Einmal wandelt Joy nachts durch den Park, im Nachthemd, wie im Schlaf, wie ein Gespenst ihrer selbst, sie betritt ein rotgehaltenes Burgerrestaurant, leer bis auf eine auf automatische Freundlichkeit programmierte Empfangsdame. Dort trifft Helen ihren Verflossenen, Andy, eine Begegnung der Sehnsucht, des Bedauern über das Vergangene, der Hingebung ans Unmögliche. Seine Liebesbezeugungen gehen unversehens in Beschimpfungen und Drohungen über, dann löst er sich in Luft auf: ein Phantom, eine Halluzination; genau wie Helen in ihrem Leben eigentlich nicht anwesend ist.
Eine Szene von vielen in Todd Solondz Life During Wartime, die für sich steht und doch so viel mehr ist als das, was sie präsentiert; die vor- und zurückgreift, die die großen Themen aufgreift und dabei zeigt, wie die Protagonisten an ihnen scheitern; die von der Konzeption, der Dialoge, der Inszenierung und der Schauspielerleistung absolut meisterhaft choreographiert ist. Life During Wartime besteht eigentlich nur aus solchen vereinzelt erscheinenden Szenen, deren Zusammenhang nicht von der Handlung bestimmt ist, oft genug auch nicht von den Figuren, sondern von der Grundstimmung, von der Melancholie, von den Problemen, die sie behandeln.
Und doch, oder gerade deswegen, ist der Film nicht zerfahren, er zeigt vielmehr das meisterhafte Können von Solondz in der Komposition seiner Filme. Life During Wartime ist eine Fortsetzung seines Meisterwerkes Happiness von 1998, er dreht sich um dasselbe Geschwistertrio Joy, Helen und Trish, die nun, zehn Jahre später, an all dem Schrecklichen laborieren, das ihnen widerfahren ist in ihrem ganz normalen Leben: Perversion, Enttäuschung, Leid, Hoffnungslosigkeit; und das, wo sie doch so verzweifelt das Glück suchen.
Helen hat solches Pech, ihr Verlobter, ein freundlicher Schwarzer, entpuppt sich gleich in der ersten Szene des Films als Perverser, obwohl sie sich so bemüht hat; obwohl sich beide so sehr lieben. Das ist die Tragik ihres Teils des Filmes: dass sie so sehr anderen helfen will und doch alles immer schlimmer macht, gerade auch für sich selbst. Helen, Mutter von drei Kindern, lernt einen älteren Herrn kennen, einen, der zur Abwechslung mal tatsächlich normal ist; doch ihr Ex-Mann Bill kommt aus dem Gefängnis, ein Pädophiler, der nun wissen möchte, ob seine Kinder seine Veranlagung vererbt haben. Trish hat sich abgekapselt, sie ist Drehbuchautorin in Hollywood, lebt ein ganz anderes Leben hat sie es tatsächlich geschafft, herauszukommen aus der jüdischen community, aus der Familie in New Jersey, der auf so verzweifelnde Weise das Unglück zustößt?
Bezeichnenderweise hat Solondz diese Happiness-Fortschreibung mit anderen Schauspielern als im Vorgänger besetzt, tatsächlich ist Life During Wartime ganz selbstständig, kann ohne Kenntnis der Vorgeschichte gesehen werden er wird auch dann seine Wirkung entfalten, die den Zuschauer berührt mit seiner tiefen Traurigkeit, mit seinem Porträt von Lebensgeschichten, die unausweichlich aufs größtmögliche Unglück steuern, nicht wegen Zufall, nicht wegen Schicksal, sondern weil sie einfach nicht anders können, mit den besten Absichten. Und das in Szenen, die sich immer wieder in den Witz des Absurden wandeln, wodurch vermieden wird, dass die Emotion des Zuschauers, das Mitgefühl, in Depression umschlagen könnte.
Wie Happiness ist auch dieser Film zu einem Teil aus der Geschichte eines Kindes erzählt, Timmy wird bald Bar Mizwa haben, er wird dann ein Mann sein, und er versucht die Welt zu begreifen, die sich im Krieg befindet; im Krieg gegen Terroristen im großen Ganzen, im Krieg gegen die eigene Vergangenheit, gegen den eigenen Lebenslauf im speziell Kleinen. Vergeben und Vergessen; oder: Vergeben ohne zu Vergessen; oder gar: Vergessen ohne zu Vergeben diese Fragen beschäftigen ihn, sie ziehen sich durch den Film; und die Frage, ob Pädophile auch Terroristen sind. Man wird hineingezogen, man kann nicht anders das ist in der Politik Amerikas genauso wie in der Familiengeschichte um Joy, Helen und Trish.
Fazit: Mit seiner perfekten Choreographie einzelner Szenen und der Mixtur aus Tragik und Witz zieht der Film "Life During Wartime" den Zuschauer unweigerlich in sich hinein: das Gesamtporträt einer Familiengemeinschaft, die an anderen und an sich selbst verzweifelt.