Die Deutsche Cornelia Funke ist zwar noch nicht so berühmt wie ihre britische Kollegin Joanne K. Rowling. Doch Funke scheint auf dem besten Wege, die Harry Potter-Erfinderin in Sachen Erfolg einzuholen. Über 40 Bücher hat sie bislang verfasst, kann eine große, treue, meist jugendliche Lesergemeinde vorweisen, und auch die Filmwelt ist nun auf sie und ihre Kinder-Abenteuer aufmerksam geworden. Während ihre Geschichte um eine Mädchenclique, Die wilden Hühner, schon in den Startlöchern steht, hat sich New Line Cinema in den USA die Rechte für Tintenherz den ersten Teil ihrer Tinten-Trilogie gesichert. Doch zunächst ist nun die Verfilmung des Romans zu sehen, der ihr den internationalen Durchbruch verschaffte: Herr der Diebe.
Der deutsche Richard Claus, der bislang vor allem als Produzent in Erscheinung getreten ist (Der kleine Vampir), führte hier nach einem Drehbuch von ihm und Co-Producer Daniel Musgrave auch die Regie. Leider ist denn auch das Skript das große Manko von Herr der Diebe. Die Figuren, die Kinder um Prosper und Scipio, wie auch der Detektiv Victor hetzen von Höhepunkt zu Höhepunkt, von Plot Point zu Plot Point. Es ist, als haben Claus und Musgrave nur möglichst viel von Funke Buch in den Film pressen wollen. Weniger lieblos als unbeholfen wirkt denn auch die Hatz. Die erste Bootsfahrt auf Scipios Motorboot durch die Kanäle Venedigs muss sogleich, noch ehe man sich an der abenteuerlichen Freiheit der Kinder erfreuen konnte, mit einer hastigen Polizei-Verfolgungsjagd kombiniert werden, die ebenso schnell abgehakt wird. Viel zu beiläufig geraten über dieses Vorgehen die Figuren, ihre Geschichten und Konflikte, die es doch wert sind, mit ein bisschen Ruhe genauer betrachtet zu werden. Dass Scipio nicht nur als eine Art Peter Pan unterwegs ist sondern im Grunde auch ein Doppelleben á la Batman oder Robin Hood führt und über sein Geheimnis fast die Freundschaft mit den anderen Kindern zerbricht, verpufft dramatisch unter dem Druck. Auch Prospers Gewissenskonflikt, seine Skrupel angesichts des Diebeslebens, wird von der Handlung her nicht wirklich auf- und eingelöst. Beim aktuellen Harry Potter-Film mag solche Eile noch gut gehen, weil das Personal längst etabliert ist. Hier jedoch fällt es unnötig schwer, in dem Schnell-Schnell mit den kleinen Helden Freundschaft zu schließen.
Claus Regie trägt im Übrigen dazu bei, in den eigentlich aufregenden Moment quasi abzugleiten. Der erste Auftritt des Diebesherrn hat beispielsweise leider wenig Stimmung zu bieten, mag da die Musik noch so symphonisch donnern. Einige Anleihen bei anderen maskierten Helden hätten da nicht geschadet. Oft werden zudem neue Szene mit Großaufnahmen begonnen, und auch sonst sind etablierende Totalen selten, so dass man sich kaum orientieren kann und die faszinierende, so abenteuerliche wie verwunschene Kulisse Venedigs zu kurz kommt. Schade. Nicht zuletzt gerät allenthalben der Schnitt holprig und unbeholfen ein Zeichen dafür, dass aus Herr der Diebe ein weitaus längerer Film hätte (in mehrerer Hinsicht) werden sollen.
Wahrscheinlich aber werden solche ästhetischen Finessen das junge Zielpublikum nicht groß stören, wenn Jagd und Versteckspiel erst richtig losgehen. Und schließlich entschädigt das sympathische Spiel der - vor allem jungen Darsteller. Aaron Johnson macht dabei eine besonders gute Figur. Von den Erwachsenen macht allerdings nur der natürliche Jim Carter als liebenswerter, leicht chaotischer Schnüffler mit allerlei falschen Bärten Spaß. Und freilich die große Vanessa Redgrave, die in einer kleinen Rolle eine Nonne gibt. Carol Boyd und Bob Goody geraten dagegen übertrieben karikiert. Als böse Tante und Onkel darf das aber sicher so sein.
Vor allem jedoch liegt es an der grandiosen Geschichte, die Funke mit ihrem Buch vorgezeichnet hat, dass der Herr der Diebe nicht wirklich daneben gegangen ist. Selbst, wenn die Stationen oft eher pflichtbewusst als lustvoll nachgezeichnet werden: sowas mitreißendes und gewitztes sieht man selten auf der Leinwand schon gar nicht auf der der großen Zuschauer. Die Brüder auf der Flucht, die Clique als neue Familie mit ihrem geheimnisvollen Anführer, ein anarchisches Leben in der verwinkelten Lagunenstadt voller magischer Momente und dunkler Geheimnisse, erwachsene Freunde und Feinde, denen man stets ein Schnippchen schlägt, große und kleine Gefahren, dazu noch ein Zuhause in einem alten Kino. Tollkühnheit und Freundschaft, Sehnsucht, Verantwortung und das Erwachsenwerden: Funkes Ideenreichtum und Fabulierlust sprüht noch im trübsten Kanal. Das ist es, was schließlich auch für die Jüngeren zählen wird. Und vielleicht ist mit einem Film wie Herr der Diebe allein schon deshalb nichts wirklich schief gelaufen, wenn er statt Abzuschrecken eher noch die Lust steigert, sich sofort ins Buch zu vertiefen, in der festen Gewissheit, dass es da nun richtig toll sein wird. Welcher Film kann das schon von sich behaupten?
Fazit: Die Verfilmung von Cornelia Funkes Jugendbestseller um zwei Waisenjungen und eine Gruppe von Kinderdieben in Venedig gerät zwar filmisch ungelenk und vom Erzähltempo gehetzt, besticht aber dank liebenswerter Darsteller und vor allem der großartigen Geschichte.