Havoc: Ambitioniertes Drama über zu Tode gelangweilte Luxuskids, die im Gangland von Los Angeles nach neuen Kicks suchen.
Nach preisgekrönten Dokumentationen über Arbeitskampf und soziale Realitäten in den USA („Harlan County“, „American Dream“) inszeniert die zweifache Oscarpreisträgerin Barbara Kopple in ihrem Spielfilmdebüt die Begegnung zweier Welten im kalifornischen Siedlungschaos von Los Angeles. Der mit Jungstars attraktiv besetzte Crash von Wohlstand und Armut, naiver Träumerei und abgeklärtem Realismus empfiehlt sich jungen und jung gebliebenen Zuschauern, die etwas abseits von Hollywoods Kommerzfabrik, aber doch mit Grenzkontakten zum Mainstream, Neues entdecken wollen.
Wer Larry Clarks „Kids“ zu verstörend und James Tobacks „Black and White“ zu verwirrend findet, dem bietet „Havoc“ eine zugänglichere Entdeckungsreise in ein Milieu, in dem die verklärte Faszination für eine Subkultur mit der Realität kollidiert. Die in „Black und White“ diskutierte Umarmung der schwarzen Musik- und Lebenskultur durch den weißen Mittelstand, ist auch zentrales Thema im Drehbuch von Stephen Gaghan („Traffic“). Was Larry Clark unkommentiert abbildet, versucht Gaghan zu verbalisieren. Mit Dialogen wie „Ich hatte genug von diesem heuchlerischen Leben“ oder „Du gehörst zu den einsamsten Menschen, die ich kenne“ streift der Film psychologisch-soziale Klischees, spricht aber reale Probleme und Phänomene an. „Havoc“ lebt aus, wovon manche Rap-Fans, die über die Liebe zur Musik hinaus exotische Erfahrungen wittern, träumen: die Expedition ins coole Milieu der Homeboys, wo das Leben noch spürbar in den Adern pocht und nicht von Monotonie erstickt ist. „Wir sind zu Tode gelangweilt“ spricht Protagonistin Allison in die Videokamera eines Jungen, der die schicke Wohlstandswelt vom Nobelvorort Pacific Palisades zu sezieren versucht. Mit einer harten Schlägerei, an der sich auch die Girls beteiligen, führt Kopple in das Vakuum der luxusverwahrlosten Jugend ein, die ihre Apathie in Gewaltausbrüchen oder mit gefährlichen Expeditionen ins Gangland zu überwinden versucht. Rap-Begeisterung und der Kick der Gefahr treiben Allison (Anne Hathaway korrigiert ihr „Plötzlich-Prinzessin“-Image), Emily (Bijou Phillips, als VIP-Nachwuchs selbst ein Produkt dieser Welt) und Amanda (Shiri Appleby) ins Latinoviertel von East L.A. Von sexueller Neugier und Faszination für den Machismo motiviert, drängen sie sich mit grenzenloser Naivität Hector (Freddy Rodriguez) und seiner Gang auf. Tauchen auf den Parties der Latinos auf, die erst irritiert, dann animiert und schließlich aggressiv auf die Mädchen reagieren, weil sie sich als Objekte einer soziologischen Exkursion erkennen. Als Allison und Emily sogar Aufnahme in die Gang ersuchen, die im Gegenzug kaum überraschend Sex einfordert, wird aus dem Spiel Ernst. Ein Vergewaltigungsvorwurf führt zu Verhaftungen, treibt die maskulin herausgeforderten, von Gangsta-Rap-Fantasien aufgestachelten Freunde der Girls zur Bestrafungsaktion nach East L.A. und die Latinos zu einem Spontanbesuch ins Nobelviertel, bis beide Parteien schließlich aufeinandertreffen. Auch wenn Kopple im sterilen Wohlstandsmilieu, in der Aufmerksamkeitsverarmung der Rich Kids Erklärungsversuche unternimmt, liegen ihre Sympathien wohl eher an dem Ort, an dem solche Probleme Luxus sind, den sich keiner leisten kann. Man versteht, warum die Latinos, die hier nicht heroisiert oder entkriminalisiert werden, das Eindringen in ihre Welt als provokanten Milieutourismus empfinden. Spannend bis zum letzten Bild beleuchtet „Havoc“ ein interessantes Phänomen. Die Vereinigung gegensätzlicher Welten durch die Faszination für den Hip Hop entpuppt sich als illusionär, bleibt ein Marketinginstrument der Musikindustrie, die mit der propagierten Annäherung ein Vermögen umsetzt. kob.