Die fetten Jahre sind vorbei: Hans Weingartners intelligente und amüsante Story um jugendliche Rebellion, Freundschaft und eine kuriose Ménage à trois.
Für Hans Weingartner schien das alles wie ein Traum: Zehn Minuten Standing Ovations im Grand Théâtre Lumière. „Die fetten Jahre sind vorbei“, die liebevoll-ironische Zeichnung jugendlicher Rebellion, Freundschaft und einer kuriosen Ménage à trois begeisterte das Publikum an der Croisette. Somit sollten auch die mageren Jahre des deutschen Films in Cannes vorbei sein.
Nach elf Jahren ein deutscher Wettbewerbsbeitrag in Cannes, das weckte Erwartungen. Und die wurden nicht enttäuscht, auch wenn einige Kritiker, vor allem aus Frankreich, niedrig punkteten. Hans Weingartner, einst Hausbesetzer und Punk, erzählt in seinem zweiten Spielfilm nach „Das weiße Rauschen“ vom Traum, die Welt zu verändern. Nicht in großen, sondern in kleinen Schritten. Und setzt dabei auf intelligenten Witz, interessante Figuren und amüsante Dialoge. Jan, Peter und Jule sind Aussenseiter, sie kaufen keine Labels, sondern prangern die Sucht nach Labels an, rennen auch schon mal in einen Laden und machen die Kundschaft lauthals darauf aufmerksam, dass die Designerware von Kindern in der Dritten Welt zu Billiglohn fabriziert wird. Das wirkt anfänglich wie eine Remineszenz an die 70er Jahre und etwas honorig. Ihren Zorn über soziale Ungerechtigkeiten lassen die Jungs nachts raus, wenn sie in die Häuser der Reichen einbrechen und deren geordnete Villen in Unordnung bringen, das Mobiliar verrücken, freche Sprüche hinterlassen, die Stereo-Anlage ins Eisfach und schon mal Kunstobjekte ins Klo stecken. Gestohlen wird übrigens nichts. Sie fühlen sich nicht als Easy Riders oder „born to be wild“, sondern machen sich einen Jux daraus, den „Happy Few“ Angst einzujagen - schaut, wir sind da! Jule verliert wegen Mietschulden ihre Wohnung und zieht zu Peter, der mit Jan eine WG teilt. Als Peter nach Spanien fährt, hilft ihr Jan bei der Renovierung und die Liebe bricht aus, einfach so. Und damit das Chaos. Denn Jule kriegt mit, was Jan nachts so treibt und bringt ihn dazu, mit ihr in das Anwesen eines Topmanagers einzudringen und zu verwüsten, dem sie 100 000 Euro schuldet, weil sie seinen Mercedes beim Auffahrunfall zu Schrott fuhr. Bei der Aktion verliert Jule ihr Handy, am nächsten Abend geht’s noch einmal zurück. Leider taucht auch der Eigentümer auf. Gemeinsam mit Peter entführen sie ihn in die Berge, krümmen ihm aber kein Haar und lassen ihn sogar frei. Aber Harmonie wäre eine langweilige Lösung, ein überraschendes Ende stellt noch einmal alles auf den Kopf.
Wie bei „Das weiße Rauschen“ arbeitete Weingartner ohne künstliches Licht, die DV-Handkamera bleibt nahe an den Protagonisten. Die anfänglich dogmatischen Dialoge gewinnen im Verlauf der Handlung spielerische Leichtigkeit, vielleicht auch aufgrund des chronologischen Drehs. Ein Glücksfall sind die Schauspieler: Daniel Brühl, der im Grand Hotel von französischen Fans gefeiert wurde und dessen Karriere wohl nichts und niemand mehr aufhalten kann, Stipe Erceg, der schon im Kurzfilm „Der Typ“ brillierte und Julia Jentsch, ein offenes Gesicht, dass im deutschen Film wohl hoffentlich demnächst öfter zu sehen ist. Das Filmtrio ist jung und aufmüpfig, spart nicht an süffisanten Seitenhieben auf die Alt-68er und deren graue Theorien, mischt munter Praxis und Poesie. Freundschaft triumphiert über Eifersucht, auch wenn der düpierte Peter den Rivalen erst einmal verprügelt.
Mit Lust inszeniert der in Berlin lebende Österreicher den Zusammenprall von alter und neuer Ideologie, wenn das Entführungsopfer von seiner einstmals revolutionären Vergangenheit schwärmt und über die Schwierigkeiten des Reichseins jammert, während die Youngster unbekümmert und mit Chuzpe das Leben im Jetzt einfordern, Wut und Widerstand machen sie erotisch. Rebellion ist sexy. Die heutigen Kinder von McDonald’s und Markennamen haben die Kinder von Marx und Coca Cola abgelöst. Sie proben den Aufstand - ganz unverkrampft und unbeschwert, mit neuer Leidenschaft und Liebe. Beschwingt kommt man aus dem Kino und möchte alle Freunde hineinschicken. Nicht nur die Mundpropaganda sollte sich an der Kasse auszahlen. mk.