Tania (Birge Schade) vorgeht, ohne wirklich aufzuklären. Oder Thore (Daniel Michel) erzählt und liest vor, was ihm seine lebhafte Fantasie so alles diktiert Geschichten von einer Hexe im Watt, von schaurig-schöner Sehnsucht. Thores literarische Begabung ist beeindruckend, aber sie spielt nicht die Hauptrolle. Denn im Zentrum steht die rätselhafte Figur der Tania, die viel im Halbdunkel ihrer Wohnküche steht und einfach nur schaut, die im Gehen abrupt stehenbleibt, im Dialog abrupt aufsteht und dann wieder weitermacht, als wäre nichts gewesen.
Schmerzen scheint Tania manchmal auch zu haben, wenn sie nachts im Bett liegt. Vor allem aber raucht sie die meiste Zeit, mit und ohne Thore offenbar gilt das als Hinweis auf innere Konflikte, vielleicht aber ist das schon zu viel Interpretation. Im Laufe der spärlichen Handlung kristallisiert sich heraus, dass sich Tania und Thore, so verschieden sie sonst auch sein mögen, im Kern ihres Wesens gleichen. Wie schon der Titel prophezeit, will Tania den Jugendlichen aus seinem Elternhaus holen, um ihn womöglich nie wieder herzugeben. Obwohl ihre Beziehung nicht vorwiegend sexuell ist, schwingt dieser Aspekt häufig in den Dialogen mit, und als dann auch noch von einer sadistischen Ader Tanias die Rede ist, glaubt man darin die bedrohlichen Anzeichen für einen schlimmen Verlauf zu erkennen.
Aber die beiden Einsamen brauchen einander durchaus im konstruktiven Sinn. Besonders Tanias Innenleben lässt sich jedoch nur bedingt nachvollziehen, es ist zu sehr ein Hirngespinst des Autors. Für dieses Thema wäre eine Kurzgeschichte vielleicht die geeignetere Kunstform gewesen. Atmosphärisch bieten die Aufnahmen zwar einige Anreize dafür, sich auf die traumwandlerische Handlung einzulassen. Dennoch ist der Film zu unentschlossen, in seiner Aussage und im Stil, und lässt einen mit den offenen Fragen im Nebel stochern.
Fazit: Die wolkenverhangene Nordseeküste bietet die ideale Kulisse für Die Räuberin als einem eigenwilligen Beziehungsdrama an der Grenze von Realität und Einbildung.