Unter Anklage: Der Fall Harry Wörz: Fernsehfilm um den wahren Fall eines Justizirrtums und dessen langwierige Aufklärung.
Till Endemanns Drama über Harry Wörz, der ein Opfer von Polizeiwillkür und Justiz wurde, ist spannend wie ein Thriller.
Der Fall Harry Wörz war ein Justizskandal, wie man ihn bis dahin nur aus Krimis kannte: Ein völlig unbescholtener Mann wurde 1997 von der Polizei mit Hilfe einiger nicht mal sonderlich raffinierter Manipulationen als Täter aufgebaut und prompt verurteilt. 13 Jahre lang kämpfte Wörz mit Hilfe seiner Anwälte um Gerechtigkeit. Als im Dezember 2010 endlich der endgültige Freispruch erfolgte, war er ein gebrochener Mann. Polizei und Justiz haben sein Leben zerstört. Selbst wenn es makaber klingt: Der Stoff ist wie geschaffen für ein TV-Drama. Mut beweist der SWR im Grunde allein mit der Tatsache, dass die Figuren ihrem Dialekt treu bleiben dürfen; das Badische, wie man es im Raum Pforzheim spricht, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Auch sonst hält sich die Verfilmung des Justizdramas eng an die Fakten. Das Drehbuch hat einige Ereignisse verdichtet, und in die Rolle des Anwalts Hubert Gorka sind noch andere Figuren eingeflossen, doch die skandalösen Ereignisse haben sich exakt so zugetragen, wie der Film sie wiedergibt. Der Fall ist stellenweise so grotesk, dass ein fiktionales Drehbuch vermutlich als völlig unglaubwürdig abgelehnt worden wäre: 1997 wird Harry Wörz beschuldigt, seine von ihm getrennt lebende Frau lebensgefährlich verletzt zu haben. Im Januar 1998 wird er nach nur vier Prozesstagen wegen versuchten Totschlags zu elf Jahren Gefängnis verurteilt. Bei der Vorbereitung eines Zivilprozesses wird Wörz‘ neuer Anwalt Gorka auf unfassbare Ermittlungs- und Verfahrensfehler aufmerksam. Till Endemann, der das Drehbuch gemeinsam mit Holger Joos schrieb, hat bereits bei „Flug in die Nacht - Das Unglück von Überlingen“ viel Feingefühl bewiesen. Da sich „Unter Anklage“ noch stärker auf die Figuren konzentriert, steht und fällt der Film naturgemäß mit der Auswahl der Schauspieler. Beide Hauptdarsteller machen ihre Sache hervorragend. Felix Klare liefert als Anwalt Gorka eine der Rolle entsprechende reduzierte, aber ungemein reife Leistung ab. Noch mehr Respekt gebührt Rüdiger Klink, der bis zur Unkenntlichkeit hinter Harry Wörz verschwindet. Wie gut Endemann sein Handwerk versteht, zeigt er gleich zu Beginn: Drei kühne Minuten braucht „Unter Anklage“ von der Verhaftung bis zur Verurteilung (Schnitt: Florian Drechsler). Selten ist der Begriff „kurzer Prozess“ filmisch derart schonungslos umgesetzt worden. tpg.