Das Wunder von Bern: Warmherziger Familien-Fußball-Film um einen Jungen, der zwischen seinem Fußballer-Idol und dem aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Vater steht.
Wenn schon kein Ruck durchs Land gehen will, dann zeigt wenigstens der deutsche Film, wie es geht: Sönke Wortmanns Leib- und Magenprojekt „Das Wunder von Bern“ hat nur vordergründig den Triumph der deutschen Kicker bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz zum Thema. Begleitet, kommentiert und wirkungsvoll emotionalisiert durch die unerwarteten Erfolge der Ballkünstler um Sepp Herberger, erzählt Wortmanns mühelos bester und bewegendster Film seit zehn Jahren vor allem von archetypischen Schicksalen in Nachkriegsdeutschland, festgemacht an der packenden Geschichte eines desillusionierten Kriegsheimkehrers und dessen fußballbegeisterten Sohnes, die sich vom Ruhrpott aus auf den Weg zum legendären Wankdorf-Stadion machen und zu sich selbst finden.
Vier Jahre ist es her, dass der Vorreiter des Neuen deutschen Erfolgskinos der neunziger Jahre („Der bewegte Mann“, „Das Superweib“) mit dem ambitionierten, aber unglücklichen Episodenfilm „St. Pauli Nacht“ zuletzt einen Film in die Kinos schickte (sein in der Zwischenzeit entstandener US-Ausflug „Der Himmel von Hollywood“ ist nach wie vor unveröffentlicht). Wenn man nun „Das Wunder von Bern“ in seiner ganzen zweistündigen Pracht sieht, dann lässt sich nicht nur die ganze Mühe und Sorgfalt erkennen, die in der von Little Shark und Senator gestemmten 7,3-Mio.-Euro-Produktion steckt. Man entdeckt auch eine Kulmination des bisherigen Schaffens von Wortmann, der hier nicht nur seinen ausgeprägten Sinn für Figuren und Timing einbringen kann, sondern auch die von der Filmkritik lange eingeforderte Leidenschaft, die er seit „Kleine Haie“ bisweilen vermissen ließ, auflodern lässt: Wunderbare Charakterzeichnungen gelingen ihm ebenso wie die schönsten, am besten beobachteten Szenen seiner Karriere (vor allem die von Kindern nachgespielte Partie, während man den zugehörigen Radikommentar hört, ist hinreißend), deren Detailliebe ebenso überzeugt wie ihr warmer Humor. Und in den - in weiser Voraussicht, ein „reiner“ Fußballfilm könne das kommerzielle Potenzial des Films mindern - knapp gehaltenen Fußballszenen entwickelt der Regisseur eine in seinem bisherigen Schaffen nicht gekannte Dynamik und Filmbilder, an die man sich erinnert. Unverkennbar, dass der deutsche Volkssport Nummer eins Wortmann ebenso am Herzen liegt, wie der Ruhrpott und seine Menschen, denen er mit seinem Film als Sinnbild für den Wiederaufbau nach entbehrungsreicher Zeit auch ein Denkmal setzt.
Entsprechend entfaltet sich die Geschichte auch dreigeteilt. Zum einen folgt man Sepp Herberger, seinem Kapitän Fritz Walter und ihren Mannen durch Vorbereitung, erste Überraschungen und Dämpfer beim Turnier bis zum Finale gegen die vermeintlich unbesiegbaren Ungarn in Bern. Doch wichtiger, weil komplexer, unvorhersehbarer und daher auch spannender (dass Deutschland das Finale dank Helmut Rahn gewinnt, ist kein Geheimnis), ist die parallel angesiedelte Ballade der Essener Bergarbeiterfamilie Lubanski, die seit elf Jahren ohne ihren Ernährer Richard (Peter Lohmeyer) auskommen muss. Hier richtet sich der Fokus auf den schüchternen Matthias (ganz vorzüglich gespielt von Lohmeyers Sohn Louis Klamroth), der als Balljunge eine Art Ersatzvater in dem Kicker Rahn gefunden hat. Als Richard nach zehnjähriger Kriegsgefangenschaft zurück nach Hause kehrt, hat er mit schwersten Identitätskrisen zu kämpfen, die auch das Familiengefüge belasten: Vor allem Matthias hat unter der unsicheren Autorität des Vaters zu leiden, und erst über den Fußball finden die beiden Fremden langsam zueinander. Was potenziell bleischwer hätte werden können, hält Wortmann in Momenten fest, die so sehr fesseln, dass jedem im Publikum klar ist, dass sich das eigentliche „Wunder von Bern“ nicht auf dem Rasen abspielt, sondern in dem klapprigen Auto, in dem Vater und Sohn gen Schweiz zuckeln. Alldieweil sorgen ein Sportjournalist dessen Ehefrau (Lucas Gregorowicz und Katarina Wackernagel) im Stadionrund für befreiende Komik und die nötigen Hintergrundinfos zum Turnierverlauf.
Durch die Dreiteilung gelingt Sönke Wortmann die Quadratur des Kreises: ein Fußballfilm, in dem es nicht um Fußball geht; ein menschliches Drama, in dem der Sport zum allgegenwärtigen Katalysator für wahrhaftige Emotionen wird. Wenn sich die Fußballer nach ihrem Sieg in den Armen liegen, ist ihre Freude die expressionistische Entsprechung für die innere Freude des kleinen Matthias. Auch wenn am Schluss ein wenig dick aufgetragen wird, wenn der Zug mit den Siegern in den Sonnenaufgang und eine bessere Zukunft fährt, ist „Das Wunder von Bern“, diese geschliffene Mischung aus Sirk und von Ambesser, ein Film, der von einem Ereignis unserer Vergangenheit berichtet, aktueller aber gar nicht sein könnte. ts.