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Fakten und Hintergründe zum Film "Coraline"

Fakten und Hintergründe zum Film "Coraline"

Mehr zum Film? Wir haben die wichtigsten Hintergründe und Fakten für Dich gesammelt: detaillierte Inhaltsangaben, Wissenswertes über die Entstehung des Films, ausführliche Produktionsnotizen. Klick rein!

Produktion: Die Entstehung von Coraline

Die Geschichte von Coraline Jones und ihrem Abenteuer in der anderen Welt hat schon weite Wege und verschlungene Pfade zurückgelegt: Sie ist von Vater zu Tochter, vom Stift aufs Papier, vom Buch zum Film, aus dem Studio-Set auf die 3-D-Leinwand gewandert.

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Es war einmal – Anfang der 1990er Jahre -, da war Autor Neil Gaimans Tochter Holly gerade erst „vier oder fünf Jahre alt“, erinnert sich der Schriftsteller. „Wenn sie aus der Schule nach Hause kam, sah sie mich immer sitzen und schreiben. Also kletterte sie auf meinen Schoß und diktierte mir kleine Geschichten; darin ging es oft um kleine Mädchen, die Holly hießen und deren Mütter von bösen Hexen, die genau wie die Mütter aussahen, entführt wurden. Ich dachte mir: Also gut, ich werde so ein Buch für sie finden. Ich habe danach gesucht, aber es gab nichts auch nur annähernd Ähnliches. Also nahm ich mir vor, ein solches Buch zu schreiben, und begann.“

Holly Gaiman erinnert sich: „Als ich ein kleines Mädchen war, hat mir mein Vater die Geschichte von „Coraline“ in kleinen Stückchen vorgelesen. Er hatte begonnen, diese Geschichte für mich zu schreiben, die noch nie zuvor jemand gelesen oder gehört hatte. Es ist eine wunderschöne Geschichte, die mich von Kindesbeinen an beeindruckt und begleitet hat.“

Nachdem er bereits einige Kapitel fertig gestellt hatte, nahm Gaimans Karriere richtig Fahrt auf, und es dauerte weitere fünf oder sechs Jahre, bis er wieder zu „Coraline“ zurückkehren konnte. Und da dachte er: „Holly wird langsam zu groß dafür.“ Doch Holly hatte jetzt eine kleine Schwester, Maddy, und Neil Gaiman wurde bewusst, dass, wenn er die Geschichte nicht bald fertig schrieb, auch seine kleine Tochter zu groß dafür sein würde. Mit der Aussicht auf einen formellen Buchvertrag entwarf er einen Produktivitäts-Plan: „In den darauf folgenden zwei Jahren habe ich, statt vor dem Schlafen noch zu lesen, abends immer an „Coraline“ weiter geschrieben.“

Auf seinem Nachttisch hatte er stets ein Notizheft, und bevor er das Licht löschte, schrieb er so jeden Abend fünf bis sechs Zeilen. „Es war ein sehr langsames Schreiben“, gibt Gaiman zu. „Das machte etwa eine Seite alle sechs Tage. Da ich aber jeden Abend schrieb, kam ich irgendwann auf das Ende zu.“ Im Jahr 2000 schließlich konnte er sich eine ganze Woche lang dem Abschluss des Buches widmen.

Den Kern der Geschichte bildet eine Kindheitserinnerung des Autors selbst: Genau wie manche Kinder ab und an ganz sicher sind, dass ihre Spielsachen zum Leben erwachen, während sie schlafen oder gerade nicht hinsehen, so hatte Neil Gaiman einen ganz eigenen Verdacht. Genährt wurde sein Misstrauen von der alten, herrschaftlichen Villa, in der er damals mit seinen Eltern lebte. Gaiman berichtet: „In einem Wohnraum gab es eine Tür, hinter der sich nur eine Ziegelmauer befand. Ich war jedoch überzeugt, dass das nicht immer so war… ich habe versucht, mich anzuschleichen und die Tür zu überraschen. Ich habe mich angelehnt, so getan als sei ich gerade mit etwas anderem beschäftigt, und sie dann ruckartig geöffnet, um dahinter zu schauen.“

„Ich glaubte, dass dahinter dann ein Korridor wäre, wenn ich mich nur auf die richtige Weise nähern könnte. Im Traum habe ich die Tür geöffnet und es gab einen Tunnel. Im Buch findet Coraline eine Tür, die zugemauert wurde, doch eines Tages geht sie hindurch und wagt sich in den Tunnel.“

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Sie krabbelt hindurch und findet sich sogleich in der anderen Welt wieder, wo sie sich schon bald heimisch fühlt. Coraline entscheidet sich dafür, die Tatsache zu ignorieren, dass die andere Mutter und der andere Vater schwarze Knöpfe an Stelle der Augen haben. „Diese Metapher lässt Raum für viele Interpretationen“, meint Gaiman. „Und jede Auslegung ist richtig. Die Augen sind die Fenster der Seele, die Römer legten den Verstorbenen Münzen auf die Augen und so weiter.“

Doch durch die Entdeckung von drei Geisterkindern, die vor langer Zeit von der anderen Mutter eingesperrt wurden, wendet sich Coraline endlich von der anderen Welt ab. Sie begreift, dass sie allein deren einzige Hoffnung ist – und dass auch ihre echte Familie in der realen Welt in Gefahr schwebt. Der Autor sagt: „Ich wollte ein Buch darüber schreiben, was es bedeutet, mutig zu sein: Tapferkeit heißt, vollkommen verängstigt zu sein und dennoch das zu tun, was man tun muss, trotz aller Ängste und Schwierigkeiten. Außerdem wollte ich zum Ausdruck bringen, dass manchmal die Menschen, die man liebt, einem vielleicht nicht die ganze Aufmerksamkeit schenken, die man braucht – und dass die Menschen, die uns beachten, uns vielleicht nicht immer auf die gesündeste Weise lieben.“

Die Geschichte nach der Schule war zu einer Gute-Nacht-Geschichte geworden; nachdem er das Buch fertig hatte, las Gaiman Maddy jeden Abend beim Zubettgehen ein Kapitel vor. Er gibt zu: „Wäre sie dadurch ängstlich oder verstört gewesen, hätte ich es wahrscheinlich weggelegt. Aber sie hat es geliebt.“ Maddy Gaiman erzählt: „Diese Geschichte zieht dich in ihren Bann und packt dich. Man fühlt sich Coraline sehr nah und fiebert mit, damit sie siegreich aus der Sache herauskommt.“

Das Buch wurde von Neil Gaimans ständigem Mitarbeiter Dave McKean illustriert und im Jahr 2002 in den USA veröffentlicht. Das war „zur Hochzeit der Harry-Potter-Mania“, sagt der Autor. „Es war aber auch das erste Jahr, in dem J.K. Rowling ihren Abgabetermin nicht einhielt, also bekamen wir von Seiten der Presse mehr Aufmerksamkeit, als einem Kinderbuch sonst zuteil geworden wäre – und „Coraline“ schoss geradewegs auf die Bestseller-Liste der The New York Times!“

Die Autoren Philip Pullman („His Dark Materials“-Trilogie) und Daniel Handler („Lemony Snicket“) waren unter denen, die „Coraline“ priesen. Neil Gaiman berichtet: „Wegen der vielen Preise, die das Werk bekam und weil „Coraline“ in einer sehr einfachen Sprache gehalten ist und eine interessante Geschichte bietet, wurde das Buch auch in Schulen durchgenommen.“ Zu den Ehrungen zählen u.v.a. der Preis der American Library Association als Bestes Buch für junge Erwachsene; die Hugo und Nebula Awards, die Ernennung zum Besten Buch des Jahres vom Child Magazine sowie eine Nennung als Bestes Buch von Publishers Weekly. Das vom Autor selbst gelesene Hörbuch wurde von Publishers Weekly außerdem zum Besten Neuen Hörbuch gekürt.

Das Buch inspirierte ein italienisches Filmemacher-Trio zu einem Kurzfilm, eine irische Theatertruppe zu einer Marionetten-Show, ein schwedisches Jugendtheaterensemble zu einer eigenen Inszenierung, außerdem entstand eine Comic-Adaption, und ein Off-Broadway-Musical wird im Frühling 2009 Premiere feiern. Weltweit hat sich das Buch „Coraline“ über neun Millionen Mal verkauft. Der Autor meint: „Von all meinen Büchern wurde „Coraline“ am meisten übersetzt – nämlich in 30 Sprachen.“

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Produktion: Die Leinwand-Vision

Während der Jahre, in denen er an „Coraline“ arbeitete, verfolgte Neil Gaiman mit Interesse die Filmwerke von Regisseur und Animations-Spezialist Henry Selick. Gaiman hatte sich bereits in der ersten Woche „The Nightmare Before Christmas“ (1992) im Kino angesehen, „James und der Riesenpfirsich“ (1996) ebenso schnell. Gaiman erzählt: „Henry war auf meinem Radar als beeindruckende kreative Kraft gespeichert. Ich habe mit meinem Agenten geredet, und der meinte: ‚Da ist dieser Typ, Henry Selick; ihr zwei würdet euch gut verstehen.‘ Als ich dann das Manuskript von „Coraline“ beendet hatte, gab ich es meinem Agenten und bat ihn, es an Henry zu schicken. Das war ca. 18 Monate, bevor das Buch veröffentlicht wurde.“

Selick meint: „Als ich das Manuskript las, war ich beeindruckt davon, wie die zwei Welten einander gegenübergestellt werden: die Welt, in der wir alle leben, und die andere, in der das Gras stets grüner ist. Damit kann sich jeder Mensch identifizieren. Genau wie Stephen King spielt Neil auch mit der Phantasie in modernen Zeiten in unserem Leben. Er spaltet das gewöhnliche Dasein und findet Magie darin. Mir hat „Coraline“ sehr gefallen, und ich hoffe, dass sie auch den Kindern, die sie im Kino sehen werden, aus verschiedenen Gründen ans Herz wachsen wird. Denn sie ist mutig, erfindungsreich und über die Maßen neugierig. Wenn sie etwas Interessantes sieht, muss sie einfach mehr darüber erfahren. Besonders gelungen fand ich, dass dieses „Das-Gras-ist-grüner“-Szenario plötzlich Furcht einflößend wird. Dass Coraline – als Durchschnittsmädchen – sich dem Bösen entgegenstellt und siegreich daraus hervorgeht, das bedeutet wirklich etwas, wie Neil schon sagte.“ Der Regisseur fügt noch hinzu: „Neil lädt den Leser dazu ein, an Coralines Abenteuer teilzunehmen – und genau das Gleiche wollte ich dem Kinopublikum bieten.“

Gaiman sagt: „Innerhalb einer Woche meldete sich Henry und sagte, er wolle den Film machen. Produzent Bill Mechanic – mit dem er bereits zuvor zusammengearbeitet hatte – kaufte die Filmrechte, und Henry begann sofort mit dem Drehbuch. Durch reine Willenskraft und Ausdauer hat Henry den Film Wirklichkeit werden lassen.“

Selick meint: „Das war die ideale Gelegenheit, all das einzusetzen, was ich über das Geschichtenerzählen mithilfe von Animation weiß und es in einer Story mit einer starken Hauptdarstellerin zur Geltung zu bringen. Neil stand uns von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite, war aber nie überempfindlich wegen der Buchvorlage und konnte sich auch zurückhalten, wenn ich mich sammeln musste. In einer Adaption möchte man ja die wichtigen Elemente eines Buches honorieren, manches muss man aber auch dazuerfinden oder weglassen.“

Nachdem Selick beschlossen hatte, den Look des Animationsfilms anders zu gestalten als es die Illustrationen von Dave McKean für das Buch vorgaben, brachte der Regisseur und Produktionsdesigner den renommierten japanischen Illustrator und Designer Tadahiro Uesugi als Concept Artist an Bord. Dazu Selick: „Wir strebten einen klassischen Kinderbuch- und starken graphischen Look an, und Tadahiro bezieht seine Inspiration aus amerikanischen Illustratoren der späten 1950er und frühren 1960er Jahre.“

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Uesugi arbeitete über ein Jahr lang in Japan an der Concept Art und reist dann in die USA, um sich mit Selick und Illustrator Michel Breton zu treffen. Gemeinsam legten sie die Pinselstriche und Farbpalette fest und arbeiteten auch weiterhin zusammen: Uesugi blieb nach seiner Rückkehr nach Japan auch über tausende von Kilometer Entfernung mit Breton in engem Kontakt.

Nachdem ein neuer Drehbuchentwurf abgesegnet war, ging „Coraline“ 2005 in die Vorproduktion. Art Direction und Storyboarding waren die ersten Aufgaben; Storyboard Supervisor Chris Butler leitete die Storyboard-Illustratoren bei der Visualisierung jeder Szene und jeder Figur an. Diese Phase ist schon für Live-Action-Spielfilme entscheidend, und das gilt in doppeltem Maße für Animationsfilme. Butler erklärt: „Es ist eben nicht wie bei Live-Action, wo man mehrere Kameras einsetzen oder neue Einstellungen drehen kann. Die Animations-Spezialisten arbeiten Frame für Frame, also muss man ganz genau wissen, was man drehen will, bevor man überhaupt beginnt. Der Vorteil der Storyboards liegt darin, dass wir das gesamte Drehbuch vorab in Bildform vorliegen haben – oft auch mit neu eingearbeiteten visuellen Ideen. Dieses Material wandert dann direkt in die Kamera-Abteilung.“

In der Vorproduktion trägt dieser Ablauf dazu bei, das auf der Leinwand zu verwirklichen, was der Regisseur vor seinem geistigen Auge sieht. An diesem Prozess hält man auch während der Produktion fest, wobei der Drehplan in Sequenzen aufgeteilt wird. Um die Storyboard-Kunst in das 21. Jahrhundert und über die Arbeit mit Pinseln und Stiften hinaus zu befördern, arbeiteten Butler und sein Team mit Wacoms Cintiq LCD-Flachbildschirmen, an denen man direkt mit einem interaktiven Digitalstift zeichnen kann. Es stehen über 1.000 Sensibilitätsstufen an der Spitze des Stiftes und Radiergummis zur Verfügung, um die Bilder präzise kontrollieren zu können; die Bildschirme wiederum bieten verstellbare Ständer, mit denen man den optimalen Arbeitswinkel erzielt. Butler begeistert sich: „Mit Cintiq können wir den gesamten Film entlang unserer Storyboard-Paneele aufbauen – inklusive Sound, Musik und Dialoge. Das können wir uns mit Henry anschauen um sicherzugehen, dass alles so stimmt.“

Doch wie animiert man Coralines Abenteuer am besten? Stop-Motion-Animation, das Reich in „The Nightmare Before Christmas“ und auch in „James und der Riesenpfirsich“ vorherrschend, stand in Selicks Vision für „Coraline“ auf Platz eins. Obwohl er und Mechanic auch computergenerierte Animation und/oder Live-Action in Betracht zogen, entschied Selick, dass „diese Story perfekt für Stop-Motion-Animation ist“. Gaiman stimmte dem entschieden zu: „Stop-Motion vereint Phantasie mit einer fassbaren, soliden Realität. Henrys Arbeit mit diesem Medium hat mein Herz im Sturm erobert.“

Produktion: Stop Starts

„Es sind Marionetten ohne Schnüre“, so beschreibt Animations-Spezialistin Amy Adams die Kunst des Stop-Motion-Verfahrens. Lead Animator Travis Knight fügt hinzu: „Jede Einstellung ist ein Drahtseilakt.“ „Mit Stop-Motion kann man alles machen“, meint Storyboard Artist Ean McNamara. „Es ist wie Bildhauerei mit Licht.“ Storyboard Supervisor Chris Butler sagt: „Man verliert sich förmlich im Phantastischen. Wenn man an einem Stop-Motion-Film arbeitet, widmet man sich etwas wirklich Besonderem, von dem man hofft, dass es noch Jahrzehnte überdauern wird.“

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Das Stop-Motion-Verfahren war, ist und wird immer herausragend, hoch spezialisiert und für den Zuschauer besonders mitreißend sein. Frame für Frame (wobei es in einem Spielfilm jeweils 24 Frames pro Sekunde gibt) verändern und manipulieren die Animations-Spezialisten auf subtilste Weise reale Objekte (Figuren, Ausstattung, Sets, etc.) auf einem Stage. Jedes Frame wird für die Kamera fotografiert. Wenn dann die Tausenden abfotografierten Frames hintereinander abgespielt werden, sind die Figuren und ihre Umwelt in fließenden und fortlaufenden Bewegungen animiert. Es ist handgemachte Filmmagie.

Die Figuren in „Coraline“ werden mithilfe einer einzigartigen Kunstform zum Leben erweckt. Ein Stop-Motion-Film ist mit einem Live-Action-Spielfilm vergleichbar, denn beide brauchen real existierende Sets, die aufgebaut und ausgestattet werden müssen, genau wie Darsteller, die man frisieren, einkleiden, ausleuchten und denen man Regieanweisungen geben muss.

Doch die gesamte Welt des Films entspringt der Vorstellungskraft, insbesondere der Vision der kreativen Köpfe der Animations-Fachleute, die diese Figuren für jedes einzelne Frame jeweils Millimeter für Millimeter in Bewegung setzen. In genau diesen Bewegungen entsteht die einmalige Qualität dieser Art des Filmemachens. Henry Selick meint: „Das Wunder von Stop-Motion, und gleichzeitig einer der Gründe, weshalb ich dieses Verfahren so magisch finde, liegt in dem, was man sieht, wenn eine Stop-Motion-Figur lebendig wird: Es ist eine echte Performance des Animations-Spezialisten durch die Figur. Sie müssen sich fortbewegen, ihre Markierungen einhalten und ihre Dialoge aufsagen, wie es auch ein lebendiger Schauspieler tun würde.“

Als allererstes Beispiel für Stop-Motion im Kino gilt der Kurzfilm „The Humpty Dumpty Circus“ von 1898, in dem die britischen Auswanderer Albert E. Smith und James Stuart Blackton dieses revolutionäre Verfahren als Pioniere einsetzten, um einen Spielzeugzirkus mit Spielzeugakrobaten zum Leben zu erwecken.

Europäische Animations-Fachleute waren die ersten, die Marionetten und andere leblose Objekte benutzten, um eine fortlaufende Geschichte zu erzählen; es war jedoch der gebürtige Kalifornier Willis Harold O’Brien, der diese Kunstform über Jahrzehnte hinweg verfeinerte. O’Briens Karriere umfasste Kurzfilme, den Spielfilm „Die vergessene Welt“ von 1925 und (in Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Marcel Delgado) dann den Originalspielfilm „King Kong“ (1933). Die Armaturen, die für letzteren entwickelt wurden, setzten einen neuen Standard, der noch heute gültig ist. Für seine Arbeit an „Mighty Joe Young – Panik um King Kong“ (1949) wurde O’Brien mit einem Oscar ausgezeichnet.

Einer der Auszubildenden von O’Brien bei letztgenanntem Film war Ray Harryhausen, der auf den Lehren seines Meisters aufbauen und dessen „Dynamation“-Technik ganze Generationen von Filmemachern inspirieren sollte, darunter auch Selick. Auf meisterliche Weise kombinierte Harryhausen Live-Action mit Stop-Motion-Animation, um menschliche Darsteller mit Kreaturen interagieren zu lassen, darunter in so fantastischen Filmen wie „Das Grauen aus der Tiefe“ (1953), „Die Bestie aus dem Weltenraum“ (1957), „Sindbads siebte Reise“ (1958) und „Jason und die Argonauten“ (1963).

Der ungarische Animations-Spezialist George Pal (György Pál Marczincsák) war Anfang der 1940er Jahre nach Hollywood gekommen, wo er eine Reihe von „Puppetoon“-Kurzfilmen für Paramount Pictures produzierte. Anders als die Technik von O’Brien und Harryhausen verwendete Pals Team die sogenannte „Replacement Animation“, die bis zu 9.000 einzelne, handgeschnitzte Holzpüppchen oder Einzelteile erforderte, die jeweils etwas anders gestaltet waren und dann ebenfalls Frame für Frame fotografiert wurden, um die Illusion der Bewegung zu erzeugen. Auch das ist Stop-Motion-Animation, allerdings mit anderen Mitteln.

Etliche von Pals Kurzfilmen wurden für einen Oscar nominiert; 1944 wurde Pal selbst mit einem Ehren-Oscar ausgezeichnet. Als Regisseur und Produzent setzte er auch weiterhin die Puppen-Animation ein, darunter in Spielfilmen wie „The Great Rupert“ (1950), „tom thumb“ (1958) und „Die wunderbare Welt der Gebrüder Grimm“ (1962).

Millionen von Kindern und Erwachsenen aus zwei Generationen kennen und lieben die Arbeit von Arthur Rankin Jr. und Jules Bass. Mit einem Puppen-Stop-Motion-Verfahren, das sie „Animagic“ tauften, bescherten Rankin und Bass dem Fernsehpublikum solche Feiertags-Klassiker wie „Rudolph the Red-Nosed Reindeer“ (1964) und „Santa Claus is Comin‘ to Town“ (1970). Bass führte Regie bei den Spielfilmen „The Daydreamer“ (1966) und „Frankensteins Mad Monster Party“ (1967), in denen das gleiche Verfahren eingesetzt wurde.

1982 realisierte Tim Burton, damals Conceptual Artist bei Disney, den Kurzfilm „Vincent“ gemeinsam mit Disney-Animationsfachmann Rick Heinrichs. Gedreht wurde in expressionistischem Schwarz-Weiß, die Stimme des Erzählers lieferte Vincent Price, und realisiert wurde der Film im Stop-Motion-Verfahren.

Ein Jahrzehnt später verwirklichte Burton mit einem handverlesenen Team von Künstlern und Fachleuten das Bahn brechende Stop-Motion-Musical „The Nightmare Before Christmas“, basierend auf seiner Original-Story und gewann Selick, seinen einstigen Studienkameraden bei CalArts und Kollegen bei Disney, für die Regiearbeit an diesem Spielfilm. Der Regisseur erinnert sich: „Es war ein sehr, sehr mühsames Projekt, doch wir wussten, dass daraus ein echt cooler Film werden würde. Mit „Nightmare“ haben wir Stop-Motion auf eine ganz neue Ebene gehoben, was Kamerabewegungen, Beleuchtung, Stimmung u.s.w. angeht.“

Ein weiteres Jahrzehnt danach strebte Selick mit „Coraline“ genau das Gleiche an, während er auch als Supervising Director der Filmentwicklung dem Animations-Studio LAIKA, Inc. mit Hauptsitz in Oregon beitrat. LAIKA ist in Portland ansässig; seit 2003 ist Philip H. Knight, Mitbegründer und CEO von Nike, Vorstandsvorsitzender des Studios. Die Werbeabteilung des Unternehmens heißt LAIKA/house. Derzeit hat das Animations-Studio 550 Mitarbeiter und ist spezialisiert auf die Produktion von Spielfilmen, Werbespots, Musikvideos und anderen Medien; eingesetzt wird eine große Bandbreite von Techniken, u.a. computergenerierte Effekte mit zusätzlicher Stop-Motion, normale 2-D ebenso wie 3-D. Tatsächlich war Selicks erstes Projekt bei LAIKA der achtminütige computergenerierte Streifen „Moongirl“ (2005), dessen Ursprung in einem Kurzfilm-Ideenwettbewerb des Studios lag. CG-Modellist und Komponist Michael Bergers Idee wurde ausgewählt und Selick mit der Regie beauftragt. Indem er die andere Seite des „Coraline“-Verfahrens auslotete, adaptierte Selick jene Story als Kinderbuch für Candlewick Press, mit Illustrationen von Peter Chan und Courtney Booker, zwei der Key Artists, die am Kurzfilm mitgewirkt hatten. LAIKA beteiligte sich ebenfalls am Oscar-nominierten Stop-Motion-Spielfilm „Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche“ (2005) unter der Regie von Mike Johnson und Tim Burton, der in Großbritannien realisiert wurde.

Bei „Coraline“ sollte das Stop-Motion-Verfahren wie nie zuvor betrieben werden, sodass die Geschichte „durch Henrys Welt gesehen werden kann“, erklärt Neil Gaiman. „Ich war so glücklich, als er zum ersten Mal ‚Action!‘ rief, und ich wusste, es würde großen Spaß machen. Er war der Künstler, der mit seiner Vision und seinem Humor etwas ganz Besonderes hervorbringen würde – das auch noch extrem coole Sachen enthält.“

Produktion: Mit den Stimmtalenten von…

Die Darstellung einer Animationsfigur beinhaltet verschiedene Elemente; eines davon ist die Stimme. Anders als man gemeinhin glaubt, waren die Stimmen in „Coraline“ nur der Beginn der jeweiligen Figuren.

Henry Selick erklärt: „Zuerst nehmen wir die Stimmen auf, später liest dann jemand den Text, damit wir wissen, welche Stellung der Mund jeweils einnehmen muss. Zuletzt verbinden die Animations-Spezialisten die Mundbewegungen der Stop-Motion-Puppen mit den Texten, die von den Schauspielern bereits aufgezeichnet wurden. Das ist für die Schauspieler oft eine große Herausforderung, denn sie haben ja keine Sets oder Kostüme. Auch haben sie ihre Figuren noch nie in Action gesehen, außer wenn es Test-Filmmaterial gab. Also liefern sie reine Stimm-Kunst, und sie müssen etliche verschiedene Versionen aufzeichnen, falls wir Filmemacher eventuell unsere Meinung darüber ändern, was für eine bestimmte Szene nötig ist.“

Der Regisseur erläutert: „Die Performance, die der Animations-Spezialist der Figur verleiht, wird von diesen Originalstimmen ausgelöst.“ Genau wie es die Filmemacher auch bei einem Live-Action-Film tun würden, begannen Selick und Mechanic mit einem Brainstorming für das Casting. Besonders wichtig war es, zuerst Coraline zu besetzen, das Mädchen, von dem Selick bewundernd sagt, dass „sie sich von niemandem aufhalten lässt“. Dakota Fanning, die damals genauso alt wie Coraline war und dennoch schon über große Filmerfahrung verfügte, bekam die Rolle angeboten und sagte zu.

Dakota Fanning sagt: „Alle Kinder wünschen sich irgendwann etwas völlig anderes als das, was sie haben. Coraline muss auch erst lernen die Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind, und sich nicht zu wünschen, sie wären anders – egal ob es ihre Eltern, Wybie oder ihre neuen Nachbarn sind. Man hat Angst um Coraline und will, dass sie sicher nach Hause zurückkehrt; man vertraut darauf, dass sie es schaffen wird. Sie hat mich an Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ und an Alice in „Alice im Wunderland“ erinnert. In dieser Geschichte gibt es Erschreckendes, aber auch viel Lustiges und wunderbare Phantasie. „Coraline“ ist ein toller Film, für Kinder und für Erwachsene. Coraline sucht immer nach neuen Abenteuern, und sie sammelt Dinge, denen die meisten Menschen nicht die geringste Beachtung schenken würden. Aber genau das sind Coralines Schätze.“

Während Fanning ihre Dialoge für „Coraline“ aufzeichnete, wurden ihre Sessions außerdem digital mitgefilmt. Die Schauspielerin erklärt: „Sie haben mich auf Video gefilmt und gewisse Dinge, die ich dabei tat – eine Bewegung oder einen Gesichtsausdruck – dann für Coralines Figur benutzt.“ In diesem Sinne kann die Stimme die gesamte Arbeit der Bildhauer und Animations-Spezialisten beeinflussen. Fanning fährt fort: „Wenn man einer Animationsfigur die Stimme leiht, kann man weder mit dem Körper noch mit der Mimik arbeiten – also muss man im Tonstudio wirklich alles geben, um mit der Stimme alles vermitteln zu können. Man fragt sich: ‚Mache ich das auch richtig?‘ Henry ist dabei sehr akkurat und auch sehr geduldig. Sehr hilfreich war, dass sie für die ersten Aufnahmen große Fotos von einigen Sets und alle Modell-Figuren mitbrachten. Henry hatte mir auch Bilder von dem Haus gezeigt.“

Fanning hatte ihre Figur von Anfang an im Griff. Sie berichtet: „Der Trick für die Stimme lag darin, ängstlich und clever zugleich zu sein. Coraline hat sehr große Angst, aber sie begreift, dass sie sich zusammennehmen muss und nicht von der Furcht beherrschen lassen darf. Da sie in der anderen Welt die einzige Person ist, die keine Knöpfe an Stelle der Augen hat, versteht sie, dass die Leute dort keine Menschen mehr sind und keine Seele mehr haben. So wird ihr klar, dass sie einen Plan schmieden muss, um aus der anderen Welt zu entkommen; mit ein wenig Hilfe von Wybie und der Katze gelingt ihr das dann auch. Es ist wichtig, das den Kindern auch zu zeigen.“

Neil Gaiman meint bewundernd: „Dakota vermittelt exakt den Charakter des Mädchens und hat sich auch den richtigen Akzent zugelegt. Man hört sie sprechen und denkt: ‚Das ist Coraline!’“ Und Selick fügt noch hinzu: „Dakota ist eine begabte Schauspielerin, die der Figur von Coraline viel emotionale Tiefe verleiht“. Sie versteht die Figur voll und ganz und macht sie glaubwürdig.“ Und Fanning gesteht: „Caroline ist eher ein kleiner Rabauke; ich bin schon etwas mädchenhafter als sie. Aber ihre Kleidung würde ich auch sofort anziehen!“

Die Schlüsselbeziehung des Film besteht zwischen Coraline und ihrer Mutter – oder genauer gesagt, zwischen Coraline und ihren Müttern: ihre richtige Mutter und ihre andere Mutter. Selick erklärt dazu: „Ihre echte Mutter, Mel, ist eine begabte Schriftstellerin und der Kopf der Familie. Zu Beginn der Geschichte ist sie total im Stress und tut erst gar nicht so, als würde sie sich um jede Kleinigkeit kümmern, die Coraline in ihrem neuen Leben gerade braucht oder möchte. Trotzdem weiß Mel genau, was wichtig ist: die Familie zusammenzuhalten, was eine richtige Mutter gut kann. Coralines echte Mutter hat also gerade nicht viel Zeit für sie und Coraline entdeckt die andere Mutter. Diese Frau sieht fast genauso aus wie ihre echte Mutter, nur etwas hübscher. Bei ihr bekommt Coraline wunderbare Mahlzeiten, einen Zaubergarten und – scheinbar – eine Mutter, die sich intensiv um sie kümmert.“

Die Filmemacher machten sich auf die Suche nach einer Schauspielerin, die beide Mutterrollen übernehmen könnte. Selick offenbart: „Wir hatten Dakota als Hauptdarstellerin engagiert, und daraufhin habe ich etwa 70 Stimmen für die Mutter getestet. Teri Hatcher stand sofort ganz oben auf der Liste; sie hat diese warmherzige, wunderschöne Stimmlage.“

Hatcher interessierte sich auf Anhieb für das Projekt: „Als Mutter weiß ich selbst, wie schwierig es ist, qualitativ gute Familienfilme zu finden – und „Coraline“ ist genau so einer.“ In ihrer ersten Animations-Stimmrolle muss die preisgekrönte Schauspielerin gleich zweifach bestehen: als müde echte Mutter und als fröhlich-fürsorgliche andere Mutter. Hatcher fügt jedoch hinzu: „Eigentlich sind es drei verschiedene Stimmen, für die drei unterschiedlichen Versionen von Coralines Mutter. In der echten Welt ist Coralines Mum gerade umgezogen, es regnet, überall ist Schlamm – und nichts klappt für sie und ihre Familie. Während der ersten Aufzeichnung wollte Henry, dass sie zu Coraline ‚Halt den Mund!‘ sagt. Das fiel mir sehr schwer, denn zu meiner Tochter habe ich das niemals gesagt. Ich glaube aber, dass sich viele Mütter damit identifizieren können, denn sie ist ein guter Mensch und liebt ihr Kind.“

Hatcher fährt fort: „Die zweite Stimme gehört der anderen Mutter. Sie ist die absolut surrealste, perfekteste Mutter, die man sich träumen kann, und kennt auf jede Frage eine Antwort. Coraline beginnt zu glauben, diese andere Mutter sei besser als ihre ‚alte‘ Mutter. Und schließlich spiele ich noch das, was ich die ‚Böse Mutter‘ nenne, nämlich die andere Mutter, wie sie wirklich ist. Ab dem Moment, an dem sie nicht bekommt was sie will, verwandelt sie sich in ein Monster. Eigentlich ist sie eine böse Macht, die seit vielen Jahren ihr Unwesen treibt und sich von den Seelen unschuldiger Kinder ernährt. Für diese Stimme musste ich mich von allem freimachen und richtig ins Mikrophon schreien!“

Selick fügt hinzu: „Wenn sich Teri zurücknahm und extrem ruhig wurde, war das für uns sogar noch erschreckender. Sie liebt Herausforderungen. Als Coralines Mutter muss sie tough sein, damit wir verstehen, warum sich das Mädchen vor ihr zurückzieht. Als andere Mutter ist Teri so warmherzig und einladend, dass man sie einfach lieb haben will.“ Was die dritte Stimme angeht, meint Gaiman: „Sie schafft den Übergang von der total süßen anderen Mutter hin zum grausig Furcht erregenden Monster wirklich wunderbar!“

Hatcher berichtet über den Regisseur: „Er hat mich unterstützt; er nimmt sich wirklich die Zeit, einem die subtilen Zwischentöne zu erklären, nach denen er strebt. Dann gibt er einem aber auch den Freiraum, etwas ganz anderes auszuprobieren. Er sagt vielleicht: ‚Das war toll, das hatte ich nicht erwartet.‘ Man kann immer genau sehen, mit welcher Leidenschaft Henry an diesem Projekt arbeitet. Im Laufe der Arbeit an diesem Projekt wurde ich immer selbstbewusster, konnte mehr Humor oder Sarkasmus oder Bösartigkeit zulassen. Besonders beeindruckt hat mich, als ich die Aufnahmen sah, wie die Animations-Spezialisten deine Stimme benutzen, jede noch so kleine Intonation aufgreifen und die Figuren zum Leben erwecken. Das ist künstlerisches Genie.“

Hatcher und Fanning konnten die Crew unmittelbar bei der Arbeit beobachten; obwohl sie ihre Rollen getrennt voneinander mit Selick in Los Angeles aufzeichneten, besuchten beide auch die LAIKA Studios mit ihren Familien, um aus erster Hand mitzuerleben, wie der kreative Prozess abläuft.

Fanning meint: „Ich bin ein großer Fan von Teri - „Desperate Housewives“ ist meine Lieblings-Serie – und ich wünschte, wir hätten zusammenarbeiten können. Ich habe sie einmal getroffen, und hoffentlich sehen wir uns auf der Premiere zu „Coraline“ wieder.“ Hatcher gibt das Kompliment zurück und lobt Fannings Stimmtalent: „Sie ist wunderbar; es ist erstaunlich, was sie aus den Worten gemacht hat, genauso wie aus den Atemzügen dazwischen.“

Obwohl die Hauptdarstellerinnen – wie in Animationsfilmen üblich – ihre Texte also nicht gleichzeitig aufzeichneten, taten das zwei andere Darstellerinnen jedoch schon: Dawn French und Jennifer Saunders sind seit drei Jahrzehnten ein renommiertes britisches Autoren- und Schauspiel-Duo und sprachen die Originalstimmen von Miss Forcible und Miss Spink. Dazu Selick: „Diese Damen sind Coralines neue Nachbarinnen in der unteren Etage; eigentlich leben sie aber in einer Fantasiewelt ihrer Vergangenheit und glauben, sie seien große Schauspielerinnen gewesen, wobei sie wahrscheinlich bloß Music-Hall-Queens waren. Sie sind freundlich zu Coraline, auch wenn Miss Forcible stets sehr dramatisch ist.“

Als die Filmemacher die Casting-Optionen für das Duo besprachen, machte Gaiman seinen „einzigen großen Besetzungsvorschlag mit French und Saunders. Dawn hatte das englische Hörbuch zu „Coraline“ eingesprochen und einen tollen Job gemacht.“ Selick sprach auf diesen Vorschlag an und reiste nach London, um die Stimmen aufzuzeichnen. Er erinnert sich: „Einen ganzen Tag sprach Dawn die Rolle von Miss Spink und Jennifer die von Miss Forcible. Am Ende des Tages war alles gut, aber eben nicht großartig. Also habe ich ihre Rollen getauscht. Viele Schauspieler hätten die Aufzeichnung da abgebrochen, aber Dawn und Jennifer machten eine Pause, nickten und meinten, sie würden es versuchen. Sie schlüpften in die jeweils andere Rolle und von da an lief es großartig.“

Saunders meint: „Nun, wir sind eben auf eigenartige Weise austauschbar.“

French fügt hinzu: „Ja, oft verkörpern wir das andere Extrem ein und derselben Person… Ich denke, viel von der Stimmarbeit für eine Rolle dreht sich um Vertrauen: Vertrauen in den Regisseur, Vertrauen in den Autor, Vertrauen in den anderen Schauspieler zu haben und offen zu sein für Vorschläge sowie dafür, etwas anderes auszuprobieren.“

Saunders meint: „Die Zusammenarbeit mit Henry war wunderbar. Er vermittelt einem viel Selbstvertrauen. Man meint ja immer, es sei etwas pedantisch, einen Satz wieder und wieder zu wiederholen, aber dabei entdeckt man dann so viel mehr über die jeweilige Figur. Wenn Dawn und ich zusammenarbeiten, neigen wir dazu, das zu benutzen, was sich in unseren natürlichen Rhythmus einfügt. Bei „Coraline“ haben wir ein ganz anderes Tempo und unterschiedliche Lautstärken ausprobiert. Miss Spink und Miss Forcible meckern gerne aneinander herum, so wie es bei älteren Menschen oft der Fall ist. Die eine sagt etwas, und die andere muss einfach dagegen sein. In etwa so wie es bei „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ der Fall ist.“

French stimmt zu: „Sie versuchen sich gegenseitig zu übertreffen, sogar in ihrem Song; es muss immer eine Oktave höher gehen um zu beweisen, dass man besser ist als die andere. Ich glaube, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene gut auf diese beiden exzentrischen Figuren ansprechen werden. Eine Sequenz spielt im Theater (in der Parallel-Welt) und ist wirklich ganz fantastisch.“

Einzigartig war auch die Besetzung der Rolle von Coralines Nachbarn im oberen Stockwerk. Im Film ist „Mr. Bobinsky ein über zwei Meter großer, blauer russischer Riese“, erklärt Selick. „Er hat immer rohe Rüben in seinen Taschen, um sich gesund zu ernähren, und behauptet, einen Springmäuse-Zirkus zu besitzen.“

Für diese eindrucksvolle Rolle war im Original die Stimme des fast ebenso großen, aber nicht blauen Briten Ian McShane gefragt. „Ich denke, Henry hat mich wahrscheinlich in „The West Wing“ gesehen und gehört“, lacht der Schauspieler, indem er auf seinen Auftritt als russischer Unterhändler in der beliebten Serie anspielt. „Ich habe aber immer große Freude daran, mir einen fremden Akzent zuzulegen, genauso wie an Stimmrollen; man wird eins mit dem Regisseur und seiner Vision und arbeitet gemeinsam, um etwas zu erschaffen. Henrys Filme sind außergewöhnlich; ich habe sie mit meinen Enkeln angeschaut. Sie sind fabelhaft kindgerecht und gleichzeitig beängstigend! Das Thema von „Coraline lautet: Zuhause ist es immer noch am Besten!“

Selick begeistert sich: „Ians Stimme ist wie ein endlos tiefer Brunnen. Durch ihn wird Mr. Bobinsky abwechselnd aufdringlich, komisch, traurig, abwesend und – in der anderen Welt – sogar etwas schurkenhaft.“

Zurück in den vier (oder acht) Wänden der Jones, „wird Coralines Vater Charlie im Original von John Hodgman gesprochen“, sagt Selick. „Ich hatte ihn in der „The Daily Show“ gesehen und für die Rolle der Väter gleich an ihn gedacht. Zusammen mit den Stimmen von Dakota und Teri klang seine wie die perfekte Besetzung.“ Kurz darauf gab Gaiman in New York City eine Lesung, bei der Hodgman sein Interviewer war. Zu seiner Überraschung, erinnert sich der Autor, sagte John: „Ach, übrigens, ich werde in der Verfilmung mitwirken…“

„Coralines Dad ist chaotisch und liebevoll. Er tut die Dinge, die Väter eben tun, wenn sie ihre Kinder in Verlegenheit bringen, dabei aber glauben, besonders cool zu sein. Doch die Kinder wollen sie am liebsten gar nicht in der Nähe haben. John hat das genau getroffen und dafür liebt man ihn und wünscht sich zugleich, er würde damit aufhören…“

„Mit Johns toller Performance und Improvisationsfähigkeiten entsteht ein lustiger und mitfühlender Vater“, fügt Selick hinzu. „Während es die Mutter schon schwerer hat, macht der Vater schlechte Witze und hat auch einen selbstgedichteten Song, den er Coraline seit ihrer Kindheit vorgesungen hat. Er singt das Lied mit viel Liebe, hat aber eine schreckliche Singstimme; er kocht auch mit Liebe, aber seine Gerichte schmecken ebenfalls furchtbar.“

„In der Parallel-Welt ist der andere Vater ein cooler Typ, genau so, wie sich Coraline ihren echten Vater wünscht. Die Regieanweisung für John lautete hier: ‚Sei einfach Dean Martin.‘ Ich wusste zwar, dass er niemals wie Dean Martin klingen würde, aber schon nahe herankam. Er klang dann eher wie Bing Crosby – aber es funktionierte.“

In der anderen Welt trifft Coraline außerdem auf eine schwarze Katze, der sie erst vor kurzem auch in der realen Welt begegnet war. Das geheimnisvolle und oft wilde Tier hat die Fähigkeit, zwischen beiden Welten hin und her zu wandern – kann aber nur in einer der Welten auch sprechen. Selick offenbart, dass „die Katze eigentlich Coralines widerwilliger Schutzengel ist, denn anders als all die „anderen“ Figuren trägt die Katze keine Knopfaugen. Tatsächlich ist es dieselbe Katze, die in der anderen Welt eben auch sprechen kann. Die Katze bewegt sich nach Gutdünken in beiden Welten, denn fast überall gibt es für eine Katze eine Schlupfwinkel hinein und hinaus.“ Der kluge Stubentiger wird im Original vom Emmy-preisgekrönten Schauspieler Keith David gesprochen.

Coralines neue Bekanntschaft mit Wybie Lovat wurde von Selick für die Filmversion neu erfunden. Er erklärt: „Coraline macht sich ständig Gedanken und ich brauchte eine Figur, mit der sie ihre Gedanken teilen und die auch mehr Konflikte erzeugen kann. Wybie wohnt im Ort, ist ziemlich clever, aber auch einsam. Er hat sich selbst ein elektrisches Fahrrad gebaut, mit dem er im nahe gelegenen Wald auf Entdeckungstour geht. Wybies Großmutter – die ebenfalls nicht im Buch vorkam – ist die Eigentümerin des Hauses, in das Coraline mit ihrer Familie gerade eingezogen ist. Wybie hat eine Ahnung von den Geheimnissen in diesem Haus, aber er weiß nicht wirklich etwas. Als er dann die Wahrheit entdeckt, erweist er sich als wahrer Freund von Coraline.“

Maddy Gaiman über den Schauspieler und die Rolle: „Wybie ist eine gute Ergänzung zur Geschichte; wenn es darauf ankommt, steht er Coraline treu zur Seite!“

Produktion: Zwei Welten, ein Studio

Kein Projekt im zeitgenössischen Animationsfilm ist so einzigartig und innovativ wie „Coraline“: es ist die größte jemals realisierte Stop-Motion-Produktion und die erste, die in stereoskopischem 3-D gedreht wurde.

Um diesen Film bei LAIKA zu verwirklichen, arbeitete Henry Selick „mit einer unglaublichen Crew, von denen ich viele schon seit über 20 Jahren kenne“. Über 20 Personen zogen aus anderen Teilen des Landes und sogar aus dem Ausland nach Portland. Lead Animator Travis Knight meint: „LAIKA hat seine Wurzeln im Stop-Motion-Verfahren, aber wir arbeiten an einer breiten Projektpalette; was aber wohl alle gemeinsam haben ist eine einzigartige, sehr kreative Stimme. Hinter jedem Film, den wir drehen, muss jemand mit einer kraftvollen Vision stehen, genau wie Henry es tut.“

„Filmemachen ist aber natürlich Teamarbeit. In unserem Fall sind alle Mitarbeiter von LAIKA involviert, jeder trägt etwas zu diesen mitreißenden Geschichten bei – und dabei eröffnen sich durch mutiges und innovatives Design wiederum ganz neue Horizonte dafür, was Animation sein kann.“

„Nachdem ich über mehr als sieben Jahre hinweg mit diesem Projekt gelebt habe, kenne ich es in- und auswendig“, sagt Selick. „Richtig aufregend war es, die Bilder vor meinen Augen lebendig werden zu sehen, mit all den Beiträgen der anderen Mitarbeiter. Die LAIKA-Familie stand eng zusammen, um sich auf diesen Film zu konzentrieren.“

Neil Gaiman meint: „Ich hoffe, dass jetzt und in Zukunft Menschen mein Buch lesen, die noch nicht einmal auf der Welt waren, als ich es schrieb. Genauso sind bei LAIKA Menschen beteiligt, die Filme machen wollen, die alle Zeiten überdauern. Deshalb hatte ich stets großes Vertrauen in Henry und die Mitarbeiter von LAIKA.“

„Doch erst als ich die Sets vor Ort in Oregon besuchte, verstand ich, dass absolut alles, was man im Film sieht, nachdem es entworfen und genehmigt war, auch erst wirklich erschaffen werden musste. Jeder Grashalm musste aus Kunstpelz hergestellt und bemalt werden.“

Da also jedes noch so kleine Element in jedem Frame für „Coraline“ von Hand hergestellt werden musste, brauchte man eine ganze Woche Arbeit, um 74 Sekunden Filmbilder zu erzeugen. Dennoch, stellt Selick klar, „erfordert jeder Animationsfilm eine lange Produktionszeit. Im Stop-Motion-Verfahren braucht man auch nicht länger als bei computergenerierten Animationen.“

„Nachdem wir mit den Sets, der Ausstattung, den Figuren und der Kamera schon Tests durchgeführt haben, bekommen wir eine hohe Erfolgsrate, wenn die Kameras erst einmal laufen. Anders als bei Live-Action-Filmen, bei denen man zu drehen beginnt und Szenen aus verschiedenen Winkeln einfangen muss, drehen wir ausschließlich die Einstellungen, die auf jeden Fall perfekt ineinander greifen.“

Genau wie bei einem Live-Action-Film war auch der Drehplan zu „Coraline“ in einzelne Sequenzen unterteilt, die normalerweise gemäß der Locations gestaffelt waren. „Mit Miniaturen der Figuren, der Ausstattung und der Sets wurden die beiden Welten von „Coraline“ zum Leben erweckt“, sagt Selick. „Alles musste im Vorhinein erdacht werden. Jedes Detail war vorab entworfen und genehmigt worden.“

Einer der ersten Mitarbeiter, die engagiert wurden, war Character Fabrication Supervisor Georgina Hayns, die schon bei „Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche“ als Leiterin der Armature mitgewirkt hatte und für „Coraline“ aus England nach Portland zog. Sie meint: „Es ist inspirierend, inmitten einer schöner Landschaft zu leben und kreativ zu sein. LAIKA bietet das, und auch die Möglichkeit, in einem familiären Umfeld zu experimentieren.“

In ihrer Funktion leitet sie in der Tat eine Abteilung von zentraler Bedeutung mit über 70 Mitarbeitern; sie sagt: „Ich kümmere mich um die Besetzung! Es ist eine solche Freude, sie durch die Arbeit der Animations-Spezialisten lebendig werden zu sehen. Der Unterschied zwischen unseren Figuren und einer normalen Puppe liegt darin, dass sich im Inneren der Figur so viel mehr abspielt, und dass eine Puppe nicht in einem Stop-Motion-Film mitspielen kann, genauso wenig wie es eine Handpuppe oder Marionette könnte.“

Um auch nur eine der Figuren für „Coraline“ körperlich entstehen zu lassen, mussten zehn Personen fast vier Monate lang arbeiten. Hayns erläutert: „All unsere Figuren bestehen aus Silikon und Schaumlatex und Kunstharz; innen sind sie aus Metall. Anders als bei Marionetten, mit denen man alles in Echtzeit dreht, müssen Stop-Motion-Figuren viel ertragen und lange Zeit haltbar bleiben. Die Dreharbeiten zu „Coraline“ dauerten 18 Monate, nachdem wir schon zwei Jahre an der Vorproduktion gearbeitet hatten. Wir arbeiten bei allen Details, die auf der Leinwand zu sehen sein werden, sehr eng mit dem Regisseur zusammen, und ich betätige mich an jeder Farbe und jedem Haarteil, das eine der Figuren trägt.“

Hayns fährt fort: „Zunächst entwerfen die Concept Artists den Look der jeweiligen Figur. Wenn der abgesegnet ist, überträgt ein Bildhauer diese zweidimensionale Illustration auf ein dreidimensionales Objekt. Der Regisseur muss mit uns die Performance besprechen, die er von der jeweiligen Figur erwartet. Dann ist es Zeit, die Figur körperlich entstehen zu lassen. Es gibt unterschiedliche Arten der Mimik-Animation und man muss entscheiden, ob eine der Figuren einen Ersatz für den Kopf oder das Gesicht, oder aber einen zusätzlichen mechanischen Kopf oder Gesichts-Aufsatz bekommen muss.“

„Bei „Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche“ gab es mechanische Köpfe und Gesichter. Bei „Coraline“ sind wir noch einen erheblichen Schritt weiter gegangen, was die Ersatz-Stücke angeht. Die Figuren haben sehr ausdrucksstarke Gesichter. Es ist alles viel ausgefeilter und die oberen und unteren Gesichtshälften sind sehr viel beweglicher und werden von Magneten gehalten. Es gibt dennoch auch hier Figuren mit mechanischen Gesichtern – der Vater, der andere Vater und Miss Spink -, denn das passt zu ihren Rollen.“

Selick meint: „Auch mechanische Gesichter können sehr subtile Ausdrücke vermitteln, doch die Ersatz-Gesichter machen ein viel breiteres Repertoire möglich.“ Hayns fügt hinzu: „Es ist wie ein kleines Schweizer Uhrwerk im Kopf der Figur; der Animations-Spezialist manipuliert jeden Gesichtsausdruck. Die Augenbrauen, das Kinn, die Lippen – alles ist regulierbar. Kleine Gelenke bewegen sowohl die mechanischen als auch die Ersatz-Köpfe und Gesichter.“

Nach der Entscheidung für einen bestimmten Stil der Gesichts-Animation, so Hayns, „muss man den Körper der Figur unterteilen und festlegen, welche Materialien jeweils geeignet sind. Der Bildhauer muss die Ähnlichkeit berücksichtigen, die Einzelteile in Knetmasse modellieren und zerlegen. Dann fertigt ein Modell-Bauer die Gussformen für all die Einzelteile. Wir haben ein Casting-Team, das die Materialien auswählt, aus denen jede Figur bestehen wird und ein Armaturen-Team, das die Metall-Skelette baut.“

„Eine Stop-Motion-Figur muss ein Gerüst haben, das sie aufrecht hält, damit der menschliche Animations-Spezialist diese Figur dann manipulieren und bewegen kann. Dieses Gerüst besteht in der Regel aus Metall; es ist Draht oder eine Armatur, die einem menschlichen Skelett durchaus ähnelt. Die Hauptdarstellerin Coraline ist so gefertigt. Alle inneren Elemente müssen natürlich in die äußere Erscheinungsform passen und werden nach Bedarf befestigt.“

Hayns merkt noch an, dass „unsere Maler wie Make-Up-Artisten sind: sie arbeiten buchstäblich an tausenden von Ersatz-Gesichtern. Einer macht zum Beispiel alle Lippen für die andere Mutter im letzten Teil des Films, ein anderer ist für ihre Augenbrauen verantwortlich, u.s.w.“

Lead Painter Cynthia Star fand, dass Miss Forcible mit ihren Ersatzgesichtern „die schwierigste Figur von allen war. Ihr Gesicht trägt viel Puder, denn Henry wollte sie fahl aussehen lassen. Wir haben sie erst hautfarben bemalt, dann Highlights gesetzt, dann mit gelbstichigem Rouge geschminkt und schließlich Lowlights für die Tränensäcke unter den Augen hinzugefügt.“

Für Hauptdarstellerin Coraline selbst wurden insgesamt 28 verschiedene, jeweils knapp 25 Zentimeter große Figuren erschaffen. Sie trägt neun unterschiedliche Kostüme – und genau wie für jeden Hauptdarsteller mussten davon jeweils auch Duplikate bereitliegen. Da die Animations-Spezialisten die Figuren zig Mal berühren, brauchte man von jedem Kostüm mindestens sechs identische Kopien. Zerbrechliche Körperteile wie z.B. die Hände von Mr. Bobinsky – „Hände sind, trotz der Drähte, die wir einarbeiten, immer die ersten Teile, die bei einer Figur kaputtgehen“, so Hayns – mussten ebenfalls stets bereitgehalten und sehr oft ausgetauscht werden.

Doch der Schein trügt: Mr. Bobinskys noch viel zerbrechlicher aussehende Arme wurden von soliden Gerüsten gestützt, und der fließende Mantel, den er in der Parallel-Welt trägt, hat intern Drähte, damit er sich auf der Leinwand aufblähen kann.

Für Coraline selbst berichtet Hayns: „Gemeinsam mit Henry und unserer Lead Costume Design Fabricator Deborah Cook habe ich den Look der Garderobe entworfen, nachdem wir uns zunächst einen Überblick verschafft hatten, was Mädchen ihres Alters heutzutage so tragen. Unsere Teams sind nach Los Angeles, San Francisco und London gereist, um die richtigen Stoffe zusammenzutragen.“

Cook erklärt: „Wir begannen mit Bildern von normalen Kleidungsstücken, um festzulegen, wie die Garderobe aussehen sollte. Dann haben wir mit diesen Stoffen recherchiert und Farb- sowie Textur-Tests gemacht. Manche Stoffe hatten z.B. bestimmte Muster oder Gewebe, die gut passen würden – abgesehen von der Tatsache, dass sie für Close-Ups nicht geeignet waren. Trotzdem wurde nichts verworfen.“

Hayns fügt hinzu: „Deborahs Abteilung musste die Stoffe festlegen. Unsere Coraline-Figur ist ja nur knapp 25 Zentimeter groß; wenn man also eine Nahaufnahme von ihr macht, muss man sichergehen, dass das Stoffgewebe ihrer Kleidung von der Proportion her richtig passt – auch auf der großen 3-D-Leinwand.“

Manche Stoffe erwiesen sich als sehr geeignet; antike viktorianische Handschuhe boten das beste – und dünnste – Leder, aus dem man die Schuhe mancher Figuren und auch Mr. Bobinskys Stiefel fertigen konnte. Obwohl es keine riesigen blauen Russen gab, an denen man sich für Mr. Bobinsky orientieren konnte, meint Cook: „Wir ließen aber sehr wohl jemanden von vergleichbarer Größe neben einem elfjährigen Mädchen in einem Regenmantel herumlaufen um zu sehen, wie sich das Kleidungsstück bewegte, da es von zentraler Bedeutung ist.“

Die Produktions-Maler arbeiteten an den Kostümen von Cooks Team, um diese jeweils „altern“ zu lassen oder Details wie Schnee (aus Schnellkleber und Backpulver) auf die Stoffe aufzubringen. Der Kapuzen-Regenmantel, aus Stoff und Silikon gemacht und mit einem Drahtgestell unterfüttert, konnte auch den Strapazen der Produktion widerstehen; doch anders als z.B. der Trenchcoat von Peter Falk alias Columbo, musste Coralines Regenmantel in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden. Handgemachte Abnutzungserscheinungen waren sicherer als den Dingen ihren Lauf zu lassen.

Cooks Abteilung ist mit hochmodernen Nähmaschinen ausgestattet und von Entwurfszeichnungen umgeben. Genau wie die anderen Abteilungen orientierten sich auch die Kostümbildner an echten Personen, um die Stop-Motion-Figuren auszustatten. Teri Hatcher war für die Rolle der Mutter nahe liegend; Wybies Großmutter soll an eine Jazz-Berühmtheit erinnern.

Für diese Phase des Verfahrens wurde die Lead- oder „Kontroll“-Figur von Coraline und allen anderen Rollen ebenfalls als Modell in Originalgröße erschaffen – Knetmasse-Figuren, die jedoch nicht beweglich sind und sich überall in den Räumlichkeiten von LAIKA finden. Diese Modell-Figuren dienen den Künstlern zur Orientierung für die Ausgestaltung des Charakters und des Looks. „Sie sind Stil- und Größenmuster“, sagt Hayns. „Sie lösen einige Probleme vorab und geben uns einen realen Eindruck von der Figur, noch bevor es diese tatsächlich gibt.“

Eine weitere Herausforderung lag für die Filmemacher in den Haartrachten der Figuren. Selick wollte in „Coraline“ – zum ersten Mal in einem Stop-Motion-Film – nicht die sonst üblichen Standard-Haarteile, sondern die Figuren so aussehen lassen, als hätten sie tatsächlich Naturhaar. Also experimentierte man mit unterschiedlichen Typen von Echthaar, Tierhaaren und sogar Lametta. Hayns berichtet: „Man stellt fest, dass menschliches Haar zu porös ist und nicht fest sitzt. Lead Hair und Fur Fabricator Suzanne Moulton kam auf die Idee, synthetisches Haar – eigentlich Mohair – zu verwenden, in das wir dünne Drähte einwebten. Außerdem mussten wir verschiedene Stunt-Perücken für Coralines Action-Szenen herstellen.“

Moulton fügt hinzu: „Lametta hat funktioniert, und mit Haargel und Kleber auch gut gehalten. Coralines Haare werden am Set oft bearbeitet, also brauchten wir Ersatz-Perücken. Zur Reinigung benutzen wir einen Tropfen Alkohol und sehr sanfte Hände.“ Der größte Stolz ihrer Abteilung ist wahrscheinlich die Einstellung, in der sich Coraline hinunter beugt und unter ein Bett schaut: Für diese kurze Szene wurde eine eigene, besondere Perücke hergestellt.

Hayns sagt: „Mittlerweile mussten die Silikon-Modellbauer gewährleisten, dass keine Nahtstellen auf den Oberflächen der Figuren zu sehen sind. Während des Drehs stehen immer Mitarbeiter parat, um Figuren zu reparieren, bei denen das Silikon reißt. Mit Lupen gehen sie wie ein Make-Up-Artist an die Arbeit. Und noch ein Fachgeheimnis: Ein Augenbrauen-Rasierer funktioniert toll bei den Frisuren.“ Cook fügt hinzu: „In der Kostümabteilung haben wir auch chirurgische Präzisions-Instrumente und Spritzen eingesetzt!“

Das geballte Talent der unterschiedlichen Abteilungen wurde über 52 Arbeitsphasen hinweg bei LAIKA eingesetzt. Obwohl die Ausmaße der Studios kleiner sind als übliche Sound-Stages in einem Filmstudio, ist die Arbeit auf dem Höhepunkt der Produktion mindestens genauso intensiv. Über 130 Sets wurden von Hand errichtet, um die verschiedenen Schauplätze der beiden Welten dieser Geschichte darzustellen.

Manche der Sets befanden sich am gleichen Ort in zwei unterschiedlichen Modalitäten, in zwei unterschiedlichen LAIKA-Stages, da sie sowohl in der realen als auch in der Parallel-Welt existieren: z.B. die Küche der Familie Jones, die für Coralines Besuch in der anderen Welt nicht umgebaut wurde – stattdessen koexistierten die beiden Küchen-Sets, genauso wie die beiden Welten in der Story.

Chef-Kameramann Peter Kozachik erklärt: „Visuell wird die Geschichte stets von einem starken Déjà-Vu-Gefühl durchzogen; man denkt: ‚Diesen Raum habe ich schon gesehen, aber ich bin noch nicht dort gewesen.‘ Die Merkmale beider Sets – die Innenräume, die Tapeten, der Himmel und die Landschaft – müssen eigenständig, aber gleichzeitig bekannt sein. Eine Welt ist durchschnittlich, die andere eigenartig und kapriziös.“

Andere Sets wiederum gehören nur einer der beiden Welten an und wurden für längere Zeiträume beansprucht: es dauerte z.B. 66 Tage, um den Springmäuse-Zirkus in der anderen Welt zu animieren, alles an einem Set und mit insgesamt 61 akkurat choreographierten Mäuse-Schauspielern gleichzeitig.

Oft wurden auch Test-Sets nach den Entwürfen von Concept Artist Tadahiro Uesugi errichtet und ausgestattet. Kozachik leuchtete sie aus und drehte Testmaterial, das sich die Filmemacher ansahen, um daraufhin Anpassungen am Set vornehmen zu können. Erst wenn alle der Überzeugung waren, dass alles zusammenpasste, wurde das Set für den echten Dreh freigegeben. Falls das Test-Set in einem anderen Maßstab gefertigt worden war, wurden nach der Freigabe durch Selick sämtliche Proportionen registriert und festgehalten, um das echte Set demgemäß bauen zu können. Auch wenn es manche der Test-Sets nicht auf die große Leinwand schaffen, werden sie dennoch im Archiv des Studios aufbewahrt und während der Produktion noch oft analysiert.

Art Director Bo Henry erzählt, dass der größte Gegenstand der Springbrunnen in einer Schneekugel war. Das Innere des „Kontroll“-Springbrunnenmodells ist keine zwei Zentimeter groß, doch um ihn für eine wichtige Szene mit Coraline vor die Kamera zu bringen, wurde er um 4400% vergrößert und war schließlich über 55 Zentimeter groß.

In ihrer Full-Service-Werkstatt direkt neben den Stages führten Henry und seine Abteilung akkurat Buch über alles, vom Storyboard bis hin zu den einzelnen Einstellungen, so wie sie ihnen von den Kollegen bei LAIKA während der wöchentlichen Meetings geliefert wurden. Er erläutert: „Wenn das Storyboard die Nahaufnahme einer Hand verlangt, muss man die richtigen Ausmaße dafür kennen. 100%, entsprechend dem „Kontroll“-Modell, passt da nicht; man braucht dafür eine größere Hand. 300% oder mehr? Manchmal muss man verschiedene Größen austesten.“

Nachdem die Sets errichtet worden sind, müssen sie ausgestattet werden; um Dinge wie Gardinen oder Türknaufe kümmern sich die Set Dresser. Henry meint: „Wir können ein fertiges Set liefern, aber wenn es nicht ausgestattet ist, ist es nur eine leere Hülle.“ Für die kompliziertesten Sets und Ausstattungen musste das Design auch ein System von Schienen, Reglern, Motoren und Nadeln mit akkuraten Markierungen beinhalten. Das ermöglichte es den Animations-Spezialisten zu wissen, wie weit sie die vielen Elemente jeweils bewegen mussten, um die einzelnen Frames einfangen zu können. Sogenannte „tie-downs“ wurden in die Sets und Ausstattung eingearbeitet, damit die Figuren während des Animations-Verlaufs sicher verankert waren.

Dabei konnten die Animations-Spezialisten auch von unterhalb der Sets aus arbeiten, da viele der Sets auf Hochplattformen angebracht waren. So konnten auch die Rigger manche Gegen-stände und Figuren in „Stunt“-Sequenzen hineinversetzen – genau wie bei einem Live-Action-Film, obwohl hier oft eine Klaviersaite statt einer ausgewachsenen Sicherung genügte.

Wybie Lovats Fahrrad z.B., ein handgefertigtes Objekt ganz aus Metall, „hatte eine ganze Reihe von Tie-Downs“, sagt Selick. „Es war während der Dreharbeiten rund drei Monate lang am Set, und beinahe jedes Einzelteil war handgefertigt, mit Ausnahme der Zahnräder und Ketten.“

Um die fantastischen Szenen im Garten der anderen Mutter zu verwirklichen, verwendete Animationsspezialist Rigger Oliver Jones alltägliche Materialien, darunter Ping-Pong-Bälle (in/auf den Blumen) und Draht. Modell-Bauerin Rebecca Stillman und Lead Gussformen-Bauer Kingman Gallagher erschufen ebenso eine Auswahl von Käsesorten aus Silikon. Aus diesem Material wurden auch die immer länger werdenden Fingernägel der anderen Mutter gemacht – „falsche Fingernägel nach Maß“, lacht Hayns. Knight merkt an: „Viele unserer Inspirationen haben wir aus der Theaterwelt bezogen, besonders beim Bau unserer Sets und bei der Formgebung der Ausstattung.“

Genau wie im Theater wurden für „Coraline“ die Sets auch in Handarbeit bemalt und mit überraschenden Schattierungen versehen. Die Schattengebung ist z.B. betont und in der Farbe Purpur statt Schwarz gehalten. Sogar für Coralines langweiligen Alltag hatte Uesugi den Tipp, einige Pastell-Farben einzusetzen. Die Zuschauer sehen diese subtilen Nuancen vielleicht nicht bewusst, doch sie vertiefen die gesamte Farbpalette.

Als auf Gaimans beliebter Web-Seite von der Produktion freigegebenes, frühes Filmmaterial veröffentlicht wurde, „war es sehr interessant zu sehen“, so der Autor, „wie die Menschen im Forum darüber diskutierten, ob in der Stop-Motion auch Computer-Tricks verwendet wurden – was nicht der Fall war. Die Gesichter der Figuren, ihre Haare und Kleidung bewegten sich einfach unglaublich natürlich.“

Und obwohl man sich an die etablierte Tradition und Ästhetik des Stop-Motion-Verfahrens hielt – d.h., alles wurde von Hand erschaffen und bewegt -, hat die Produktion das gesamte Verfahren dennoch ins digitale Zeitalter transportiert.

„Wir haben den Computer auf eine Weise eingesetzt, wie es zuvor noch nie bei einem Stop-Motion-Film getan wurde“, berichtet Knight. „Es ist paradox; jetzt kann man eigentlich keinen Stop-Motion-Film ohne Computer drehen.“

Einer der Gründe dafür ist, dass „Coraline“ mit digitalen Spielfilmkameras gedreht wurde. Jedes vollständige und digital aufgezeichnete Frame wurde im Computer gespeichert, sodass die Filmemacher auf dem Monitor ihre vorherigen Einstellungen überprüfen konnten. Dieser sofortige Zugang zum Filmmaterial ermöglicht eine unmittelbare Korrektur von eventuellen Fehlern. Fall es keine Fehler gab, überprüften die Animations-Spezialisten die Figuren und vollzogen die minimalen Veränderungen für das jeweils nächste Frame.

Kozachik stand schon für „Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche“ hinter der Kamera; gedreht wurde auch damals schon digital, obschon nicht in 3-D. „Normales Filmmaterial war noch nie perfekt für Animations-Drehs. Eine Animations-Einstellung kann sich über eine Woche hinziehen und früher wusste man nie, was daraus geworden war, bis man sich das Material ansehen konnte. Vielleicht war etwas am Set verrutscht oder ein Punkt auf dem Film getrübt, und schon war das gesamte Material nutzlos. Erst seit kurzem kann mit digitalen Bildern sofort ein Feedback zur Animation oder Beleuchtung gegeben werden.“

„Stop-Motion wird immer Ecken und Kanten haben und interessanter sein – und auch so akzeptiert werden. Dieses Verfahren hat das Phänomen der Computer-Graphik bereits überlebt und das Handwerk blüht weiter auf.“ Vom ästhetischen Standpunkt aus wurde das Verfahren bei „Coraline“ noch verfeinert; im Final Cut wird die Animation mit jeweils zwei oder sogar drei Frames statt nur einem vollzogen; das erzeugt wiederum subtile Nuancen bei den Figuren und Szenen.

Ein weiteres Schlüsselelement, mit dem „Coraline“ das Stop-Motion-Verfahren ins 21. Jahrhundert befördert, ist die Animation der Gesichter. Durch eine Weiterentwicklung der Ersatz-Animations-Methode, die ursprünglich von George Pal mit den „Puppetoons“ entwickelt worden war – bei der jedes Gesicht durch ein anderes mit unterschiedlichem Ausdruck ersetzt wird, um die Illusion des Sprechens zu erzeugen -, verbindet „Coraline“ handgearbeitete Skulpturen und Zeichnungen mit computergenerierten Modellen und 3-D, um so zu niemals zuvor gesehener Ausdrucksstärke zu gelangen.

Knight meint: „Für die Ersatz-Animation modellieren wir am Computer basierend auf den 2-D-Zeichnungen und drucken das dann als „rapid prototyping“ (RP) Prototyp auf 3-D-Druckern aus; man bekommt also einen wirklichen, fassbaren Teil des Gesichts. Das wird dann handbemalt – auch Coralines Sommersprossen – und vorsichtig auf die Figuren aufgebracht. Das Ergebnis ist eine wunderschöne, ausdrucksstarke Mimik. Coraline zeigt viele Regungen, und man hat das Gefühl sie sei ein lebendiges Mädchen aus Fleisch und Blut.“

Die RP-Abteilung wird von Facial Structure Supervisor Brian McLean und Facial Animation Designer Martin Meunier geleitet und ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Produktion moderne Technologien zu Nutzen macht, um die Handarbeit noch aufzuwerten. Ausgehend von Scans mit hoher Auflösung und detaillierten Kunstharz-Modellen der handgefertigten Originalfiguren, arbeiten die klassisch ausgebildeten CG-Artists im RP-Department an etlichen Ersatz-Gesichtsausdrücken. Dafür verwenden sie Schlüsselzeichnungen als Richtlinien, achten beim Ergebnis aber auch darauf, alle Details des Modells nachzubilden, auch deren Unvollkommenheiten. In der letzten Phase werden diese „Computer-Skulpturen“ zu dreidimensional ausgedruckten Objekten. Diese Gesichts-Objekte werden dann gereinigt, sandgestrahlt und von Hand von hoch spezialisierten Künstlern bemalt. Indem die Integrität der Original-Skulpturen beibehalten wird, bleibt auch der „human touch“, der in die Kreationen eingeflossen ist, immer erhalten.

Die Drucker haben die Größe eines Familienkühlschranks; drei Geräte von Objet Geometries Ltd., dem Marktführer für RP-Technologien, wurden für „Coraline“ eingesetzt. McLean sagt: Es funktioniert wie ein Tintenstrahl-Drucker, doch das Produkt wächst in den Raum hinein. Und statt einer Tinten-Patrone braucht man ein Kunstharz, das auf UV-Bestrahlung reagiert. Das Harz ist flüssig und wird von acht Druckerköpfen auf wasserlöslichen Kunststoff aufgetragen; das ist die Grundlage des gesamten Verfahrens. Es gibt keine Rückstände und der Unterbau bleibt solide – damit bekommen wir Teile, die perfekt zusammenpassen und den Animations-Spezialisten zur Verfügung stehen.“

Selick bevorzugt seit langem den Aufwand, den die Ersatz-Gesichter erfordern, und arbeitet damit viel lieber als mit den mechanischen Gesichtern aus „The Nightmare Before Christmas“ und „James und der Riesenpfirsich“. McLean verrät, dass „bei „Coraline“ LAIKA zum ersten Unternehmen wurde, das einen Animationsfilm in Spielfilmlänge mit Ersatzgesichtern aus dem 3-D-Drucker gedreht hat“.

Es gibt eine horizontale Teilungslinie, die jedes Gesicht in eine obere und eine untere Hälfte unterteilt. Sie bleibt während der gesamten Produktion sichtbar und wird in der Post-Produktion digital gelöscht. Das Ergebnis? Jack Skellington in „Nightmare“ hatte 150 mögliche Gesichtsausdrücke – 16 Jahre später stehen Coraline über 200.000 verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. An einem Punkt im Film sieht man ihr innerhalb von 35 Sekunden ganze 16 unterschiedliche Regungen an. McLean ist besonders zufrieden mit den sehr „beweglichen Augen und Lidern, die in dieser Animation möglich wurden, sowie mit den Zähnen, die bei diesen Figuren auswechselbar waren und handbemalt und angepasst werden konnten. Alle Ersatz-Gesichter oder –Teile haben auf der Rückseite ein System zur Anpassung, damit wir sie einsetzen können.“

„Mit „Coraline“ haben wir auch die allererste Stop-Motion-Morphing-Sequenz überhaupt. Sie erstreckt sich über 130 Frames, also fast sechs Sekunden und dafür brauchte man 50 Ersatzteile.“ Darin geht es um die andere Mutter, für die sämtliche Errungenschaften im Bereich Augen- und Zahnanimation durch RP genutzt wurden. McLean erläutert außerdem, dass die Arbeitsweise seiner Abteilung „eine ganze Palette verschiedener Ersatzmöglichkeiten bietet – Gesichter, Ausstattung und Animation inbegriffen“. In „Coraline“ gibt es die erste im Ersatz-Stop-Motion-Verfahren erfolgreich gedrehte Feuersbrunst – dabei arbeiteten die Drucker anhand von Bildvorlagen von echtem Feuer. „In einer Reihe von Frames sieht man knisternde Flammen“, staunt McLean. „Das ist nur eine der Ingenieurs-Errungenschaften, zu denen wir jetzt in der Lage sind. Innerhalb von nur zwei Jahren hat es unglaubliche Fortschritte gegeben.“

Im RP-Verfahren wurden auch Silberbesteck, Türknaufe und die von der anderen Mutter zubereiteten Köstlichkeiten erstellt. Coraline selbst wurde als kleinere Version ebenfalls ausgedruckt, und zwar in ihrem Galoschen-und-Regenmantel-Ensemble. Die Hände des anderen Vaters wurden für seine Piano-Nummer in verschiedenen Größen ausgedruckt; in dieser Szene wurden die Figur und seine Sitzbank von unten von Hand bewegt, um so die natürliche Unschärfe zu erzeugen, während der Vater sich mit der Bank dreht.

Ob von Hand oder mit dem Computer erarbeitet – alle Vorlagen oder Modelle gehen mit Blick auf ein fassbares Ergebnis durch das RP-Verfahren. „Die Daten, die in 3-D eingescannt werden, bricht der RP-Computer physisch herunter und baut sie dann wieder Schicht für Schicht auf. Wenn das ausgedruckt wird, kann man genau sehen, ob es sich richtig anfühlt und kann es testen“, sagt McLean. Auch die Arbeit der RP-Abteilung muss abgesegnet werden, bevor sie im Film mitwirkt; und wie immer muss in Handarbeit gemalt werden, bevor ein RP-Ausdruck in einer Nahaufnahme bestehen kann.

Wird ein RP-Ausdruck als gelungen angesehen, wird er in einem Register-System gespeichert, um für jeden weiteren dieser Ausdrucke akkurat nach derselben Vorgabe zu arbeiten, ganz egal, wie oft diese Datei noch abgefragt werden muss. „Das ist der wichtigste Teil des Ersatz-Verfahrens“, sagt McLean. Genau wie in Stop-Motion und 3-D geht es im RP-Verfahren in „Coraline“ eigentlich „darum, zwei unterschiedliche Technologien miteinander zu verbinden“, sagt McLean. „Neueste Technologie ist der Anfang, Handarbeit rundet es ab. Ein körperliches Element betritt die digitale Welt – und kommt als fassbares Objekt wieder daraus hervor.“

Das Verfahren erwies sich als besonders nützlich bei der Herstellung der Dutzenden von Springmäusen für den Zirkus in der Parallel-Welt. Auch wenn viele dieser Dinge für Coraline und die Zuschauer klein aussehen, wurden etliche der Elemente mit 200% als RP-Produkt ausgedruckt – die Mäuse selbst, die auch noch Ersatzteile und Gesichter brauchten, sogar mit 222%. Die größte Anzahl von Figuren in einer Szene sind die 248 einzelnen Hunde (in der anderen Welt), die in der Sequenz zu sehen sind, in der Coraline und Wybie einer Aufführung von Miss Forcible und Miss Spink beiwohnen. Mithilfe des RP-Systems wurde jeder Hund einzeln erschaffen; es gibt in der Masse keine Computer-Duplikate, wie es sonst in Animations- und Live-Action-Filmen üblich ist. Die Hunde im Hintergrund wurden mechanisch bewegt; die Hunde im Vordergrund sind Figuren auf Drahtgestellen, die mit beweglichen Gelenken individuell animiert werden konnten, wie z.B. der Hund, der eine Taschenlampe im Maul trägt.

Gaiman staunte über diese Sequenz: „Jeder dieser kleinen Hunde konnte sich in seinem Sitz bewegen, sowohl nach oben und unten als auch seitwärts. Sie alle bewegen sich – und währenddessen gibt es Action hoch oben auf dem Trapez. Ich war sprachlos.“ Knight sagt: „Henry hat diesen großen Sinn für das Visuelle, aber er versteht auch Bewegungen besser als jeder andere, mit dem ich jemals gearbeitet habe. Durch ihn werden wir alle besser in unserem Job. Er kann sich etwas anschauen und sagen: ‚Dreh‘ das noch um vier Grad‘, und genau so ist es dann richtig.“

Animations-Spezialistin Amy Adams fügt hinzu: „Seine Vision ist unbeirrbar und er macht keine Kompromisse; auf der Leinwand soll seine genaue Vorstellung sichtbar werden. Entweder spielen wir die Szenen live, oder er zeichnet uns ein Bild dessen, was er sich vorstellt.“ „Für jeden Beteiligten ist ein Stop-Motion-Film eine große Aufgabe, aber besonders für den Regisseur. Man darf nie den Überblick über die Story und die Charaktere verlieren, man muss alle anderen beflügeln und gleichzeitig mehrere Dutzend Stages und Hunderte von Figuren im Auge behalten“, erklärt Kozachik.

Nachdem die gewünschte Einstellung im Kasten ist, geht das Material an die Data Wrangler, wo es von Digital Systems Supervisor Martin Pelham und seinem Team codiert und markiert wird. Auf diese Weise kann jeder bei LAIKA für seine Arbeit auf dieses Material zurückgreifen. Außerdem haben die Mitarbeiter der unterschiedlichen Abteilungen Zugang zu Datei-archiven, in denen jede Einstellung spezifiziert wird.

Die Mitarbeiter können an ihrem eigenen Arbeitsplatz per Computer jeden Frame im Katalog abfragen, der erfolgreich aufgezeichnet wurde, außerdem – für individuelle Figuren wie Coraline selbst – auch Specs, in denen Ersatzgesichter oder Teile eingesetzt wurden. Das ist besonders für die Animations-Spezialisten von Bedeutung, um zwischen den Frames oder Einstellungen konsistent arbeiten zu können. Auch die jeweiligen Audiodateien stehen zur Verfügung.

Das Footage-Monitoring ist ein weiterer ausschlaggebender Bestandteil des Verfahrens; sämtliches Material wird gespeichert und auch als Lernvorlage oder Richtlinie eingesetzt.

Selick meint: „Als Kind habe ich gemalt, gebildhauert, fotografiert und Musik gemacht. Aber erst in der Arbeit mit Animation habe ich festgestellt, dass ich hier alles einsetzen kann, was ich weiß.“

Produktion: Am Set

Ein Besuch in den Studios von LAIKA in Hillsboro – die schon bald auf ein noch größeres Gelände bei Tualatin umziehen werden, da das Aufgabengebiet und die Mitarbeiterzahl immer weiter wachsen – ist eine ganz besondere Erfahrung. Die Welt der Fantasie hat man dort überall direkt vor Augen, auf überraschend fassbare Weise.

Die 52 verschiedenen Stages, Büros, Ateliers und Lagerhallen erstrecken sich insgesamt auf 2,5 Hektar bebaute Fläche. Jeder, der an „Coraline“ mitwirkt, arbeitet Seite an Seite mit den anderen Abteilungen – obwohl man manchmal innerhalb des Gebäudes so weit laufen muss, wie ein Football-Feld lang ist. Die jeweiligen Ateliers werden nicht mit Postern oder Schildern gekennzeichnet, sondern mit Werkzeugen der jeweiligen Fachrichtung; das, was jemand in einem bestimmten Augenblick gerade vorbereitet, kann schon bald in wenigen Schritten Entfernung auf einem bestimmten Stage benötigt werden.

In den Augen eines Kindes könnten diese Ateliers wie der größte Kunstunterricht aller Zeiten aussehen. Was aussieht wie ein Werkzeugkasten ist allerdings eine Sammlung von RP-Ersatzgesichtern für „Coraline“, die von Hand bearbeitet worden sind, wobei jedes Einzelteil in einem Extra-Fach untergebracht ist. Es gibt „Stirnrunzel-Pakete“ und „Lächel-Pakete“, die je nach Bedarf an das Stage geliefert werden. Das Ganze erinnert an ein naturwissenschaftliches Labor, obwohl es hier nicht um das Sezieren, sondern eher um das Zusammensetzen der Figuren geht. Sämtliche Arbeiten werden höchst akkurat durchgeführt; staubfreie Latex-Handschuhe und Desinfektionsmittel sind immer in Reichweite.

Durch eine Tür im Flur in wenigen Metern Entfernung, wird mittels Kisten voller so genannter „gobo heads“ signalisiert, dass sich die Sets ganz in der Nähe befinden. Das sind die Grip- und Beleuchtungs-Werkzeuge, die auf dem Weg zum Stage mitgenommen werden können.

Schwere Vorhänge schützen Dutzende von Sets; manchmal signalisiert ein „Hot Set“-Zeichen höchste Vorsicht beim Eintritt. Die Anweisung „Ruhe auf dem Set!“ ist hier überflüssig, aber ein rotes Licht vor einem Set heißt, das dort gerade gearbeitet wird. Manche der „Hot Sets“ sind eigentlich genau das – und brauchen tragbare Klimaanlagen zur Kühlung, damit die Figuren und Bühnenbilder unter dem heißen Scheinwerferlicht während der Hitzewelle im August nicht schmelzen und die Mitarbeiter keinen Hitzschlag bekommen.

Ein geschäftiges Kommen und Gehen ist Dauerzustand; die Mitarbeiter schwirren ständig von einem Set zum anderen, und sobald sie durch die Vorhänge gegangen sind, bewegen sie die Figuren und Gegenstände, die alle von höchster Qualität sind. Jeder, der eintritt, wird augenblicklich zum Teil der „Coraline“-Landschaft; dass man selber so groß ist, macht die Stages bei LAIKA noch fantastischer.

Der Pink Palace, das Haus, in das Coraline mit ihrer Familie eingezogen ist, hat gegenüber den Figuren wirklich die Größe eines lebensechten Wohnhauses und wirkt wie ein überdimensioniertes Puppenhaus. Das Innere ist jedoch minimalistisch; getragen wird es von einem hölzernen Gerüst. Die Innenräume des Hauses sind auf ganz anderen Stages aufgebaut. Die Parallel-Welt-Version des Pink Palace sieht noch faszinierender aus, wie eine Musterwohnung. Doch ein Blick hinter die Kulissen – der nicht so gefährlich ist wie der, den Coraline im Film wagt – verrät ebenfalls Holzgerüste und sogar Sicherheitsnadeln, die das ganze zusammenhalten. An manchen Sets wird es auch tagsüber Nacht, z.B. unter dem Sternenhimmel, bei dem jeder einzelne Lichtpunkt von Hand eingestellt wird. Wie stets in „Coraline“ wurden die visuellen Elemente nicht per Computer generiert, sondern in Handarbeit gefertigt. Insgesamt wird auf einer Fläche von über 6.000 Quadratmetern gedreht. Die Zahl von 52 Stages ist die größte, die jemals in einem Stop-Motion-Film eingesetzt wurde.

Produktion: Zwei Welten, drei Dimensionen

„Coraline“ ist der erste Stop-Motion-Animationsfilm, der vollständig in stereoskopischem 3-D gedreht wurde, und bietet dem Zuschauer, so Henry Selick, „die einmalige Erfahrung, vollständig in eine dreidimensionale Erlebniswelt einzutauchen“.

Als allererster 3-D-Stop-Motion-Film gilt John Norlings Kurzfilm „In Tune with Tomorrow“, der ursprünglich für die Weltausstellung 1939 in New York produziert wurde. Über die Jahrzehnte entwickelten sich beide Verfahren unabhängig voneinander weiter und eroberten ihren Platz in der Geschichte der Kinoindustrie und Filmmagie. Vor wenigen Jahren übertrug Walt Disney Pictures Selicks Stop-Motion-Spielfilm „The Nightmare Before Christmas“ aus dem Jahr 1993 auch in das 3-D-Format.

Nachdem Kameramann Pete Kozachik bei der Bearbeitung des Films zu Rate gezogen wurde und das Ergebnis gesehen hatte, gab er dem Verfahren grünes Licht. 2006 kam die neue 3-D-Digitalversion heraus und war so erfolgreich, dass der Film seither jeden Herbst wieder in die Kinos kommt. Selick offenbart: „Als ich „Nightmare“ und „James und der Riesenpfirsich“ drehte, haben wir schon etwas mit 3-D experimentiert. Ich bin mit Lenny Lipton befreundet, der mit dieser Technologie führend ist und jetzt bei RealD arbeitet.“

„So um das Jahr 2004 herum sah ich Lennys neueste Entwicklungen in diesem Bereich. Bill Mechanic und ich stellten fest, dass die 3-D-Erfahrung Coralines Geschichte am Besten zur Geltung bringen würde. Seither sind die Digital-Projektion, das RealD-Verfahren und die neuen stereoskopischen Systeme immer eindrucksvoller geworden – die aktuellen Brillen sind sogar bequemer!“ Auch Neil Gaiman war beeindruckt: „Das erste Mal, als ich das 3-D-Material von „Coraline“ sah, blieb mir der Mund offen stehen. Noch nie hatte ich so tolle 3-D-Szenen gesehen – und der Realismus der Stop-Motion-Animation wirkt wie ein echter Spielfilm.“

Lipton arbeitet seit 1972 an der Weiterentwicklung des 3-D-Verfahrens. RealD Cinema ist eine digitale Projektionstechnologie mit hoher Auflösung, die anders als frühere Systeme nicht zwei Projektoren braucht. RealD verwendet einen einzigen Projektor, der abwechselnd das Frame für das linke und dann für das rechte Auge projiziert. Jedes Frame wird drei Mal in hoher Geschwindigkeit projiziert, was das Flackern der Bilder verringert und eine fließende Bilderabfolge ermöglicht. Durch die speziellen Brillen betrachtet, die jedem Auge nur „seine“ Bilder zeigen, ist das Ergebnis eine nahtlose Reihe von 3-D-Bildern, die sich auf sämtliche Ausmaße der Leinwand erstrecken – aber nie darüber hinaus. Kozachik sagt: „3-D funktioniert endlich ohne Einschränkungen, zum großen Teil Dank der digitalen Projektion – eine Linse, ein Projektor.“

Auf Einladung von Selick stattete Lipton LAIKA einen Besuch ab, um eine Reihe von Seminaren zu dieser neuen stereoskopischen Technologie abzuhalten; der Regisseur gibt zu, dass es für die Produktion noch während der Arbeit viel zu lernen gab. „Ausschlaggebend für dieses 3-D-Erlebnis“, sagt er, „war, die Essenz dieser Miniaturwelten einzufangen, indem wir zwei Bilder für jeden Frame fotografierten – eines für das linke und eines für das rechte Auge. Also zwei Bilder, aber nicht zwei Kameras.“

Dennoch waren auf den 52 verschiedenen Stages bei LAIKA ständig sieben einzelne 3-D-Kameras im Einsatz. Kozachik meint: „Es war der komplizierteste Stop-Motion-Dreh, bei dem ich je dabei war. Es sind doppelt so viele Einstellungen – rund 1.500 – in „Coraline“ wie davor in „Nightmare“. Man könnte sagen, dass es sieben Second Units und keine First Unit gab – oder aber, dass es eben sieben First Units waren. Ich war am Anfang einer Sequenz dabei und habe Anweisungen zur Beleuchtung oder Anpassung des Sets gegeben – dann übernahm die jeweilige Unit. Die Monitore am Stage geben immer einen guten Eindruck davon, was schließlich auf der Kinoleinwand zu sehen sein wird.“

„Meine Priorität waren die Stages, die gerade ihre Arbeit aufnahmen oder „hot spot“-Fragen hatten. Schon vor langer Zeit habe ich gelernt zu delegieren.“

Mit einer einzigen 3-D-Kamera wird das gleiche Frame zwei Mal fotografiert, bevor man an das nächste Frame geht. Die Kamera wird so programmiert, dass sie sich nach links und rechts dreht, um jedes Frame für das jeweilige Auge einzufangen. Die Auswahl eine „Machine Vision“-Kamera, die sonst bei Industrie-Robotern eingesetzt wird, gab den Filmemachern mehr Flexibilität in den Kamerabewegungen und die Freiheit, sich bei Nahaufnahmen dreidimensional um die Figuren herum zu bewegen.

Außerdem, so Selick, stellte man fest, dass „man für 3-D den Abstand zwischen der Linse und dem Subjekt normalerweise so einstellt, wie es dem menschlichen Auge entspricht. Da wir aber mit Miniatur-Figuren gedreht haben, spürten wir, dass wir diesen Abstand verkürzen konnten.“

„Wir wollten die Augen der Zuschauer näher zusammenbringen – entsprechend dem Abstand zwischen den Augen der Figuren im Film, damit man unmittelbar in deren Welt einsteigen kann“, so Kozachik. „So bekommen die Zuschauer die gleichen visuellen Hinweise wie in ihrem Alltag, aber nichts, was sie zum Schielen bringen würde.“

Selick erklärt: „Die heutige 3-D-Technologie kann als ‚stereoskopisch‘ bezeichnet werden, weil sich die Zuschauer alles mit beiden Augen anschauen können, wie man es als menschliches Wesen eben tut. Man bekommt ein Gefühl für Tiefe. RealD vermittelt die gesamte Stop-Motion-Welt, die wir als Filmemacher dem Publikum bieten möchten. Bei „Coraline“ setzen wir 3-D ein, um das Publikum in die von uns erschaffene Welt eintauchen zu lassen und um die Energie zu vermitteln, die unsere Miniatur-Sets wirklich ausstrahlen. Darum geht es, und nicht nur um Gimmicks wie Dinge, die aus der Leinwand hervor schießen. Die haben wir zwar auch, aber sparsam eingesetzt.“ Kozachik fügt hinzu: „Solche Momente unterstützen die Story und wurden behutsam ins Drehbuch eingebaut. Man gab uns den Rat: ‚Man soll eher die Räume öffnen als dem Zuschauer Dinge ins Gesicht springen zu lassen.’“

Zu diesem Zweck beschwört der Filmemacher auch die Mantras zweier seiner Mentoren, die Oscar-preisgekrönten Visual Effects Artists Dennis Muren und Phil Tippett, nämlich „eine Einstellung, ein Gedanke“ und „worum geht es in der Einstellung?“. Glücklicherweise stellte Kozachik fest, dass „wenn man erst einmal die Basics des stereoskopischen Verfahrens gemeistert hat, es sich zu einem weiteren Kamera-Werkzeug entwickeln kann – vorausgesetzt, es ist nicht das Einzige. Bei „Coraline“ haben wir es als Instrument eingesetzt, mit dessen Hilfe man die Geschichte erzählen kann.“

„Allerdings haben wir mit diesem stereoskopischen Verfahren auch Dinge getan – z.B. beim Fokus und der Tiefenschärfe - von denen man uns abgeraten hatte, und ich finde, alles ist gut gelungen. Wir wollten uns keine Patzer leisten; Henry und ich haben diesmal alles ziemlich auf die Spitze getrieben.“ Beide Welten in „Coraline“ sind in 3-D zu sehen; erwartungsgemäß hätten die Filmemacher ihre Story in 2-D beginnen können. Erst als Coraline die andere Welt betritt, hätten die Zuschauer dann ihre 3-D-Brillen aufgesetzt. Selick war jedoch davon überzeugt, man sollte die Unterschiede zwischen den Welten in der gesamten Filmsprache und Erzählweise verankern. Er sagt: „In Coralines realer Welt haben wir die Sets etwas klaustrophobischer gestaltet. Die Farben sind ausgewaschener, denn ihr Alltagsleben soll eher fade wirken.“

„Wenn sie die andere Welt betritt, sehen die Sets ganz ähnlich aus, sind aber insgesamt tiefer und bieten mehr Raum. Die Farben sind etwas kräftiger und wir bewegen die Kamera mehr. In ihrer realen Welt steht die Kamera fest und bildet eine Reihe von eher langweiligen Tableaus ab. Die „echte“ Welt wirkt wie eine Theateraufführung und die andere Welt daher so viel „realer“ auf sie – und auf die Zuschauer.“

Rillen für Schienen wurden in die Böden eingebaut und einige Wände waren abnehmbar, damit sich die Kamera bewegen konnte, wenn auch nur um jeweils einen Millimeter. Damit sich das Publikum besser mit Coralines Blickwinkel identifizieren kann, war die Kamera normalerweise tiefer als die Augenhöhe eines Erwachsenen.

Die liebevoll ausgestalteten Details und üppige Ausstattung in der Arbeit der Filmemacher wird durch 3-D noch hervorgehoben, obwohl „Coraline“ (wie gängige Filme) auch auf 2-D konvertiert oder digital ausgedruckt werden kann. Obwohl „Coraline“ also auch in 2-D gezeigt werden kann und wird, begeistert sich Dakota Fanning: „Mit der 3-D-Brille sieht alles viel toller aus!“ Die Schauspielerin spricht aus Erfahrung: während einer Vorführung des vollendeten Filmmaterials lugte sie kurz unter ihrer 3-D-Brille hervor – und stellte fest, dass der Filmgenuss mit Brille um einiges größer war. Sie fügt hinzu: „Selten findet man einen Film, den man sich immer wieder anschauen und in dem man jedes Mal neue Dinge entdecken kann. Ich bin stolz darauf, ein Teil davon sein zu dürfen und werde „Coraline“ immer behalten, um ihn auch meinen Kindern zu zeigen.“

Produktion: Fast Facts

- „Coraline“ ist der allererste im 3-D-Verfahren konzipierte und gedrehte Stop-Motion-Animationsfilm

- Die Dreharbeiten zu „Coraline“ dauerten über 18 Monate, nachdem bereits 2 Jahre an der Vorproduktion gearbeitet worden war

- Über 20 Personen zogen aus anderen Landesteilen der USA und aus dem Ausland nach Portland, um in den LAIKA Studios an „Coraline“ zu arbeiten

- An 52 Stages im Studio wurden über 130 Sets errichtet; mit einer Gesamtfläche von mehr als 6.000 Quadratmetern umfassten diese 52 Stages das größte Areal, das jemals für einen Stop-Motion-Film eingesetzt wurde

- Um eine Figur für „Coraline“ zu erschaffen, mussten zehn Personen zwischen drei und vier Monate lang arbeiten

- Für die Protagonistin Coraline gab es 28 verschiedene Figuren in unterschiedlichen Größen; die Haupt-Figur ist knapp 25 Zentimeter groß

In einer Szene des Films zeigt Coraline innerhalb von nur 35 Sekunden ganze 16 unterschiedliche Gesichtsausdrücke

- Insgesamt gab es für Coraline 207.336 mögliche Gesichtskombinationen

- Insgesamt gab es für die Mutter 17.633 mögliche Gesichtskombinationen

- In „Coraline“ erschuf man die erste Morphing-Sequenz für einen Stop-Motion-Film; sie erstreckt sich über 130 Frames und dauert somit fast 6 Sekunden

- Das 3-D-Kameraverfahren am Set von „Coraline“ bedeutete, für jeden Frame mit der selben Kamera jeweils zwei Bilder zu fotografieren – eins für das rechte und eins für das linke Auge

- Eine ganze Woche mit über 300 Mitarbeitern an 52 Stages war nötig, um 74 Sekunden Filmmaterial zu produzieren

- Während Caroline und Wybie sich die Bühnenshow ansehen, gibt es 248 Hunde im Publikum

- Die Springmäuse-Zirkus-Sequenz zeigt auf der Leinwand insgesamt 61 akkurat choreographierte und gleichzeitig agierende Mäuse

- Für das Garten-Setting wurden 40 Bäume in Handarbeit erschaffen

- Über 42 Quadratmeter Kunstpelz wurden verwendet, um als lebendiges oder ausgedörrtes Gras zu dienen

- Die Lilien im Garten bestanden aus Silikon-Fingerhüten, deren Inneres nach außen gekehrt und dann handbemalt wurde

- Der Schnee bestand aus Superkleber und Backpulver

- In der Mitte der Blumen im fantastischen Garten sitzen Ping-Pong-Bälle

- Popcorn-Mais wurde aufgebläht, abgekühlt, mit Farbe besprüht und dann handbemalt, um daraus die Kirschblüten in den Bäumen des Gartens zu machen

- Das einzige Leder, das für die Produktion dünn genug und somit geeignet war, um die Schuhe der Figuren und Mr. Bobinskys Stiefel herzustellen, stammte von antiken viktorianischen Handschuhen

Produktion: Trivia Tips

- Die Ranft Bros. Umzugsfirma wurde so getauft als Hommage an zwei real existierende Brüder, die Animations-Künstler Jerome und der verstorbene Joe Ranft

- Die Geldscheine, mit denen die Spediteure der Ranft Bros. bezahlt werden, tragen das Konterfei von Regisseur Henry Selick

- Die Affen-Hausschuhe, die der andere Vater trägt, spielen auf Selicks „Monkeybone“ an

- Das Eigelb, das die andere Mutter in eine Schüssel schlägt, formt ein Abbild von Jack Skellington, dem Hauptdarsteller von „The Nightmare Before Christmas“

- Die Schallplatten im Büro des anderen Vaters sind Alben der Band von Henry Selicks Sohn, The Rockets und seiner eigenen Band The Sharks, sowie von Lead Animator Travis Knight alias Chilly T.

- Die Zeitung, in der Coralines Puppe eingewickelt wird, zeigt ein Bild der Hunde und des Pferdes von Construction Supervisor Bo Henry

- Das Kaufhaus Linden’s wurde nach Line Producer Harry Linden so getauft

- Miss Forcible und Miss Spink kennen sich seit Jahrzehnten – genau wie ihre Originalstimmen, das Comedy-Duo Dawn French und Jennifer Saunders

- Die Libelle wird im Original von Teri Hatchers Tochter Emerson gesprochen

- Henry Selicks Sohn George spricht im Original die Stimme eines der Geisterkinder

- Henry Selicks anderer Sohn Harry spricht im Original die Stimme von einem der Freunde auf Coralines Foto, die in der anderen Welt lebendig werden

- Henry Selick lässt den Film in Ashland im US-Bundesstaat Oregon spielen – diese Stadt wurde wegen ihres renommierten Shakespeare-Sommerfestivals ausgewählt, das auch den alternden Schauspielerinnen Miss Spink und Miss Forcible gefallen hätte - diese Entscheidung traf er noch bevor er wusste, dass er selbst nach Oregon ziehen würde, um „Coraline“ bei LAIKA zu verwirklichen

Produktion: Die Stop-Motion-Magie von Coraline

Eine zentrale Frage, die sich die Filmemacher bezüglich der optimalen Umsetzung des Filmstoffs stellten, war: Wie animiert man Coralines Abenteuer am besten? Stop-Motion-Animation wie in „The Nightmare Before Christmas“ und auch in „James und der Riesenpfirsich“ stand in Henry Selicks Vision für „Coraline“ auf Platz eins. Obwohl er und Produzent Bill Mechanic auch computergenerierte Animation und/oder Live-Action in Betracht zogen, entschied Selick, dass „diese Story perfekt für Stop-Motion-Animation ist“. Autor Neil Gaiman stimmte dem entschieden zu: „Stop-Motion vereint Fantasie mit einer fassbaren, soliden Realität. Henrys Arbeit mit diesem Medium hat mein Herz im Sturm erobert.“

Das Stop-Motion-Verfahren war, ist und wird immer herausragend, hoch spezialisiert und für den Zuschauer besonders mitreißend sein. Frame für Frame (wobei es in einem Spielfilm jeweils 24 Frames pro Sekunde gibt) verändern und manipulieren die Animations-Spezialisten auf subtilste Weise reale Objekte (Figuren, Ausstattung, Sets, etc.) auf einer Stage. Jedes Frame wird für die Kamera fotografiert. Wenn dann die Tausenden abfotografierten Frames hintereinander abgespielt werden, sind die Figuren und ihre Umwelt in fließenden und fortlaufenden Bewegungen animiert. Es ist handgemachte Filmmagie.

Ein Stop-Motion-Film ist mit einem Live-Action Spielfilm vergleichbar, denn beide brauchen real existierende Sets, die aufgebaut und ausgestattet werden müssen, genau wie Darsteller, die man frisieren, einkleiden, ausleuchten und denen man Regieanweisungen geben muss. Doch die gesamte Welt des Films entspringt der Vorstellungskraft, insbesondere der Vision der kreativen Köpfe der Animations-Fachleute, die diese Figuren für jedes einzelne Frame jeweils Millimeter für Millimeter in Bewegung setzen. In genau diesen Bewegungen entsteht die einmalige Qualität dieser Art des Filmemachens. Henry Selick meint: „Das Wunder von Stop-Motion, und gleichzeitig einer der Gründe, weshalb ich dieses Verfahren so magisch finde, liegt in dem, was man sieht, wenn eine Stop-Motion-Figur lebendig wird: Es ist eine echte Performance des Animations-Spezialisten durch die Figur. Sie müssen sich fortbewegen, ihre Markierungen einhalten und ihre Dialoge aufsagen, wie es auch ein lebendiger Schauspielertun würde.“

Als allererstes Beispiel für Stop-Motion im Kino gilt der Kurzfilm „The Humpty Dumpty Circus“ von 1898, in dem die britischen Auswanderer Albert E. Smith und James Stuart Blackton dieses revolutionäre Verfahren als Pioniere einsetzten, um einen Spielzeugzirkus mit Spielzeugakrobatenzum Leben zu erwecken.

1982 realisierte Tim Burton, damals Conceptual Artist bei Disney, den Kurzfilm „Vincent“ gemeinsam mit Disney-Animationsfachmann Rick Heinrichs. Gedreht wurde in expressionistischem Schwarz-Weiß, die Stimme des Erzählers liefert Vincent Price, und realisiert wurde der Film im Stop-Motion-Verfahren. Ein Jahrzehnt später verwirklichte Burton mit einem handverlesenen Team von Künstlern und Fachleuten das Bahn brechende Stop-Motion-Musical „The Nightmare Before Christmas“, basierend auf seiner Original-Story und gewann Selick, seinen einstigen Studienkameraden bei CalArts und Kollegen bei Disney, für die Regiearbeit an diesem Spielfilm. Der Regisseur erinnert sich: „Es war ein sehr, sehr mühsames Projekt, doch wir wussten, dass daraus ein echt cooler Film werden würde. Mit „Nightmare“ haben wir Stop-Motion auf eine ganz neue Ebene gehoben, was Kamerabewegungen, Beleuchtung, Stimmung usw.angeht.“

Bei „Coraline“ sollte das Stop-Motion-Verfahren wie nie zuvor betrieben werden, sodass die Geschichte „durch Henrys Welt gesehen werden kann“, erklärt Neil Gaiman. „Ich war so glücklich, als er zum ersten Mal ‚Action!‘ rief, und ich wusste, es würde großen Spaß machen. Er war der Künstler, der mit seiner Vision und seinem Humor etwas ganz Besonderes hervorbringen würde – das auch noch extrem coole Sachen enthält.“

Interview mit Teri Hatcher (englische Stimme von C

Wie würden Sie den Film Coraline aus Ihrer Sicht beschreiben?

Ich würde sagen: Coraline ist eine visuell verblüffende 3D-Erfahrung mit einer Geschichte, die an eine moderne Version von „Hänsel und Gretel“ erinnert, aber viel tiefgründiger ist. Es geht um eine Familie, die sich nicht genügend umeinander kümmert. Ihr Kind taucht in eine versteckte Welt ein, die auf den ersten Blick viel besser aussieht als ihr altes Zuhause. Doch sie ist in dieser anderen Realität gefangen und versucht dann, wieder zu ihrer Familie zurückzukehren. Es ist also eine Familiengeschichte.

Wie war es für Sie, erstmals an einem Animationsfilm mitzuwirken?

Es hat viel Spaß gemacht, mich voll auf meine Stimme zu konzentrieren. Das war eine völlig neue Erfahrung. Ich hatte keine Vorstellung, wie das Resultat im Film dann aussehen würde. Darum war ich sehr aufgeregt, als ich den Film-Trailer zum ersten Mal sah, während ich mit meiner Tochter im Kino war. Als ich später den fertigen Film ansehen konnte, war das unglaublich. Es ist alles so toll gemacht und es steckt so viel Handwerkskunst dahinter, dass der Film sich wie ein Kunstwerk anfühlt, das man sich am liebsten an die Wand hängen möchte.

Wie würden Sie Coralines „echte Mutter“ beschreiben?

Zunächst einmal ist sie total überarbeitet, ausgepowert und frustriert. Ihre Beziehung zu Coraline ist etwas distanziert, sie ist nicht gerade die treusorgendste und liebevollste Mutter der Welt. Persönlich konnte ich das anfangs nur schwer nachvollziehen, weil ich im Prinzip das genaue Gegenteil bin. Die positiven Eigenschaften, die für mich als Mutter selbstverständlich sind, in meiner Filmrolle auszuklammern, war wirklich harte Arbeit.

Denken Sie, dass wir es uns oft zu einfach machen, wenn wir darüber nachdenken, wie viel besser es anderen vermeintlich geht?

Diese Gedanken sind ganz normal, aber damit macht man sich etwas vor. Je älter man wird, desto mehr wird einem aber bewusst, dass eine solche Sichtweise einfach nicht hilfreich ist. Wir sollten uns lieber darauf konzentrieren, was wir selbst haben. Und wenn uns das nicht gefällt, müssen wir es eben ändern! Wie in einer Ehe oder einer Freundschaft, die nicht so läuft, wie sie sollte. Immer nur darüber nachzudenken, was anders sein könnte, hilft einem da nicht. Man muss pro-aktiv an die Sache herangehen, wenn man etwas ändern will. Entweder man geht diesen Weg oder man lässt es bleiben. Dann muss man aber lernen, sich mit der Situation abzufinden.

Ihre Tochter Emerson hat ebenfalls einen Auftritt im Film.

Ja, sie spricht eine Libelle, es sind aber nur ein paar Sätze. Meine Tochter will auch gar keine Schauspielerin werden, es ist einfach nur süß, dass sie mitmachen konnte. Für uns als Familie ist das eine tolle Sache, meine Tochter liebt den Film genauso wie ich. Vor Henrys Arbeit und der künstlerischen Qualität von Coraline hat meine Tochter sehr großen Respekt.

Ist der Film sowohl für Kinder als auch für Erwachsene gedacht?

Ich denke, alle werden Coraline lieben. Der Film hat einfach sehr viel Tiefe, sehr viele Feinheiten und ist wirklich komplex, sodass er jeden anspricht. Ein echter Familienfilm eben.

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