Kuma: Drama um eine türkische Familie in Wien zwischen Tradition und Moderne - konzentriert auf die Beziehung zwischen einer todkranken treuen Ehefrau und ihrer jungen Nachfolgerin.
Mitfühlendes Frauendrama über eine stille Tragödie im Inneren einer türkischen Großfamilie in Wien.
Kuma, türkisch für Zweitfrau, bezeichnet eine polygamistische Sitte, nach der die junge Ayse (Begüm Akkaya) aus Anatolien über eine arrangierte Scheinehe mit Hasan als Leihmutter für dessen Vater Mustafa (Vedat Erincin aus „Almanya“) in seiner Großfamilie in Wien landet, aber nie akzeptiert wird. Dem kurdischstämmigen Österreicher Umut Dag, der mit seinem Debüt die Panorama-Sektion der Berlinale eröffnete, gelang damit ein leise berührendes Drama über starke Frauen. Es erlaubt intim Einblicke ins Innerste einer türkischen Großfamilie mitten in Wien und spürt mitfühlend Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte mit der Sensibilität eines Ang Lee auf. Das gelingt hervorragend, auch wegen einer erstklassigen Riege natürlich-empfindsamer Darsteller.
Schon bei der Hochzeit in Anatolien weint die unglückliche Braut Tränen des Abschieds. Viele weitere werden folgen. Sie wird ihr Schicksal würdevoll tragen: die steten Anfeindungen von Mustafas Töchtern, die Einsamkeit inmitten einer neuen Familie, die sie nur als bessere Leibeigene betrachten. Mustafas krebskranke Frau, die sechsfache Mutter Fatma (Nihal G. Koldas), hat die Ehe arrangiert, weil sie den Fortbestand ihrer Sippe sichern will. Als der verschlossene Hasan der sehnsüchtig, aber vergeblich Zuneigung suchenden Ayse offenbart, schwul zu sein - ein gefährliches Geheimnis in dieser intoleranten Lebenswelt - und ein Schicksalsschlag die inzwischen junge Mutter heimsucht, verliebt sie sich in den Mitarbeiter eines türkischen Supermarkts. Die Affäre wird entdeckt und sie fast totgeschlagen, der Ausgang aber bleibt offen.
Die schleichende Auseinandersetzung mit menschenunwürdigen traditionellen Wertvorstellungen agiert an der Schnittfläche der Kulturen und Generationen. Sie spielt in einer geräumigen Wohnung, die von Teppichen, Vorhängen und Schleiern begrenzt ist - ein Gefängnis, das die Hauptfigur Ayse fast nie verlassen darf. Denn diese Parallelwelt, in der man weder Wien noch jemals einen Einheimischen sieht, wo man nur türkisch spricht, besteht einzig aus Interieurs. Ein Kammerspiel mit tragischem Inhalt vollzieht sich in einem Mikorkosmos, der wie ein kleines Dorf funktioniert. Die Kadrage ist begrenzt, nirgendwo gibt es Freiraum, alles bleibt abgeschlossen. Respektvoll blickt die Kamera auf Ayse und Fatma, nähert sich ihnen emotional, öffnet ihr Innerstes in einer Familie, in der man nichts von wahren Gefühlen preisgeben darf.
Dag schaut der Familie dabei zu, wie sie mit dieser Situation umgeht, wie sie zusammenfindet und auseinanderdriftet. Zurückhaltend und elliptisch, ohne Wertungen, ehrlich und mit feinem Gespür für Seelenzustände findet er trotz heikler Themen wie Vielehe und Ehrenmord ein sich still offenbarendes Drama um Frauenschicksale im heutigen Europa. tk.