Das Dorf des Schweigens: Thriller und Familiendrama mit Helmut Lohner in seiner letzten Filmrolle.
Auf den ersten Blick erinnert die Handlung dieses gut gespielten Familiendramas an viele andere Heimatgeschichten solcher Art: Eine Frau kehrt nach vielen Jahren in den Ort ihrer Kindheit zurück und weckt die Geister der Vergangenheit.
Im Drehbuch von Martin Ambrosch sind diese Geister besonders hässlich: Lydia (Ina Weisse), Mitte vierzig, hat Bad Gastein im Salzburger Land vor dreißig Jahren verlassen und jeden Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen. Ihre weitaus jüngere Schwester Eva (Petra Schmidt-Schaller) will demnächst heiraten und hat Lydia, die sie nie kennen gelernt hat, zur Hochzeit eingeladen. Schockiert stellt Lydia fest, dass Evas Verlobter Christian (Simon Schwarz) der Mann ist, der sie als Teenager vergewaltigt hat. Als Christians lebloser Körper an dem berühmten Wasserfall mitten im Ort gefunden wird, fragt sich Eva, ob ihre Schwester Rache genommen hat.
Hans Steinbichler hat auch fürs Fernsehen schon einige große Werke gedreht. Seine Beiträge für Reihen wie „
Bella Block“ und „Polizeiruf 110“ waren stets mehr als bloß Krimis. Auch „Das Dorf des Schweigens“ orientiert sich nur vordergründig am Krimi-Muster, selbst wenn Eva auf eigene Faust nach den Gründen für Christians Tod sucht und schließlich auf eine schockierende Wahrheit stößt, die ihrem bisherigen Leben komplett die Grundlage entzieht; die grimmige Schlusspointe ist in der Tat ein Knüller.
Auch wenn am Ende einige Fragen offen bleiben: Dank Steinbichlers Führung der Schauspieler bietet der Film eine herausragende Ensemble-Leistung. Ambrosch sorgt allerdings auch dafür, dass mit Ausnahme Evas sämtliche Mitglieder der Familie eine gewisse Düsternis umweht. Geschickt lässt das Drehbuch lange offen, wer was weiß und wer nicht. Alle Figuren bleiben in der Schwebe. Simon Schwarz zum Beispiel verkörpert Evas Verlobten als liebenswürdigen Freund und Lehrer, dem man eine Vergewaltigung nie zutrauen würde. Hildegard Schmahl versieht die Mutter dagegen mit einer Fahrigkeit, die durchaus das Resultat düsterer Erfahrungen sein könnte. Ganz famos ist der im Sommer letzten Jahres verstorbene Helmut Lohner in seinem letzten Film. Der Vater ist eine Figur wie aus einer klassischen Tragödie, aber Lohner nimmt diesem alten Mann jede Bühnenhaftigkeit und spielt ihn ungemein lebensecht; eine berührende Leistung. Trotzdem ist auch diese Rolle bis zum Schluss undurchschaubar.
Natürlich setzen Steinbichler und seine Kamerafrau Bella Halben, mit der er fast alle seine Filme gedreht hat, den Schauplatz ins rechte Licht; der Wasserfall im Herzen von Bad Gastein kommt ebenso zur Geltung wie die prachtvolle Landschaft ringsumher. Die Kameraarbeit ist ohnehin vortrefflich, zumal die Wirkung von Halbens Bildern durch eine stimmige elegische Musik (Alex Komlew) untermalt wird. Gleich zu Beginn bei Lydias Ankunft in Bad Gastein setzt die Kamerafrau den berühmten Vertigo-Effekt ein (eine Kombination aus Kamerafahrt mit gegenläufigen Zoom), ein deutliches Signal dafür, wie sehr die Welt der Rückkehrerin aus den Fugen geraten ist. tpg.