Der argentinisch-spanische Film Der Wind von Regisseur und Drehbuchautor Eduardo Mignogna erzählt, ähnlich wie Der Hals der Giraffe, eine generationenübergreifende Familiengeschichte mit dramatischen Konflikten in minimalistischen, unscheinbaren Bildern. Der weißhaarige Frank, großartig gespielt von Federico Luppi, ist eine stattliche, unbeugsame Erscheinung in der Großstadt. Doch wenn er, was er am liebsten tut, aus seinem Leben erzählt, schaltet seine junge Enkelin Alina sofort ab.
Alina, gespielt von Antonella Costa, hält den Großvater für autoritär und herrisch, und sich selbst für eine ungewollte, weil uneheliche Tochter. Erst nach und nach darf Frank ihr die Briefe ihrer Mutter, ebenso ihren Schmuck, nahe bringen und Alina mit dem Schmerz über den Tod der Mutter versöhnen. Zu diesem Prozess tragen auch Alinas Freunde bei, ihre ältere Freundin, die Frank gerne zuhört, ihr junger Freund Diego, ihr verheirateter Kollege und Liebhaber Dufour, dem sie ihr Herz ausschüttet.
Der Film bevorzugt gedimmtes Licht und kurze Szenen aus verschiedensten Lebensbereichen, etwa Alina in der Klinik, Alina mit der Freundin, der Großvater beim Taxifahren, die sich unvermittelt und alles andere als schlüssig abwechseln. Die kalt wirkende, weil emotional stark zurückgenommene Reise durch Interieurs lässt einen des öfteren zweifeln daran, ob sich hier noch etwas tun wird. Dabei ist das Beobachten der Figuren an sich nicht langweilig, sondern provoziert eher dazu, sich gefühlsmäßig zu positionieren.
Alina beispielsweise ist so abweisend ihrem Großvater gegenüber, dass sie Gefahr läuft, zum Filmbösewicht zu werden. Diese Schiene kulminiert in der Szene, in der ihr Frank ein kleines Geschenk überreicht, welches sie nicht einmal aus Höflichkeit beachten will. Doch schafft es der Film in guter Zusammenarbeit mit der Schauspielerin, Alina emotional schlüssig zu konturieren.
Der Wind fegt mit seinem der Kinofiktion abträglichen Realismus die gängigen Erwartungen an das große Melodram hinweg, und zwar auf eine Art und Weise, die zu Diskussionen einlädt. Kann man ewig wahre Geschichten um Schuld und Sühne, Sehnsucht und Liebe im Kino erzählen, indem man die Figuren in oberflächliche, nüchterne Alltagsszenen zwängt? Hier erlebt man ein dramaturgisches Phänomen: In die verhaltene Szenerie strömt gegen Ende wie in einen geöffneten Unterdruckraum mit Macht die Erkenntnis, was der Großvater mit seiner früher erzählten Parabel vom französischen Henker gemeint hat. Und diese Erkenntnis, gepaart mit einigen letzten Bildern der Auflösung, verleiht der Geschichte einen erstaunlichen Nachhall.
Fazit: Argentinischer Generationenkonflikt mit einem starken Großvater und einer unversöhnlichen Enkelin: Minimalistischer Realismus, in den spät, aber mit Wucht, die melodramatische Aussage strömt.