Abu Ghraib: Das war der Supergau der USA im Kampf um die Herzen im Irakkrieg. Nichts hätte das Ansehen des Hüters der freien Welt mehr beschädigen können als die im Frühjahr 2004 aufgetauchten Fotos der Foltersessions in dem berüchtigten irakischen Gefängnis. In dem geschlossenen Mikrokosmos der Gefängnismauern spielten die Psychen von Wärtern, Verhörspezialisten, Soldaten, CIA-Agenten, männlich wie weiblich, verrückt ein sadistischer, erniedrigender, grausamer Wahnsinn, sorgsam auf Fotos festgehalten. Die perfekte Blaupause für ein psychologisches Experiment um Macht und Gewalt und Demütigung nur eben ganz echt im Herbst 2003 geschehen.
Die Fotos der Grausamkeiten haben die Welt aufgescheucht, und es ist unbedingt richtig, per Film diese Ereignisse die ja auch Medienereignisse sind aufzuarbeiten. Errol Morris entschied sich für einen bestimmten Aspekt unter den vielen möglichen: nicht historisch, nicht objektiv, nicht psychologisch geht er an den Abu Ghraib-Kompex heran, sondern über die Täter. In Großaufnahme direkt in die Kamera sprechen sie über ihre Erlebnisse, über ihre Taten dort, die sie selbst nicht begreifen. Und das Beste, was man über sie sagen kann, ist, dass sie dumm und naiv waren. Ihre Aussagen sind skandalös, und das wissen sie; ihre Berichte von Folter und Einschüchterung, ihre Erklärungen und Entschuldigungsversuche sind hilflos, echt, kommen aus tiefstem Herzen und werten das Geschehen doch nie ab. Allein durch die Aussagen derer, die das Unglaubliche verbrochen haben, wird dieses anschaulich, wenn auch nicht begreifbar.
Am stärksten ist der Film, wenn er einen Forensikexperten erläutern lässt, wie er die Fotos aus drei verschiedenen Digitalkameras in die richtige zeitliche Reihenfolge gebracht hat und dann zu entscheiden hatte, wo der kriminelle Akt begann und wobei es sich nur um die übliche Verfahrensweise, um die standard operating procedure handelte: Der berühmte Kapuzenmann etwa glaubte nur, dass die Drähte, die ihm an Fingern und Genitalien angebracht wurden, stromführend waren deshalb keine körperliche Gewalt, deshalb kein Verbrechen. Wer nackt mit Unterhose auf dem Kopf ans Bettgestell gefesselt wurde, wurde lediglich einer üblichen Stresssituation ausgesetzt: kein Verbrechen. Nur wo tatsächlich Grausamkeit, schwerste Demütigung oder sexuelle Belästigung zu sehen waren, konnten die Fotos juristisch verwendet werden.
Doch auf die Stärken seiner Gesprächspartner verlässt sich Morris nicht, weshalb sein Film im Ganzen durchaus schlecht zu nennen ist. Er ist vollkommen überinszeniert, mit stylischen Jumpcuts während der Interviews, mit nachgestellten Szenen, die in Zeitlupe, in Detailaufnahmen, mit Danny Elfmanns deplazierter Bombastmusik so unbedingt bedeutungsschwer und doch so inhaltsleer sind. Hier wird den Ereignissen eine Überdetermination aufgebürdet, ja, fast mythischer Gehalt aufgepflanzt so dass sich die gewünschte Auseinandersetzung des Zuschauers mit dem Thema nicht einzustellen vermag.
Wenn man nämlich Mitleid mit den Opfern haben soll, wenn man mit dem Tun der Täter konfrontiert werden soll, wenn man sich moralisch erregen soll über die Vertuschungsversuche der Militärführung, über die Justiz, die die Kleinen hängt und die Großen laufenlässt: Dann sollte man nicht ein konventionelles Making of der schrecklichen Fotos drehen, inklusive Bebilderung durch originale Videos.
Das aber geschieht zynischerweise (und wohl unbeabsichtigt): eine bloße, nachträgliche Rekonstruktion der Umstände, wie die Fotos von aufeinandergestapelten Nackten, des ikonischen Kapuzenmannes, eines toten Folteropfers zustande kamen. Und eben nichts Tieferliegendes.
Fazit: Was politisch durchaus richtig und wichtig ist, die Aufarbeitung der Abu-Ghraib-Verbrechen des US-Militärs, verkommt zu einer überinszenierten, unwirklich scheinenden Crime-Soap-Opera.