Precious - Das Leben ist kostbar: Hoch emotionale Verfilmung des gefeierten Romans "Push" von Sapphire, in der sich eine 200 Kilo schwere Teenagerin gegen alle Widrigkeiten durchsetzen kann.
Zweifach Oscar-prämiertes schmerzhaft realistisches Sozialdrama von Lee Daniels, in dem es mit Gabourey Sidibe als Titelheldin eine sensationelle Newcomerin zu feiern gilt.
„Precious“, was sich (auch) mit „geschätzt“ übersetzen lässt, wird Claireece „Precious“ Jones nicht - ihre Umwelt verachtet sie zutiefst. Der Teenager ist extrem übergewichtig, verschlossen und hat keine Freunde. Sie kleidet sich nachlässig, redet kaum. Ihr Leben im Harlem des Jahre 1987 ist die Hölle, zum zweiten Mal hat der eigene Vater sie bereits geschwängert. Die Mutter sitzt tagein tagaus auf dem Sofa, schaut fern, behandelt die Tochter wie einen Dienstboten und prügelt sie windelweich. In der Schule lümmelt sie teilnahmslos in der letzten Reihe, die neunte Klasse besucht sie, doch sie kann weder lesen noch schreiben.
„Precious - Das Leben ist kostbar“ besticht als raues, schonungsloses, hartes und doch optimistisches Sozialdrama, trifft einen wie ein Schlag in die Magengrube. Hier bekommt man es mit einer der überzeugendsten US-Produktionen aus dem Jahr 2009 zu tun, Dutzende Preise sind der verdiente Lohn. Lee Daniels („
Shadowboxer„) zeichnet als Regisseur verantwortlich, den Roman „Push“ von Sapphire hat er adaptiert und dafür einen Oscar bekommen, als ausführende Produzentin war die einflussreiche TV-Moderatorin Oprah Winfrey - sie wurde als Kind sexuell missbraucht und mit 13 Jahren ungewollt schwanger - maßgeblich am Zustandekommen des Projekts beteiligt.
Der „Push“, der Stoß, der Ruck, setzt die Handlung in Gang. Precious selbst gibt ihn sich. Äußerlich vielleicht unansehnlich, besitzt sie ein reiches Seelenleben, kann träumen und hoffen. Als sie von der Schule zu fliegen droht, schließt sie sich einem alternativen Lehrprogramm an. Each One/Teach One heißt dieses und ihre neue Lehrerin Ms. Rain (verständnisvolle Augenweide: Paula Patton). Die entdeckt bald das kreative Potenzial in ihrer Schülerin, ermutigt sie Tagebuch zu schreiben.
Wer nun glaubt, dass der Film an diesem Punkt zur typischen sacharinsüßen Hollywood-Aschenputtel-Mär mutiert, aus dem hässlichen Entlein ein strahlender Schwan wird, sieht sich getäuscht. Daniels baut bedingungslos auf Realität und realistische Figurenzeichnungen, verzichtet bei seiner Inszenierung auf jegliche Mätzchen - was nicht heißt, dass er konventionell erzählt. Vielmehr verwebt er Rückblenden, Erinnerungen, innere Monologe und Traumszenen gekonnt miteinander, baut humoristische Momente mit ein, meidet im Soundtrack Schmalz und Kitsch, setzt auf dynamische, kraftvolle Songs.
Der größte „Effekt“, der genialste Coup bleibt aber Gabourey Sidibe als gebeutelte (Anti-)Heldin, die hier erstmals auf der Leinwand zu sehen ist und ihre Rolle auslebt - dumpf nach außen, trotzig, den Kopf demütig gesenkt, schwerfällig im Gang und doch tief im Inneren kämpferisch und hoffnungsfroh. Oscar-nominiert ist sie, genauso wie die populäre Komikerin Mo’Nique, die ihre gewalttätige Mutter spielt und den Preis auch tatsächlich in Empfang nehmen durfte. Als Klasse für sich erweist sich, höchst überraschend auch kaum zu erkennen, Skandal-Pop-Star Mariah Carey als Sozialarbeiterin, während Rockmusiker Lenny Kravitz als schmucker Krankenpfleger für die Wohlfühl-Vibes zuständig ist. A-Klasse-Kino mit variierter Obama-Botschaft: „Yes, she can!“. geh.