Der Kick: Filmisches Protokoll für zwei Schauspieler um einen wahren Fall, in dem drei junge Männer einen 16-Jährigen folterten und töteten.
Radikale Spurensuche nach der Ursache von Gewalt, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück über den Aufsehen erregenden Mord an Marinus Schöberl in der Uckermark.
Andres Veiel ist keiner, der die Augen vor der Realität schließt. Er ortet Gewalt in seinen Filmen, manifeste wie subtile, zurückliegende wie in seinen preisgekrönten Dokus „Die Spielwütigen“ und „Black Box BRD“ oder brandaktuelle in „Der Kick“. Der bestialische und scheinbar grundlose Mord an dem 16jährigen Marinus Schöberl machte 2002 Schlagzeilen. Die Brüder Marco und Marcel Schönfeld misshandelten mit einem Kumpel den Jungen über Stunden, bis ihn der 18jährige Marcel mit einem Sprung auf den Hinterkopf wie in „American History X“ tötete. Die Täter, die das Opfer kannten, wurden zu langen Haftstrafen verurteilt. Regisseur und Dramaturgin Gesine Schmidt begaben sich über Monate auf Spurensuche nach Potzlow, sprachen mit den Mördern, Angehörigen von Tätern und Opfer, Dorfbewohnern und vertieften sich in Akten und Gerichtsprotokolle. Getragen wird die filmische Verdichtung der Recherchen von Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch, zwei begnadeten Schauspielern des Maxim Gorki-Theaters, die fast 20 Rollen verkörpern, von der Mutter des Opfers bis zum Täter, vom Pfarrer bis zum Bürgermeister. In der Kargheit liegt die Kraft. Die Film-Adaption des mit Erfolg aufgeführten Theaterstücks im Maxim Gorki Theater, Berlin und Theater Basel ist eine schonungslose Erforschung der Motive, die den Zuschauer bis ins Mark trifft, auch wenn es weder Lösung noch Erklärung gibt. Während Veiel im Theater nur mit der Totalen arbeiten konnte, fokussiert er sich hier auf Gesichter, Nuancen der Mimik und zwingt zur Konzentration auf den Text in seiner ganzen Monströsität, auch wenn er die Täter nicht als Monster zeigt, sondern als Menschen mit Biografie. Der Verzicht auf die Darstellung von Brutalitäten und jegliche Bebilderung, das Spiel mit Licht und Schatten, lässt Bilder des Grauens im Kopf des Zuschauer entstehen. Kaum auszuhalten, wenn ein Angeklagter den Tathergang emotionslos schildert, von „Totmachen“ spricht und davon, wie er sich seinen „Kick“ im Machtrausch holt. Veiel bietet keine Ausweichmöglichkeit, lenkt nicht durch Musik ab, sondern arbeitet nur mit Geräuschen, unterstreicht die Aussagekraft der Worte durch die variierende Stimme und ihre Betonung, durch Gestik, Körperhaltung und Blicke der Schauspieler. Die üblichen Muster von Perspektivlosigkeit in den neuen Bundesländern funktionieren hier nicht, die Täter kommen aus einem „normalen“ Elternhaus, zwei von ihnen hatten eine Ausbildungsstelle, der Vater betont, seine Kinder zu Gewaltlosigkeit erzogen zu haben. Der Blick in den zivilisatorischen Abgrund ist von schmerzlicher Intensität und Hilflosigkeit, wirft die Frage auf, wie in unserer Gesellschaft so eine Verrohung überhaupt möglich ist. Es gibt keine Antwort und kein Verstehen, sondern nur Entsetzen, Unsicherheit, Sprachlosigkeit. mk.